Orphan Drugs

Wer soll das bezahlen?

Remagen - 13.06.2014, 11:15 Uhr


Wenn künftig noch deutlich mehr seltene Leiden mit Medikamenten behandelt werden können, wäre dies wohl nicht mehr bezahlbar. Dies geht aus Berechnungen zum US-amerikanischen Markt für Orphan Drugs hervor, die in der Biotech-Publikation „Genetic Engineering & Biotechnology News“ veröffentlicht wurden.

In den USA ist eine „orphan disease“ definiert als Krankheit, von der 200.000 oder weniger Menschen in den USA betroffen sind. Hiernach gibt es dort fast 7.000 seltene Krankheiten mit insgesamt 30 Millionen Patienten. Wie der Orphanet-Liste, einem Onlineportal zu seltenen Erkrankungen, zu entnehmen ist, ist die größte Patientengruppe die der Kategorie „weniger als 600 Betroffene“; meist sind sogar weniger als 60 Personen betroffen. Kommerziell können diese Patientengruppen kaum attraktiv sein.

Wo ist demzufolge der potenzielle Markt für Orphan Drugs? Theoretisch kommen nach den GEN-Berechnungen 3.500 seltene Krankheiten für eine Orphan-Drug-Entwicklung infrage, weil sie mehr als 6.000 US-Bürger betreffen. Bislang stehen nur für zwölf Prozent dieser Krankheiten Medikationen zur Verfügung. Angenommen, die 3.500 orphan diseases erfassten im Schnitt 15.000 Patienten, so resultierte hieraus bei Jahrestherapiekosten in Höhe von 50.000 US-Dollar pro Person ein potenzieller Jahresumsatz von 2,6 Billionen US-Dollar. Das sei weit mehr als das Doppelte des weltweiten Vertriebs für die gesamte Pharmaindustrie.

Der einzige Ausweg, orphan diseases auch in Zukunft finanzieren können, wird darin gesehen, die Preise für die Medikamente radikal zu reduzieren, vielleicht um mehr als das Zehnfache. Dann würden die Pharmaunternehmen aber nicht mehr mitmachen, weil sich das für sie dann nicht mehr rechne, so wird vermutet. Schließlich müssten die Unternehmen die hohen Ausgaben für die Forschung und Entwicklung aus Verkäufen an nur einer kleinen Zahl von Patienten wieder hereinholen. Die Politik werde sich dann etwas anderes einfallen lassen müssen, meint GEN, wie etwa stiftungsfinanzierte Forschung und Entwicklung, um die Versorgung der Patienten nicht ins Stocken geraten zu lassen.  

Bislang scheint das Interesse der US-amerikanischen Pharmaindustrie an Orphan Drugs allerdings ungebrochen zu sein: Sie nutzen die Anreize der FDA für Entwicklungen, die im Wesentlichen in Steuergutschriften für die klinische Forschung und sonstige Tests bestehen. Außerdem hat eine Studie von EvaluatePharma aus dem Jahr 2013 festgestellt, dass die Kosten für Phase-III-Studie bei einem Arzneimittel für seltene Krankheiten „lediglich“ bei 85 Millionen US-Dollar liegen sollen, im Gegensatz zu einem sonstigen allgemeinen Schnitt von 186 Millionen US-Dollar.  

Vor dem Orphan Drug Act aus dem Jahr 1983 wurden in den USA nur 38 Orphan Drugs zugelassen. Bis Ende 2013 hatte die FDA bereits 425 Medikamente mit Orphan-Indikationen genehmigt. Ihr weltweiter Umsatz wird auf 90 Milliarden US-Dollar beziffert, das sind neun Prozent des globalen Marktes für rezeptpflichtige Arzneimittel. Die Umsatzerlöse werden voraussichtlich auf 127 Milliarden US-Dollar im Jahr 2018 wachsen.

Das FDA Office of Orphan Products Development (OOPD) berichtet für 2013 von einem Rekord von 260 Zulassungsanträgen für Orphan Drugs, ein Sprung von fast 40 Prozent gegenüber 2012. Ein ehemaliger FDA OOPD Direktor glaubt: „Es ist durchaus vorstellbar, dass Orphan Drugs eines Tages die meisten von der FDA zugelassenen Medikamente ausmachen.“


Dr. Helga Blasius


Das könnte Sie auch interessieren

US-amerikanische Berechnungen: Medikamente müssen günstiger werden

Teure Orphan Drugs

Noch immer fehlen Orphan Drugs

Hilfe für die wenigen

Tag der seltenen Krankheiten

„Forschen hilft heilen!"

Auch Arzneimittel für seltene Krankheiten müssen ihre klinische Effektivität zeigen

Wie „nützlich“ sind Orphan Drugs?

US-Studie zu Arzneimittelentwicklung

Patentexklusivität wird immer kürzer