TK-Innovationsreport 2014

Neue Arzneimittel im Blick behalten

Berlin - 02.04.2014, 16:54 Uhr


Seit 2011 muss jedes in Deutschland neu eingeführte Arzneimittel seinen Zusatznutzen gegenüber bereits vorhandenen Therapien unter Beweis stellen. Doch mit dieser frühen Nutzenbewertung ist es nicht getan, meint die Techniker Krankenkasse. Die neuen Arzneimittel müssten viel länger im Blick behalten werden. Erst im Versorgungsalltag zeige sich, wie groß ihr Nutzen wirklich ist. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) meint, er komme dieser Forderung bereits nach.

Die Erkenntnis ist nicht neu: Zum Zeitpunkt der Markteinführung ist noch nicht bekannt, welchen therapeutischen Fortschritt neue Arzneimittel im realen Versorgungsalltag darstellen. Bestätigt wird sie nun durch den zweiten TK-Innovationsreport, den Wissenschaftler der Universität Bremen erstellt haben. Prof. Dr. Gerd Glaeske und sein Team nahmen 20 Wirkstoffe, die 2011 – also im ersten AMNOG-Jahr – auf den Markt gekommen sind, unter die Lupe. Dabei zeigte sich: Für sieben dieser Wirkstoffe haben die Hersteller im Nachhinein Rote-Hand-Briefe verschickt, mit denen sie über nachträglich bekannt gewordene Risiken informierten. So gab es etwa allein zum MS-Arzneimittel Fingolimod (Gilenya®) vier Rote-Hand-Briefe.

Ohnehin erwiesen sich aus Sicht der Studienautoren nur drei der 20 Medikamente als echte Innovationen. Zur Bewertung zogen die Wissenschaftler auch Studien heran, die nach Markteinführung publiziert wurden. Überdies nutzten sie Daten der TK, um zu sehen, wie die Arzneimittel im Versorgungsalltag ankommen. Für die konkrete Bewertung nach dem Ampelschema wurden Punkte in drei Kategorien vergeben: Verfügbare Therapien (handelt es sich um eine weitere Therapieoption oder wird die medikamentöse Behandlung einer Krankheit erstmals ermöglicht?), Zusatznutzen und Kosten. Als wirklich innovativ bewertete das Glaeske-Team die Wirkstoffe Ticagrelor, Tafamidis und Abirateron – für sie leuchtet die „grüne Ampel“. Zehn weiteren Substanzen attestierte es zumindest einen begrenzt innovativen Charakter (gelb), die übrigen sieben bekamen eine „rote Ampel“ verpasst.

Für Dr. Jens Baas, Vorsitzender des TK-Vorstands, zeigt dies: „Eine einmalige Bewertung neuer Arzneimittel reicht im Grunde nicht aus. Was wir brauchen, sind weitere Spätbewertungen mit Erfahrungen aus dem Versorgungsalltag, um den tatsächlichen Nutzen neuer Medikamente besser einschätzen zu können.“ G-BA-Chef Josef Hecken reagierte prompt: Eine solche Folgebewertung sei „schon längst geübte Praxis“. Wenn zum Zeitpunkt der Nutzenbewertung noch Evidenzlücken vorliegen, befriste der G-BA seine Beschlüsse schon jetzt regelhaft. Unabhängig davon habe der pharmazeutische Unternehmer bei neuer Evidenzlage ohnehin die Möglichkeit, nach einem Jahr eine weitere Bewertung eines Arzneimittels zu beantragen.

Kritik äußerten TK-Chef Baas, Glaeske und Ludwig zudem an der Entscheidung des Gesetzgebers, die Nutzenbewertung von Arzneimitteln des Bestandsmarktes zu beenden. „Hier gibt es noch viele Wirkstoffe, die wir gar nicht brauchen", so Ludwig. Der G-BA habe bereits genau die richtigen identifiziert. Und der AKdÄ-Vorsitzende ist überzeugt, dass hier kräftig hätte gespart werden können. Im Innovationsreport verpasst Glaeske auch nicht die Gelegenheit, drei Präparate des Bestandsmarktes genauer zu betrachten: Inegy®, Targin® und Lyrica®. Wenig überraschend leuchtet für alle drei die rote Ampel.

Baas hofft nun, dass viele Ärzte den Innovationsreport zu Rate ziehen werden, um sich unabhängig über neue Arzneimittel zu informieren. Auch Ludwig legt seinen Kollegen und Kolleginnen den Report – ebenso wie andere unabhängige Informationsquellen zu Arzneimitteln – ans Herz. Er verstehe nicht, warum sie bislang noch immer lieber Hochglanzbroschüren der Industrie lesen, die lediglich desinformieren.


Kirsten Sucker-Sket