Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

22.09.2013, 08:00 Uhr


Ja, wie war er, der Apothekertag 2013 in Düsseldorf unter Leitung des ABDA-Präsidenten Schmidt? Er selbst stellte ihm und sich in seinem Resümee ein gutes Zeugnis aus. Seine Wünsche seien in Erfüllung gegangen, die Hauptversammlung war mutig, aber nicht übermütig. Man habe mutige Entscheidungen in der Hauptversammlung getroffen und Anträge angenommen ohne Übermut an den Tag zu legen. Mein liebes Tagebuch, das kann man prima vista so sehen. Man kann aber auch mal genauer hinschauen. Und dann...

Mut! Mut? Ehrlich gesagt, mein liebes Tagebuch, mal unter uns: Was könnte es gewesen sein, das der Präsident als mutig betrachtete? Wozu bedurfte es Mut? Das Diskussionsforum? Die Leitbild-Diskussion? Gab es Anträge und Entscheidungen, die mutig waren? Komm, mein Tagebuch, wir gehen mal auf Mutsuche.

Also, das Allermutigste war wohl, ein Diskussionsforum anzusetzen. Offen für alle, live gestreamt ins Internet, ohne Zeitversetzung, quasi im Netz ohne Netz und doppelten Boden. Okay, klar, mit Passwort und Zugang nur für Apotheker. Aber immerhin. Allerdings, Fachmedien wie der DAZ oder Apotheke adhoc zu erlauben, während des Diskussionsforums zu filmen, um einen kleinen zusammenfassenden Videobericht zu erstellen – soweit ging der Mut dann doch nicht. Das war strikt untersagt. ABDA-Hauptgeschäftsführer Sebastian Schmitz, zurzeit Interims-Leiter der Stabsstelle Kommunikation, hatte zwar selbst einen Tag zuvor viel von Transparenz gesprochen und davon, dass das Apothekerhaus in Berlin transparent und bildlich gesprochen ein Haus mit großen Glasfronten werden soll. Ach, ja, mein liebes Tagebuch, alles nur Gedöns. Tief im Innern sitzt die Angst. Lieber die Schotten dicht und sich im Kreis drehen als nur ein bisschen die Luken auf und sich dem Blick der Welt stellen, gell?  

Zurück zum Diskussionsforum – drei Stunden lang – wobei eine halbe Stunde dieser drei Stunden schon mal für die Präsentation eines (ja was eigentlich?), na ja, sagen wir mal eines allerallerersten Referenten-Rohentwurfs eines Leitbilds reserviert war (dazu gleich mehr).

Mein liebes Tagebuch, was hätte da im Forum alles gefragt werden und passieren können. Superkritische Fragen zur ABDA-Politik, zur Personalpolitik, zur Datenklauaffäre, zum Datenhandel, zum ABDA-Haushalt,  undsoweiterundsofort. Und was war? Nichts. Na, ja fast nichts. Jedenfalls nichts, wozu man Mut gebraucht hätte, sich dem zu stellen oder es zu beantworten. Die Diskussionen liefen echt supersittlich ab. Keine Entgleisungen, keine Tumulte. Ein Lob ans gesamte Forum. Nur so eine klitzekleine Schelte und Kritik musste sich der ABDA-Präsident schon gefallen lassen. Aber da konterte er: Diejenigen, die sich in Meinungsbeiträgen in Internetforen lautstark engagierten, seien nicht gleichzusetzen mit der „Basis“. Er streite lieber über den richtigen Weg, das sei sein Ziel. Wenn sein Tun kritisiert werde, dann halte er das aus, „das gehört zu meinem Amt“. Und bei einer kritischen Frage zur ABDA-Struktur kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen: „Die ABDA-Struktur ist gut, sie hat sich bewährt, Änderungen sind nicht angedacht.“ Punkt. Dicker Punkt. Mein liebes Tagebuch, das sitzt. Da war kein Fünkchen Reformüberlegung oder ein Miniansatz zum Nachdenken zu herauszuhören. Kein Mut für Veränderungen. Ja, vielleicht ist es mutig, nichts ändern zu wollen?

Aber das Diskussionsforum war vom Ansatz her eine Super-Sache. Es ruft nach Wiederholung. Und beim nächsten Mal wär‘s nicht schlecht, wenn man es thematisch ein bisschen besser strukturiert.

Jetzt zum großangekündigten und heiß erwarteten Leitbild: „Ich kann heute eigentlich nur enttäuschen“, begann ABDA-Vize Mathias Arnold seine Präsentation. Und er sollte Recht behalten. Denn so etwas richtig Greifbares – außer ein paar vagen Skizzen, wohin die Reise gehen soll – konnte er nicht vorstellen. Und das, obwohl die Leitbild-Arbeitsgruppe seit Januar daran gearbeitet hatte. Was verständlicherweise viele Missverständnisse bei den Delegierten hervorrief. Also: Das sogenannte Leitbild ist noch eine Vision (hoffentlich keine Fata morgana), gekoppelt mit einer Mission. Ob sie zur mission impossible wird? Das ist offen. Mein liebes Tagebuch, neun Monate Leitbild-Schwangerschaft und dann ein paar Worthülsen wie Therapiebegleitung, Patientenorientierung, neue Prozesse, Netzwerke. Ja und überhaupt, wenn wir von Leitbild reden, dann reden wir über das Jahr 2030. Aha. Andererseits, „ein Leitbild wird nicht im Jahr 2030 angeknipst“, sagte Arnold, es ist ein Prozess, der morgen beginnen könne (es aber wohl nicht tut).

Nein, mein liebes Tagebuch, seien wir nicht so despektierlich und nicht so ungeduldig. Natürlich wäre es falsch gewesen, wenn jeder Delegierte auf seinem Platz eine ABDA-rote Broschüre vorgefunden hätte mit der Überschrift „Unser Leitbild“ oder so ähnlich. Auch wenn sich der eine oder andere das gewünscht hätte. Das hätte eine offene Diskussion im Keim erstickt. Aber: vielleicht wäre es wirklich hilfreich gewesen, wenn die Arbeitsgruppe Leitbild ihre Bestandsaufnahme, Überlegungen, Vorstellungen, Visionen in ein kleines Arbeitspapier gegossen hätte – als Anhaltspunkt und Leitschnur fürs Leitbild. (Mein liebes Tagebuch, solche Aufzeichnungen dazu existieren – mit Sicherheit!) So ein Papier wäre auch förderlich, wenn nun, wie angekündigt, in den Mitgliedsorganisationen darüber eine Meinungsfindung in Gang kommen soll. Auf welchem Hintergrund soll man dort diskutieren? Fängt da jede Kammer wieder von vorne an zu überlegen? Auf jeden Fall: Man hat sich wohl dazu entschlossen, den Weg hin zu einem neuen Leitbild zu gehen. Wir sind gespannt, mein liebes Tagebuch, wie die Leitbild-Diskussion in den Mitgliedsorganisationen aufschlagen wird. Immerhin kündigte der ABDA-Präsident an: Auf dem Apothekertag 2014 soll das Leitbild präsentiert werden. Vielleicht versteht er das unter „mutig“? Aus meiner Sicht, mein Tagebuch, war es mutig, mit einer Leitbilddiskussion erst im Jahr 2013 zu beginnen.


Mutig war es auch zu glauben, man könne über 70 Anträge in der angesetzten Zeit abarbeiten und ausdiskutieren, mein liebes Tagebuch. Mitnichten. Da lief das Zeitmanagement aus dem Ruder, was zu kreativen Ansätzen auf der Hauptversammlung führte. Zum Beispiel dazu, die etwas unbequemen Anträge aus Brandenburg, die sich kritisch mit der Apothekenbetriebsordnung befassten, mal komplett in den Ausschuss zu befördern. Erleichterung bei vielen im Saal, denn die Apothekenbetriebsordnung noch mal anzufassen, hielten einige für „brandgefährlich“. Lieber darauf hinwirken, dass die Auslegung mancher unbequemer Vorschriften wie beispielsweise die Barrierefreiheit „mit Augenmaß“ umgesetzt werden. Und so gesehen: Vielleicht tut es diesen Anträgen ja auch gut – bevor sie auf dem Apothekertag zerredet, abgebügelt oder beerdigt werden. Andererseits, die Ausschuss-Diskussionen finden nicht öffentlich statt. Presse muss draußen bleiben. So gesehen: gar nicht mutig. Dennoch, Kopf hoch, Brandenburger, was lange währt...

Oder war es mutig, den Politikern mit auf den Weg zu geben, man brauche neue Vergütungsformen für neue Leistungen des Apothekers? Oder die Forderung, dass man in regelmäßigen Abständen, etwa alle zwei Jahre, bitte schön das Apothekenhonorar überprüfen und anpassen solle? Und man auch eine Erhöhung der BtM-Gebühr und der Rezepturarbeitspreise braucht?

Ja, mein liebes Tagebuch, vielleicht leitete der Präsident das Attribut „mutig“ von dem einen oder anderen Antrag ab, der auf dem Apothekertag behandelt wurde? Ehrlich gesagt, so richtig kann ich hier „mutige“ Anträge nicht erkennen. So scheiterte wieder einmal, wenn auch nur knapp, der (fast schon) Dauerbrenner-Antrag, die Apotheker mögen auf eine stimmberechtigte Mitgliedschaft im Bundesausschuss (G-BA) drängen.
War es mutig den Verordnungsgeber aufzufordern, die „Pille danach“ aus der Verschreibungspflicht zu entlassen? Jetzt, wo die Bundesregierung bereits die Weichen dazu gestellt hat und ein solches Votum hierfür von den Apothekern eh zu spät kommt?
Oder war es mutig, sich dafür auszusprechen,dass die Klausel zur Reimportförderung längst überholt ist und abgeschafft werden sollte?

Und dann die wirklich mutige Forderung der Apothekerkammer Nordrhein und zahlreicher Apothekerinnen und Apothekern, den ABDA-Präsidenten von der Hauptversammlung, sprich auf dem Apothekertag wählen zu lassen. Doch da war von einem Mut der Hauptversammlung nichts zu spüren. Bloß nichts verändern, hieß die Parole der Traditionalisten, die sich letztlich durchsetzten. Dabei wäre das wirklich mal ein mutiger Ansatz gewesen, allen Apothekerinnen und Apothekern zu zeigen: Wir meinen es ernst mit der Offenheit. Es hätte ein positives Gefühl vermittelt, schaut her, wir reden nicht nur über Offenheit, wir sind auch offen. Und für die Bewahrer wäre es nur ein kleines Restrisiko gewesen: Der üblicherweise in den ABDA-Gremien ausgeguckte Kandidat, auf dem man sich traditionell vorher schon einigt und abspricht, müsste sich vor allen Delegierten präsentieren – und könnte letztlich nicht die Mehrheit aller finden. Aber dieses Restrisiko schien man nicht eingehen zu wollen.

Ja, und noch ein mutiger Antrag wurde von der Mehrheit der Hauptversammlung nicht  angenommen: die Veröffentlichung von Beschlüssen und Stellungnahmen, die die ABDA als Vertretung des Berufsstands im Namen der Apothekerinnen und Apotheker abgibt, sollte nach Ansicht der Apothekerkammer Berlin auf der ABDA-Homepage veröffentlicht werden. Da wurden Bedenken laut, man liefere den Gegnern der Apotheker Argumente frei Haus. Ohgottohgott, mein liebes Tagebuch, das heißt doch nicht, dass man seine Strategien mitteilt. Beschlüsse und Stellungnahmen lassen sich doch kaum geheim halten. Sie müssen umgesetzt werden und damit werden sie zwangsläufig bekannt. Eine Veröffentlichung hätte Offenheit, Diskussionsfreude und Mut gezeigt.

Mein liebes Tagebuch, machen wir einen Strich unter den Apothekertag. Was kommt heraus? Es war ein sachorientierter arbeitsreicher Apothekertag. Mit sachlich geführten Diskussionen im Plenum und einer wackeren Sitzungsleitung. Ein übers Internet gestreamtes Diskussionsforum sollte wohl eine gewisse kosmetische Öffnung nach außen symbolisieren. Und ein zaghafter Versuch, ein neues Leitbild des Apothekerberufs zu schaffen, keimte auf. Ernsthafte Sorge zur Annahme, die  Hauptversammlung der deutschen Apothekerinnen und Apotheker könnte Übermut zeigen oder je übermütig werden, besteht nicht und wird wohl auch weiterhin nicht bestehen. Allein ein bisschen mehr Mut – das könnte beim nächsten Mal nun wirklich nicht schaden.


Peter Ditzel