Aus den Ländern

Kein feiner Unterschied

Fortbildung in Hessen stellt die Reproduktions- und Gendermedizin in den Mittelpunkt

mp | Frau und Mann werden oft ungleich behandelt. Aber in der Medizin, wo es wichtig wäre, oftmals nicht. Diesem Problem widmete sich die Landesapothekerkammer (LAK) Hessen in ihrer 105. zentralen Fortbildungsveranstaltung. Reproduktions- und Gendermedizin war das Thema.

Ein weiteres Mal lud die LAK Hessen ihre Mitglieder ein, ihre Gesundheitskompetenz für das Beratungsgespräch in der zentralen Fortbildung zu stärken. Die Veranstaltung am 13. und 14. November 2021 fand wie die letzten Male online statt.

Apothekerinnen und Apotheker beraten schon seit Jahrzehnten kompetent zur Arzneimittel­therapie bei Kinderwunsch oder in der Schwangerschaft. Doch bei dem Thema tut sich viel, auch ergeben sich viele Herausforderungen bei der Therapie. Um die Zuhörerinnen und Zuhörer auf den neuesten Stand zu bringen, widmeten sich Dr. Patricia Klinzing und Dr. Annette Bachmann in ihren Vorträgen am 13. November der Frage, was die medizinische Behandlung ungewollt Kinderloser bietet und welche Fragen sich dabei ergeben. Von allen ungewollt Kinderlosen nehmen nur 20 bis 25% medizinische Hilfe in Anspruch. Bei immer mehr Paaren wächst die Skepsis gegenüber hormoneller Therapien. Demgegenüber haben sich die Behandlungserfolge in den vergangenen Jahren verbessert. Apothekerinnen und Apotheker tun gut daran, ungewollt kinderlose Paare zu beraten und während der Arzneimitteltherapie kompetent zu begleiten.

In einem weiteren Vortrag gab Prof. Dr. Frank Louwen einen Einblick in das umstrittene Feld der pränatalen Dia­gnostik, die Aussagen zu Krankheiten und Behinderungen ungeborener Kinder trifft.

Foto: LAK Hessen

Am zweiten Fortbildungstag ging es um das Forschungsgebiet der Gendermedizin. Sie widmet sich den biologischen und soziokulturellen Unterschieden zwischen Frauen und Männern und will verhindern, dass das Geschlecht zum Risiko bei einer Therapie wird. Die Genderfrage ist seit Jahren Protagonist popkultureller Debatten, aber in pharmazeutischer Hinsicht noch ein „Underdog“. Dabei gibt es bereits Evidenz dazu, wie wichtig geschlechtsspezifische Unterschiede bei bestimmten Therapien sind. Aber insgesamt braucht es noch viel intensivere Forschung, wenn man berücksichtigt, dass rund die Hälfte der Weltbevölkerung betroffen ist. „Es ist fünf vor zwölf“, sagte der pharmazeutische Chemiker Prof. Dr. Oliver Werz. Denn bis 1993 wurden in klinischen Studien ausschließlich Männer eingeschlossen. Bis zu diesem Zeitpunkt seien aber die meisten Arzneimittel zugelassen worden, und die Datenlücke in Bezug auf Frauen müsse unbedingt geschlossen werden. Werz gab einen Überblick, wie das Geschlecht die Therapien von Schmerzen und Entzündungen beeinflusst. Vereinfachend lässt sich sagen: Estrogene fördern eher Entzündungen und das Schmerzempfinden, während Testosteron Entzündungen hemmt. Frauen leiden demnach stärker an Schmerzen und sind häufiger betroffen von Autoimmunerkrankungen wie Asthma bronchiale, Lupus erythematodes, Morbus Crohn oder multiple Sklerose. Zudem unterliegen viele Arzneistoffe im weiblichen Organismus einer anderen Pharmakokinetik und -dynamik als im männlichen. CYP-Enzyme sind bei Frauen tendenziell weniger aktiv, zudem ist der Magen-pH-Wert erhöht. Bei Arznei­mitteln, die über CYP2D6 abgebaut werden, steigt bei Frauen das Risiko für Nebenwirkungen, etwa bei den Betablockern Metoprolol und Propranolol. Auch ist die Rezeptorausstattung bei Frauen eine andere als bei Männern. Aus diesem Grund wirken Opioide bei Frauen stärker, weshalb sie ein 60% höheres Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen haben.

Auch der klinische Pharmazeut Dr. Dirk Keiner forderte, dass mehr Daten zur Gendermedizin erhoben werden. Denn fast überall, wo es Daten gibt, zeigen sich klinisch relevante Unterschiede. Keiner trug vor, welche Konsequenzen sich für das Medikationsmanagement ableiten lassen. Insgesamt sind Frauen häufiger von Nebenwirkungen betroffen, Dosis­anpassungen sind notwendig. Aber all dies wird bisher nur in wenigen Therapieleitlinien erwähnt.

Als letzte Rednerin gab Prof. Dr. Petra Stute eine Übersicht über die pharmakologischen Maßnahmen, die zur Behandlung von Symptomen während der Wechseljahre infrage kommen.

In ihrer nächsten Fortbildungsveranstaltung im März 2022 will sich die LAK Hessen mit viralen Erkrankungen auseinandersetzen. |

Literatur

Reproduktions- und Gendermedizin. 105. Zentrale Fortbildungsveranstaltung der Landesapothekerkammer Hessen, 13. und 14. November 2021

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.