Die Seite 3

Fehler im System

Foto: Philip Kottlorz Fotografie
Julia Borsch, Chefredakteurin der DAZ

Es war die perfekte Story fürs Sommerloch: Apotheken, die mit der Herstellung von Zytostatika aufgrund der Einkaufsvorteile bei den Ausgangsstoffen so viel Geld verdienen, dass sie Medizinische Versorgungszentren und verordnende Onkologen an ihren Gewinnen beteiligen können. Letztere sollen nämlich gerne die Hand aufhalten, wenn es um die Belieferung ihrer Praxen mit den Infusionen geht – ja, entsprechende Zahlungen seitens der Apotheken sogar zur Voraussetzung für die Versorgung gemacht haben. Aufgedeckt wurde das Ganze von einem Rechercheteam von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. Den ultimativen Tipp gab ein Apotheker, der selbst gut an dem System verdient hat und noch verdienen könnte, aber sehr mit diesem Umgang mit den Versichertengeldern hadert. Nachdem die Kassen sich angeblich nicht für seine Hinweise interessierten, ebenso wenig wie der Verband der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker, hat er sich an die Öffentlichkeit gewandt.

Sein Ansinnen mag ehrenwert gewesen sein, aber seinen Kolleginnen und Kollegen hat er damit einen Bärendienst erwiesen. Denn auch wenn das Thema nur etwa 300 Apotheken in Deutschland betrifft – die, die Zytostatika herstellen, dürften in der öffent­lichen Wahrnehmung mal wieder nur die raffgierigen Apothekerinnen und Apotheker hängen bleiben, die sich auf Kosten todkranker Menschen bereichern. In Zeiten, in denen die Apothekerschaft für eine lang überfällige Honorarerhöhung kämpft, kann das nur schädlich sein. Das schmallippige Statement des DAV, sie könnten zu den Preisen nichts sagen, trägt nichts dazu bei, um dem ent­gegenzuwirken.

Was in der Sache bislang unbeachtet bleibt, ist die Rolle der Krankenkassen. Dabei sollen sie über die enormen Gewinnmöglichkeiten informiert gewesen sein, sich aber nicht dafür interessiert haben. Vor dem Hintergrund, dass an anderer Stelle über winzige Posten gefeilscht wird und Cent-Beträge, bei denen das Briefporto die Retaxsumme überschreitet, retaxiert werden, ist das nicht nachvollziehbar. Man erinnere sich an die erbittert geführte Debatte darüber, ob Verwürfe erstattet werden oder nicht. Sie erscheint angesichts dieser Enthüllungen absurd. Da wäre an anderer Stelle deutlich mehr Einsparpotenzial gewesen. Man fragt sich: Warum ist so ein Preisgefüge überhaupt möglich, wie es bei den Zytostatika offensichtlich existiert? Denn mal abgesehen von Schmiergeldzahlungen an Onkologen, die verboten sind, haben die Apotheken gegen kein Gesetz verstoßen, sondern nur den Rahmen der bestehenden Vereinbarung zwischen DAV und GKV-Spitzenverband genutzt. Moralisch mag das verwerflich sein, rein rechtlich aber nicht. Von daher sollte man sich in der Aufarbeitung dieser Debatte neben den strafrechtlich relevanten Aspekten wie Bestechung vor allem auf die systematischen Defizite konzentrieren und fragen, warum diese Spielräume bei den Preisen hingenommen wurden – übrigens nicht nur von den gesetzlichen, sondern auch von den privaten Kassen. Es ist wohl an der Zeit, das System der Vergütung der Zytostatikaherstellung komplett zu überdenken. Regionale Ausschreibungen, nach denen zumindest der AOK-Bundesverband reflexartig ruft, sind sicher nicht die Lösung. Viel wichtiger wäre es, klare Regeln zu schaffen, die den beteiligten Apotheken eine auskömmliche Zyto­statikaherstellung ermöglichen und das ganz transparent. Die Gefahr, dass das nicht gelingt, ist aber leider gegeben.

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