Gesundheitspolitik

Phagro zeigt Lauterbach die Realität auf

Für die Kinderarzneimittel der neuen „Dringlichkeitsliste“ ist die Versorgungslage schon jetzt prekär

ks | Vor zwei Wochen hat sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit einem Brief an den Großhandelsverband Phagro gewandt. Seine Bitte: Die Großhändler mögen die Beschaffung und Lagerhaltung für besonders dringliche Kinderarzneimittel intensivieren. Doch der Phagro stellt klar: Für die allermeisten dieser Arzneimittel ist es nicht einmal möglich, die gesetzlichen Vorhaltefristen einzuhalten. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) bezeichnete Lauterbachs Idee als „realitätsfern“.

Grundlage für Lauterbachs Bitte war eine wirkstoff- und darreichungsbezogene „Dringlichkeitsliste“ mit Kinderarzneimitteln, für die im kommenden Herbst und Winter eine „angespannte Versorgungssituation entstehen könnte. Er stellte sogar in Aussicht, eine Gegenfinanzierung zu prüfen, wenn durch „die Realisierung dieser außerordentlich dringlichen Maßnahme dem Großhandel Aufwendungen über die ALBVVG bereits geregelte Erhöhung der Großhandelsvergütung entstehen“.

In ihrem Antwortschreiben an Lauterbach versichern der Phagro-Vorsitzende Marcus Freitag und sein Stellvertreter Lothar Jenne, dass die Großhandlungen nichts unversucht ließen, um die Arzneimittelversorgung sicherzustellen. Doch nach Prüfung der Beschaffungsmöglichkeiten und Verfügbarkeiten der ca. 400 Arzneimittel der Dringlichkeitsliste habe sich gezeigt, dass „die Versorgungssituation für diese Arzneimittel bereits jetzt nicht nur angespannt, sondern aus unserer Sicht äußerst prekär ist“.

Nicht verfügbar, außer Vertrieb oder kontingentiert

So hätten mehr als ein Viertel der Dringlichkeitsarzneimittel in den vergangenen Monaten gar nicht beschafft werden können, weil die Industrie keine Ware zur Verfügung gestellt habe. Ein Achtel der Präparate seien von den Herstellern außer Vertrieb gesetzt worden oder würden nicht mehr in den Verkehr gebracht. Und bei mehr als der Hälfte der gelisteten Arzneimittel lieferten die Pharma­unternehmen nur 20 Prozent der vom Großhandel angeforderten Ware aus. Mehr als ein Viertel der Dringlichkeitsarzneimittel würden von den Herstellern nur kontingentiert ausgeliefert.

Die Konsequenz: Der Großhandel könne bereits heute für ca. 85 Prozent der Arzneimittel der Dringlichkeitsliste weder den neu ein­geführten Vier-Wochen-Bedarf für Kinderarzneimittel noch den grundsätzlichen Zwei-Wochen-Bedarf beschaffen und vorhalten. Lediglich für 10 Prozent der ge­listeten Arzneimittel sieht der Phagro Chancen, Beschaffung und Lagerhaltung zu intensivieren. Aufgrund dieser Gesamt­situation sei es auch nicht möglich, zu kalkulieren, welche Aufwendungen für die Bereitstellung der Arzneimittel nötig wären.

Auch vom Plan des Ministers, den Versorgungsmangel für die dringlichen Arzneimittel auszurufen, verspricht sich der Phagro nicht viel. Das Verbringen bzw. der Import von in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimitteln aus anderen EU-Mitgliedsländern und Dritt­staaten könnte die Versorgungs­situation nur im Einzelfall verbessern – ein taugliches Instrument für die Regelversorgung sei das nicht. Wenn es schon Importe sein sollen, müssten zumindest (haftungs-)rechtliche und bürokratische Hürden abgebaut werden.

Abschließend fordert der Phagro den Minister auf, „die Ursachen der Liefer- und Versorgungsengpässe zu bekämpfen, indem Sie die pharmazeutische Industrie durch eine Förderung der Herstellung und Entwicklung von Arzneimitteln unterstützen und die für ein bedarfs­gerechtes Inverkehrbringen von Arzneimitteln notwendigen Aufwendungen aller an der Arzneimittelversorgung Beteiligten, d. h. von Industrie, Großhandel und Apotheken, adäquat gegenfinanzieren“.

Hubmann: Kontraproduktiv

Der DAV-Vorsitzende Hans-Peter Hubmann erklärte, Lauterbachs Bevorratungsidee sei „realitätsfern und kann sogar kontraproduktiv wirken“. Er stellte klar: „Die Apotheken in Deutschland erwarten jetzt und zu jeder Zeit eine bedarfsgerechte Belieferung für ihre Patientinnen und Patienten durch den pharmazeutischen Großhandel.“ Das Engpassgesetz habe den Apotheken zwar eine gewisse Beinfreiheit verschafft – doch die Handlungsspielräume seien noch nicht ausreichend und müssten erweitert werden. Zudem monierte Hubmann, dass der Minister das eigentliche Problem bisher nicht angegangen sei: „Die Versorgungssicherheit der Bevölkerung ist nicht zum Nulltarif zu haben, sondern muss letztlich bestellt und bezahlt werden“. Dazu gehöre u. a. eine wirklich adäquate Honorierung des Mehraufwandes der Apotheken für ihr Lieferengpassmanagement und eine Änderung des Billigpreissystems rund um die Rabattverträge. |

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