Aus den Ländern

Apotheken als Leuchttürme für Demente und ihre Angehörigen

Fortbildungsseminar der Apothekerkammer und DPhG Hamburg

HAMBURG (tmb) | Das gemeinsame Fortbildungsseminar der Apothekerkammer und DPhG-Landesgruppe Hamburg fand am 11. Februar bereits zum 27. Mal statt. In der Online-Veranstaltung mit dem Titel „Honig im Kopf“ ging es um Demenzerkrankungen. Das inhaltliche Spektrum reichte vom neuesten Therapieansatz bis zum alltäglichen Umgang mit Dementen beim Essen.
Foto: DAZ/tmb

Gastgeber und Moderator Prof. Dr. Sebastian Wicha, Hamburg, hier beim Fortbildungsseminar im Februar 2020, das noch live veranstaltet wurde.

Prof. Dr. Elke Oetjen, Vorsitzende der Landesgruppe Hamburg der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG), betonte die lange Tradition der gemeinsamen Fortbildungen und die vielen möglichen Blickwinkel auf die Demenz. Kammerpräsident Kai-Peter Siemsen erklärte, Apotheken seien mit ihrem niederschwelligen Angebot oft die ersten Ansprechpartner für Betroffene und Angehörige. Neben der DPhG und der Kammer war auch die Universität Hamburg wieder beteiligt. Prof. Dr. Sebastian Wicha führte als Vertreter der Universität durch das Programm.

Jährlich 300.000 Neuerkrankungen

Dr. Silke Wunderlich, München, berichtete, dass weltweit etwa 55 Millionen Patienten (Stand 2019) und in Deutschland etwa 1,6 Millionen an Demenz erkrankt sind. Jedes Jahr gibt es in Deutschland etwa 300.000 Neuerkrankungen. Das Risiko steigt mit dem Alter stark an. Etwa 70 Prozent der Betroffenen sind Frauen. Wunderlich betonte, dass viele Risikofaktoren beeinflusst werden können. Für Demenz gelten die gleichen Risikofaktoren, die auch für kardiovaskuläre Erkrankungen relevant sind, sowie geringe Bildung, wenige Sozialkontakte und körperliche Inaktivität. Gemäß einer Studie können 9800 Schritte pro Tag das Risiko halbieren, insbesondere mit schnellem Gehen. Für das Screening in der Apotheke empfahl Wunderlich den Fragebogen der Demenzhilfe Deutschland (demenzhilfe-deutschland.de).

Therapie mit neuer Aussicht

Bei der Diagnose sollte einmalig eine Computertomographie des Gehirns erfolgen, besonders um sekundäre Ursachen zu finden, die kausal behandelt werden können. Bei der mit 55 Prozent häufigsten Demenzform, der Alzheimer-Demenz, sind genetische Ur­sachen selten, was zur Beruhigung der Angehörigen wichtig sein kann. Geruchsstörungen können ein frühes Zeichen sein. Als erstes kognitives Symptom fällt meist die Störung des Kurzzeitgedächtnisses auf, später folgen zeitliche und örtliche Desorientierung, Sprachstörungen und neuro­psychologische Defizite. Wunderlich mahnte, dass viele Betroffene mit floskelhafter Sprache eine erstaunlich gute Fassade aufbauen. Sie empfahl, Cholinesterasehemmer frühzeitig einzusetzen und zur Sicherung der Compliance langsam einzuschleichen. Wenn die Krankheit nach sechs Monaten trotzdem fortschreite, sei ein Substanzwechsel angebracht. In der Frühphase sei auch hochdosierter Ginkgo-Extrakt eine Option, aber Wunderlich empfahl den Einsatz nach drei Monaten zu überprüfen.

Einen neuen Ansatz verspricht der monoklonale Anti-Amyloid-Antikörper Lecanemab, der erstmals in einer Phase-3-Studie den Nachweis für einen langsameren kognitiven Abbau erbracht hat und Anfang Januar in den USA zugelassen wurde. Der Effekt sei zwar eher gering, aber schon in der relativ kurzen Studiendauer von 18 Monaten gefunden worden. Der Antikörper „könnte“ künftig eine Rolle in der Therapie einnehmen, folgerte Wunderlich, gab aber die Hinweise auf unerwünschte Wirkungen zu bedenken, beispielsweise Ödeme und das Blutungsrisiko, insbesondere bei Patienten mit Antikoagulation.

Große Unterschiede zwischen Demenzformen

Die vaskuläre Demenz ist häufig eine Folge von Schlaganfällen. Bei Vorhofflimmern kann eine Antikoagulation das Risiko dafür halbieren. Etwa 15 Prozent aller Demenzen sind Mischformen. Die frontotemporale Demenz tritt meist schon im Alter zwischen 45 und 65 Jahren auf. Sie führt früh zu Persönlichkeitsveränderungen und schreitet schnell voran. Dabei besteht kein cholinerges Defizit, und Cholin­esterasehemmer können den Verlauf sogar verschlimmern. Bei der Demenz mit Lewy-Körpern funktioniert das Gedächtnis relativ gut, aber die Verhaltensstörungen sind problematisch. Wunderlich mahnte, dass diese Patienten sehr empfindlich auf Neuroleptika reagieren, die daher sehr vorsichtig dosiert werden sollten. Überhaupt sollten Neuroleptika bei Demenz nur so kurz wie möglich und niedrig dosiert eingesetzt werden.

Hilfe im Netzwerk

Aufgrund ihrer Erfahrungen im „Demenznetzwerk Bergedorf“ betonte Sabine Haul, Hamburg, die große Bedeutung von Apotheken als Lotsen und „Leuchttürme“. Es sei wichtig, die lokalen Ansprechpartner im Gesundheitswesen zu kennen, um die Versorgung zu verbessern. Die Angehörigen sollten frühzeitig Hilfe finden und annehmen. Haul mahnte, bei Demenz die Behandlung der Grund- und Begleiterkrankungen nicht zu vernachlässigen. Doch die Betroffenen würden aus praktischen Gründen oft nur noch vom Hausarzt versorgt. Bei der Ver­sorgung durch mehrere Ärzte gehe dagegen der Überblick schnell ver­loren. Medikationsanalysen seien hier besonders hilfreich. Zielwerte, insbesondere für Blutdruck und Blutzucker sollten moderater gesetzt werden, um orthostatische Probleme und Hypoglykämien zu vermeiden. Anti­dementiva seien erfahrungsgemäß bei einem Drittel der Patienten wirksam. Ein weiteres Drittel vertrage die Arzneimittel gut und zeige keine Verschlechterung. Dann sollte die Medikation fortgesetzt werden, weil der Krankheitsverlauf vermutlich verzögert wird. Haul mahnte vor dem Einsatz von Neuroleptika zunächst Ursachenforschung zu betreiben. „Schwieriges“ Verhalten könne Gründe haben, die Demente nicht benennen können, beispielsweise Angst, Reizüberflutung, Lärm, Schmerz, Orientierungsprobleme in ungewohnter Umgebung oder Langeweile. Bei Morbus Parkinson oder Demenz mit Lewy-Körpern dürfen als Neuroleptika nur Clozapin und Quetiapin eingesetzt werden. Haul mahnte, die Empfehlungen zur potenziell inadäquaten Medikation für Ältere zu beachten, besonders bei anticholinergen Effekten. Benzodiazepine sollten wegen drohender Atemdepression und Schluckstörungen zurück­haltend und bedarfsabhängig eingesetzt werden. Bei gestörtem Tag-Nacht-Rhythmus ist die Sedierung am Tag kontraproduktiv.

Essrituale und Ernährungs­biografie beachten

Mit dem Stichwort „Vergessen zu essen“ machte Dr. Silke Bauer, Gengenbach, deutlich, dass Demenz sich sehr auf das Essverhalten und die Nährstoffzufuhr auswirken kann. Demente können sich oft nicht erinnern, wann sie wie viel gegessen haben. Außerdem sei die Wahrnehmung der Speisen beeinträchtigt, und Demente würden manche Nahrungsmittel wegen falscher Assoziationen ablehnen. Auch der Geschmack verändere sich, Saures werde oft zurückgewiesen. Um einer Mangelernährung vorzubeugen, sei ein strukturierter Tagesablauf mit Ritualen für das Essen zu empfehlen. Die Betroffenen sollten in die Zubereitung eingebunden werden. Dabei sei die individuelle Essbiografie mit bekannten Speisen zu berücksichtigen, mehrere kleine Mahlzeiten seien vorteilhaft. Bei Schluckstörungen sollte die Konsistenz der Nahrungsmittel nur soweit wie nötig angepasst werden, um die Erinnerung an die ursprüngliche Form aufrechtzuerhalten. |

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