Digitalisierung

„Kundenreisen“ noch einfacher machen

Welche Erkenntnisse zieht der „Zukunftspakt Apotheke“ aus dem Projekt?

eda | Rund 50 Studierende von der DHBW Stuttgart entwickelten im Rahmen von Projektarbeiten mindestens genau so viele Profile von möglichen Apothekenkunden – und zwar für das Jahr 2030, also in nicht allzu ferner Zukunft (s. Seite 48). Diese sogenannten Persona-­Beschreibungen spiegeln die Arzneimittel- und Beratungsbedarfe von Jungen und Alten wieder, von chronisch und akut Erkrankten sowie von Menschen, die lediglich auf der Suche nach Gesundheitsinformationen sind.

Welche Bedeutung nimmt in diesem Kontext die lokale Versorgung ein? Welches Angebot muss geschaffen werden, damit auch zukünftig die Apotheken an vorderster Front sind, wenn es in der Bevölkerung Arzneimittel- und Gesundheitsbezogene Nachfragen gibt? Mit diesen Fragen setzt sich Dr. Jan-Florian Schlapfner, Projektleiter des „Zukunftspakt Apotheke“ von Noweda und Burda, auseinander – und kommt im Interview zu einem bemerkenswerten Fazit.

Foto: Noweda

Seit 2017 unterstützt der Betriebswirt Dr. Jan-Florian Schlapfner als Projektleiter des „Zukunftspakts Apotheke“ die Digitalisierungsaktivitäten von Noweda und Burda.

DAZ: Herr Dr. Schlapfner, was ist Ihr Eindruck vom Projekt? Konnten Sie ­interessante Ideen für die Arbeit am „Zukunftspakt Apotheke“ mitnehmen?

Schlapfner: Für uns beim „Zukunftspakt Apotheke“, aber auch für die Noweda war es wichtig, einen Eindruck von der zukünftigen Generation der Apothekenkunden und Kundenreisen in einer Welt zu bekommen, in der analog und digital zunehmend mit­einander verknüpft sind. Wir wollten verstehen, wie sich junge Leute die Gesundheitsversorgung im Jahr 2030 vorstellen, und zwar bezogen auf konkrete Personas und ihre Kundenreisen. Die fiktiven, aber realitätsnahen Personas ermöglichen es, die wesentlichen „Kundenreisen“ besser nachzuvollziehen und daraus Kundenbedürfnisse abzuleiten. Das war ein sehr spannender und aufschlussreicher Einblick. Und im Übrigen waren die vorgestellten Personas und ihre Kundenreisen eine Bestätigung dessen, was wir beim Zukunftspakt Apotheke zum Teil schon auf den Weg gebracht haben und wo wir uns zukünftig weiterentwickeln.

 

DAZ: Das Thema „Kundenreise“ bzw. Customer Journey betrachten Sie aber bestimmt schon seit Längerem, nicht wahr?

Schlapfner: Selbstverständlich. Wir möchten Kundenreisen in einem Gesundheitsökosystem ermöglichen, die die lokale Gesundheitsversorgung für die Menschen in Deutschland einfacher, sicher und schneller machen. Die Menschen und ihre vielfältigen Kundenreisen stehen daher im Mittelpunkt aller unserer Überlegungen. Die Nutzer entscheiden darüber, welche Angebote sie wünschen und vor allem auch nutzen und welche nicht. Das ist der Hauptgrund dafür gewesen, dass wir unser Angebot bereits seit April 2019 online haben. Seitdem konnten wir bereits eine Menge Erfahrung sammeln.

 

DAZ: Können uns so junge Menschen, wie die projektbeteiligten Studierenden, überhaupt heute schon eine Ahnung vermitteln, welche Bedürfnisse und Vorliegen sie in zehn oder zwanzig Jahren haben?

Schlapfner: Das ist eine spannende Frage, und deshalb haben die Studierenden ja auch die konkreten Personas und ihre Kundenreisen entwickelt, sodass sie nicht primär von sich selbst ausgehen, sondern sich in Menschen hineinversetzen, die tatsächlich mit der Apotheke in Kontakt kommen – beispielsweise, weil sie eine chronische Erkrankung haben oder einen akuten Bedarf. Valide wird es dadurch, dass die Studierenden sich nicht nur mit Meinungen und Eindrücken beschäftigt haben, sondern methodisch an das Thema herangegangen sind.

 

DAZ: Welches „Aha“-Erlebnis hatten Sie aus den entwickelten Personas?

Schlapfner: Was ich sehr interessant fand ist, dass die Apotheken in den meisten vorgestellten Customer Journeys eine wichtige Rolle als vertrauenswürdige und kompetente Anlaufstellen bekommen haben. Neben der Nutzung digitaler Informationskanäle und den dort verfügbaren Inhalten und Meinungsbildnern (Influencer) wurde immer die fundierte Beratung durch Fachpersonal gewünscht, der einzige Unterschied zu heute war, dass die fachkundige und vertrauensvolle Be­ratung zukünftig vor Ort und digital gewünscht ist. Egal, wo wir leben, wir sind und bleiben in unseren lokalen Netzwerken verankert – zukünftig digital unterstützt. Das bestätigt uns, dass wir mit dem „Zukunftspakt Apotheke“ auf dem richtigen Weg sind und die lokale Gesundheitsversorgung sowie ihre Akteure stärken wollen.

 

DAZ: Zugleich zeigt sich an vielen Customer Journeys, dass sich die Studierenden im Rahmen dieser Persona-­Beschreibungen ein Zusammenrücken von medizinischen und pharmazeutischen Dienstleistungen wünschen. Meinen Sie, dass man die Trennung zwischen Arzt und Apotheker zunehmend infrage stellen muss, gerade im Austausch mit diesen jüngeren Generationen?

Schlapfner: Mein Eindruck ist, dass auch die jüngeren Menschen die Service- und Beratungsangebote der vertrauten Institutionen schätzen. Was sich jedoch ändert ist, welche Kanäle genutzt werden, also beispielsweise die Video-Sprechstunde oder ein Chat, um mit Apothekern oder Ärzten in Kontakt zu kommen. Außerdem soll es so wenig Medienbrüche wie möglich geben. Die von den Studierenden entwickelten Customer Journeys legen sogar nahe, dass die Rolle der Apotheken in Zukunft noch stärker gesehen wird als sie es zum Teil heute ist oder sein könnte. Die Apotheke war in den Persona-Beschreibungen meist der erste Ansprechpartner, und nicht der Arzt.

 

DAZ: Lassen Sie uns das mal konkret durchspielen: Nehmen wir an, es geht um die Folgeverordnung eines Schilddrüsen-Präparats oder um ein akutes Gesundheitsproblem, mit dem eine Person in die Apotheke kommt, das jedoch ärztlich abgeklärt werden muss – in beiden Fällen führt die Trennung zwischen Arzt und Apotheker unter Umständen zu einem Akzeptanz­problem. Wie sehen Sie das?

Schlapfner: Ich glaube, das ist sehr abhängig vom konkreten Fall. Der Wunsch kam bei den Persona-Beschreibungen durchaus vor, dass ein Nutzer indikationsbezogen Informationen und Beratung sucht, direkt die unmittelbare Problemlösung online findet und mit dem Kauf einer „Lösung“ in Form eines Produktes oder eines digitalen Services abschließen möchte. Darauf bauen ja auch heute bereits erste Geschäftsmodelle auf, bei denen zum Teil unter kreativer Umgehung der Apotheken- und Verschreibungspflicht Arzneimittel an Nutzer versendet werden. Aber: Wir unterschätzen dabei die junge Generation. Die Nutzer verstehen immer besser, wo sie Informationen, wo sie Meinungen oder eben fundierte Beratung finden. Letztlich sind es oftmals wieder die Institutionen, die über einen berechtigten Vertrauensbonus verfügen. Dieses Vertrauen ist eine sehr wertvolle Währung – gerade auch in der Zukunft.
 

„Im Grunde genommen müssen wir das, was heute schon existiert, zusammenbringen und die Online-Sichtbarkeit erhöhen.“

DAZ: Das heißt, aus Patientensicht wird akzeptiert, dass es getrennte Bereiche gibt, wenn wir es gleichzeitig schaffen, es ihnen so bequem wie möglich zu machen?

Schlapfner: Wir haben aktuell eine sehr gute flächendeckende Gesundheitsversorgung vor Ort. Die Patienten möchten dieses Angebot auch möglichst maximal in Anspruch nehmen, gleichzeitig aber über relativ wenige Kanäle kurzfristig eine Rückmeldung bekommen. Beispielsweise, wenn das Kind am Wochenende plötzlich einen Hautausschlag hat, den ich ärztlich abklären will. Sollte sich aus der Dia­gnose eine Behandlung ergeben, ist die Erwartungshaltung, dass diese ohne Verzögerung und Umwege eingeleitet werden kann. Hier geht es also um das Zusammenspiel von medizinischer und pharmazeutischer Leistung. Unsere Aufgabe sehe ich darin, dass wir dieses Vor-Ort-Angebot viel stärker im Netz sichtbar und die „Kundenreisen“ noch einfacher machen.

DAZ: Wenn es also um die absolute Sicht aus der Perspektive der Patienten und Kunden geht, dann dürfen wir die Apotheke nicht mehr isoliert betrachten, sondern in einem bestehenden lokalen Netzwerk, das in die Online-Welt transformiert werden muss.

Schlapfner: Im Grunde genommen müssen wir das, was heute schon existiert, zusammenbringen und die Online-Sichtbarkeit erhöhen. Das nennen wir beim „Zukunftspakt Apotheke“ ein offenes, vernetztes Gesundheitsökosystem. Die häufigste Customer Journey verläuft nach wie vor über den Arzt zur Apotheke. Das kann zukünftig auch über die Videosprechstunde laufen, bei der eine Verordnung ausgestellt wird, die direkt online in der Vor-Ort-Apotheke landet. Der Kunde hat dann neben der in der Regel sehr kurzfristigen Abholung in der Apotheke die Möglichkeit, sich diese inklusive Beratung nach Hause bringen zu lassen. Hier können wir als Zukunftspakt mit den beteiligten Partnern Lösungen für Kundenreisen schaffen, die dies in einer digitalen Anwendung durchgehend abbilden. Dann entsteht bei den Patienten gar nicht erst die Notwendigkeit, ihre elektronischen Rezepte in Zukunft bei Versandhändlern einzulösen.

 

DAZ: Das ist die eine Customer Journey – und zwar im Rx-Bereich. Kommen wir nun zum zweiten Fall: Laien informieren sich im Netz und es entsteht ein Bedarf bzw. eine Nachfrage. Wie lässt sich dies in Einklang mit den Vor-Ort-Apotheken bringen?

Schlapfner: Das ist der Bereich der Selbstmedikation, bei dem sich nicht wenige Menschen zunächst einmal im Internet über eine Suchmaschine informieren – entweder über Symptome, ein Krankheitsbild oder ein Präparat, das einem empfohlen wurde. Es gibt viele Milliarden Google-Suchanfragen jedes Jahr allein in Deutschland zu gesundheitlichen Themen. Daher wird es immer wichtiger, die Nutzer direkt in ihrer Online-Suche abzuholen. Versandhändler nutzen das für sich. Diese offene Flanke schließen wir beim „Zukunftspakt Apotheke“ beispielsweise gemeinsam mit dem Zukunftspakt-Partner netdoktor.de, der führenden Plattform für Gesundheitsthemen im deutschsprachigen Raum.

 

DAZ: Wie funktioniert das genau?

Schlapfner: Bei einer hohen Anzahl von Suchanfragen findet sich netdoktor.de auf der ersten Google-Ergebnisseite – entsprechend viele Nutzerinnen und Nutzer informieren sich über das Portal. Über eine Vernetzung mit ia.de gelangen diese Nutzer schließlich in die Vor-Ort-Apotheken. Ganz konkret: Wenn sich ein User beispielsweise bei Google über Halsschmerzen informieren möchte, dann wird in der Regel bereits auf der ersten Ergebnisseite das Angebot von netdoktor.de zum Suchbegriff angezeigt. Direkt an dieser Stelle kann er dann auf ia.de aufmerksam gemacht und in die Vor-Ort-Apotheken geleitet werden, wo eine persönliche und zielgerichtete Beratung erfolgt. Aus Sicht des Nutzers wird direkt online eine Lösung für das Problem angeboten. Dieses Erlebnis wird allgemein als sehr positiv empfunden.

 

DAZ: Fühlen Sie sich durch das Projekt mit den Studierenden bestärkt, in dem, was Sie heute schon mit dem „Zukunftspakt Apotheke“ ermöglichen und was Sie zukünftig noch vorhaben?

Schlapfner: Ein klares: Ja! Ein wichtiger Arbeitsauftrag an die Studierenden war ja, dass sie „out of the box“ – also erbarmungslos ehrlich – denken durften. Es ging nicht darum, die Customer Journeys unbedingt im Sinne des „Zukunftspakt Apotheke“ oder der bestehenden Versorgungsstruktur zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund sind wir daher noch positiver überrascht davon, wie groß das Vertrauen in die Vor-Ort-Apotheken mit ihrer beratenden Funktion ist. Kombiniert mit dem Wunsch, mehr digitale Kanäle zu nutzen und mehr Flexibilität bei der Inanspruchnahme dieser Leistung zu haben, bestärkt uns dieses Feedback in dem Weg, den wir bereits gehen.

 

DAZ: Herr Dr. Schlapfner, vielen Dank für das Gespräch. |

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