Arzneimittel und Therapie

Mikrobiom beeinflusst Neben­wirkung bei MS-Therapie

Lymphopenie unter Dimethylfumarat mit Bakterienspezies assoziiert

Liegt es am Mikrobiom, ob Menschen mit multipler Sklerose unter Dimethylfumarat eine Lymphopenie – eine bekannte und häufige Nebenwirkung – entwickeln? Und wie beeinflusst Dimethylfumarat die Bakterienspezies der Patienten?

Das Mikrobiom von Menschen mit multipler Sklerose (MS) unterscheidet sich bezogen auf die Diversität und Quantität von Bakteriengemeinschaften bei gesunden Menschen. Augenscheinlich gibt es weniger Bakterienfamilien, die kurzkettige Fettsäuren (z. B. Propionsäure) [1] produzieren. Auch gibt es bereits Daten dazu [2], dass die Substitution von Propion­säure MS-Schübe reduzieren kann. Das Mikrobiom spielt jedoch nicht nur eine Rolle bei der Pathogenese der multiplen Sklerose. Es beeinflusst wohl auch das Risiko, ob MS-Patienten unter dem krankheitsmodifizierenden Arzneimittel Dimethylfumarat (Tecfidera®) eine Lymphopenie als Nebenwirkung entwickeln [3].

Vor diesem Hintergrund wurde über drei Monate das Metabolom und Mikrobiom von 20 Patienten (Durchschnittsalter 42 Jahre) mit schubförmig remittierender MS (RRMS) unter Dimethylfumarat (DMF) untersucht. Hinsichtlich der Veränderung des Metaboloms – der Gesamtheit aller Stoffwechsel­eigenschaften einer Zelle – erhöhte die Behandlung mit Di­methylfumarat vor allem Stoffwechselprodukte des Citratzyklus. Und das sowohl im Serum (Fumarat: 2,3-fach, Succinat: 1,5-fach, Malat: 1,3-fach) – wie vermutet – als auch im mikrobiellen Stoffwechsel. Da DMF ein nicht zielgerichtetes Molekül und Derivat des Citratzyklus ist, sei es möglich, dass der Wirkstoff nicht nur Immunzellen, sondern auch andere metabolisch aktive Zellen, wie Bakterien, beeinflusse, so die Überlegung der Wissenschaftler.

Foto: AlphaTauri3D/AdobeStock

Antiinflammatorische Bakterienarten gehen zurück

Im Hinblick auf das Mikrobiom stellten die Wissenschaftler fest, dass DMF die Alpha-Diversität aller Mikroorganismen im Gastrointestinaltrakt nicht zu beeinflussen scheint (Alpha-Diversität: Maß für die verschiedenen Arten von Mikroorganismen in einem Individuum). Allerdings erhöhte sich der Anteil mancher Bakterienarten unter Dimethyl­fumarat-Therapie signifikant, zum Beispiel Lactobacillus pentosus – vermeintlich nützlich und entzündungshemmend bei MS. Andere Bakterienarten, die proinflammatorisch bei MS zu sein scheinen, hingegen verringerten sich: Coprococcus eutactus (signifikant) und Akkermansia muciniphilia (nicht signifikant).

Akkermansia muciniphilia und Prevotella copri

Je nach Zusammensetzung des Mikrobioms der MS-Patienten war zudem ihr Risiko erhöht, unter DMF eine häufige und bekannte Nebenwirkung zu entwickeln: Lymphopenie – aufgrund der Assoziation mit seltenen Fällen von progressiver multifokaler Leuk­enzephalopathie (PML) zählt sie zum größten Sicherheitsproblem einer DMF-Behandlung. Als Lymphopenie-relevante Spezies identifizierten die Wissenschaftler A. muciniphila, Bacteroides dorei, Agathobacter rectale,Prevotella copri und Prevotella falseni: MS-Patienten mit dem Vorhandensein von A. muciniphilia und dem Fehlen von P. copri (vor Behandlungsbeginn) entwickelten eine Lymphopenie unter DMF. Keine Lymphopenie erlitten Patienten in der umgekehrten Konstellation: Fehlen von A. muciniphila und Vorhandensein von P. copri. Günstig war es auch, wenn A. muciniphilia und auch P. copri gleichzeitig vorhanden waren oder beide fehlten.

Zukünftig Mikrobiomtest?

Die Wissenschaftler sind sich bewusst, dass möglicherweise auch nicht erfasste diätetische Effekte die Ergebnisse in ihrer kleinen Pilotstudie beeinflusst haben und dass die Untersuchung nicht ausreichend „gepowered“ war, um den Einfluss auf die Krankheitsaktivität zu detektieren. „Doch liefern die Beobachtungen dieser ersten longitudinalen Mikrobiomanalyse unter DMF entscheidende Beweise für eine Rolle der Mikrobiota bei der Entwicklung einer Lymphopenie“, sodass größere Studien gerechtfertigt seien, die sodann die Durchführbarkeit von Mikrobiom-Tests zur Vorhersage von DMF-assoziierten Lymphopenien bei MS-Patienten bewerten. |

Literatur

[1] Müller C. Was läuft falsch im Darm bei MS? Meldung auf DAZ.online vom 6. Mai 2021

[2] Duscha A et al. Propionic Acid Shapes the Multiple Sclerosis Disease Course by an Immunomodulatory Mechanism. Cell 2020;180(6):1067-1080.e16, doi: 10.1016/j.cell.2020.02.035

[3] Diebold M et al. Gut microbiota composition as a candidate risk factor for dimethyl fumarate-induced lymphopenia in multiple sclerosis. Gut Microbes 2022;14(1):2147055, doi: 10.1080/19490976.2022.2147055

Apothekerin Celine Bichay

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