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Epigenetik
Gewalt an Schwangeren verändert Genetik der Kinder
Wenn Mütter in der Schwangerschaft häusliche Gewalt erfahren und somit fortgesetzt einem starken Stress-Erleben ausgesetzt sind, verändert dies die genetische Veranlagung des Kindes:
Was von Wissenschaftlern bereits aus Studien mit Mäusen vermutet wurde, konnte eine Zusammenarbeit von Psychologen und Biologen der Universität Konstanz erstmalig auf molekularer Basis beim Menschen nachweisen. Sie zeigten, dass eine andauernde Bedrohungssituation bei einer Schwangeren eine epigenetische Veränderung im Glucocorticoidrezeptor-Gen des Kindes bewirkt – einer Erbanlage, die mit Verhaltensauffälligkeiten und der Anfälligkeit für seelische Erkrankungen in Zusammenhang gebracht wird.
Nachgewiesen werden konnten Veränderungen in den sogenannten Methylisierungsmustern der DNA, was Folgen auf die Entwicklung des Kindes haben kann: Die genetische Ausprägung im Kind verändert sich, es entwickelt eine anfälligere Stressachse. Der Körper der Mutter signalisiert diesen Kindern, dass sie in einer bedrohlichen Umgebung aufwachsen werden. Die Kinder verhalten sich dadurch in ihrem späteren Leben ängstlicher und weniger neugierig.
Das Glucocorticoidrezeptor-Gen ist ein Rezeptor des Stresshormons Cortisol und dient als eine Art Schaltstelle im Hormonsystem. Es ist eine Schnittstelle für die Auswirkungen von Hormonen auf Hirnfunktionen – wie zum Beispiel die Reaktion auf Stressoren – und beeinflusst damit die Stressempfindlichkeit eines Menschen wie auch seine Anfälligkeit für psychische Störungen.
Die Konstanzer Forscher konnten einschlägige Veränderungen in dem Gen bei zehn- bis neunzehnjährigen Kindern vorfinden, deren Mütter in der Schwangerschaft häuslicher Gewalt ausgesetzt waren. Die Forscher analysierten die Strukturen des Rezeptor-Gens bei 25 Müttern und deren Kindern. Sie ermittelten den psychologischen Effekt der häuslichen Gewalt, welcher die Mütter vor, während und nach ihrer Schwangerschaft ausgesetzt gewesen waren, auf die Mütter und deren Kinder.
Die Wissenschaftler charakterisierten die epigenetischen Effekte von mütterlichem Stress auf die Erbanlagen ihrer Nachkommen, die möglicherweise eine Veranlagung zu späterer Psychopathologie verursachen können. Aus vorausgehenden Studien war bekannt, dass Stresshormone massive Veränderungen im Immunsystem nach sich ziehen können. Neu ist, dass sich auch diese Bedrohungseinflüsse so deutlich im menschlichen Genom nachweisen lassen.
Die Forscher weisen ausdrücklich darauf hin, dass ihre Studie zwar deutlich korrelierende Befunde aufzeigt, dies jedoch kein letztgültiger Beweis eines kausalen Zusammenhangs zwischen mütterlicher Gewalterfahrung und DNA-Veränderungen bei ihren Nachkommen ist. Im nächsten Schritt ihrer Forschung wollen die Konstanzer Wissenschaftler ihre Untersuchung der stressverursachten epigenetischen Veränderungen auf das gesamte menschliche Genom ausweiten und die biologischen Mechanismen detailliert analysieren.
Literatur: Radtke, K. M., et al.: Translational Psychiatry 2011;1:e21; Online-Publikation doi:10.1038/tp.2011.21
Konstanz - 30.07.2011, 09:14 Uhr