Elektronische Gesundheitskarte

Kassen rufen nach Bundesregierung

Berlin - 18.06.2014, 16:13 Uhr


Elf Jahre nach dem Beschluss zur Einführung der elektronischen Gesundheitskarte droht das IT-Projekt zum Milliardengrab zu werden. Krankenkassen und Ärzte, die die „eGK“ mit Kliniken, Apothekern und der Industrie gemeinsam einführen sollen, haben sich bei dem Projekt zerstritten. Jetzt rufen die Kassen die Bundesregierung um Hilfe – und die will die Zügel anziehen.

Zerknirschung gehört zum guten Ton, wenn die Verantwortlichen von der eGK reden – gepaart mit Schuldzuweisungen. „Wir haben die Komplexität dieses Projekts unterschätzt“, sagt die Chefin des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer. „Und ich glaube, das hat auch die Industrie getan.“ Sie deutet damit an, dass die IT-Firmen etwa bei Hard- und Software hinterherhinkten. Unternehmen wie T-Systems, arvato Systems und CompuGroup Medical sind Partner der von Kassen, Ärzten, Apothekern und Kliniken getragenen Betreibergesellschaft gematik.

Doch bei den Betreibern selbst läuft es alles andere als rund. Wie ist der Stand? Laut den Kassen haben mittlerweile 97 Prozent der 70 Millionen gesetzlich Versicherten die eGK. Das Problem: Die einzige Neuerung im Vergleich zur alten Versichertenkarte ist das Passbild. Ab kommendem Jahr sollen Versichertendaten etwa bei Adressänderungen schnell geändert werden können. Doch erst ab 2018 soll es medizinisch sinnvolle Anwendungen geben – etwa das Speichern von Vorerkrankungen oder die Übermittlung elektronischer Fallakten.

Doch wird daraus überhaupt etwas? „Das sind Planungen“, sagt Christian Zahn vom Verwaltungsrat des Kassenverbands – „wenn die Hemmnisse so weitergehen, wird daraus nichts“. Gemeint sind damit vor allem die Ärzte. So haben die Mediziner auf dem jüngsten Ärztetag nur äußerst knapp den Antrag scheitern lassen, sich ganz aus dem Projekt zurückzuziehen. Und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) wird nicht müde, ein eigenes Netz (KV-SafeNet) als Datenautobahn für die Gesundheitsinformationen der Versicherten zu propagieren – was die Kassen als unsicher ablehnen.

880 Millionen Euro hat die eGK bisher gekostet – 2014 sollen es mehr als eine Milliarde werden. Umsonst? Die Karte verspricht Verbesserungen. Sobald sie als Schlüssel für Online-Kommunikation über als sicher geltende Server funktioniert, sollen Ärzte Befunde und andere Informationen elektronisch übermitteln und Fallakten über den Behandlungsverlauf ausgetauscht werden können. Nach der Entlassung von Patienten aus der Klinik haben niedergelassene Ärzte heute oft wenig Ahnung, was dort passiert ist. Und welche Arzneimittel die Patienten schlucken, wissen die verschiedenen behandelnden Ärzte auch oft nicht.

Doch Sorgen um die Sicherheit sind gewachsen seit dem Bekanntwerden etwa der Datenspionage von Geheimdiensten. Und GKV-Chefin Pfeiffer wirft den Ärzten indirekt vor, den Versicherungen kaum Einblick in die Datenströme geben zu wollen: „Für die KBV ist es wichtig, eine Infrastruktur zu haben, die sie selbst in der Hand hat.“ KBV-Chef Andreas Gassen kontert, die Kassen wollten zunächst nur ihre Aufgabe, die Adress- und andere Stammdaten der Versicherten zu verwalten, auf die Arztpraxen abwälzen. Weil die Ärzte dies nicht mitmachten, gäben die Kassen ihnen nun den Schwarzen Peter an dem Debakel. „Diese Taktik ist durchschaubar und mies“, wettert Gassen.

Die Bundesregierung hat sich aus dem Streit bisher vorwiegend herausgehalten. Jetzt fordern die Kassen wirksame Fristen zur Einführung der Karte mit Funktionen – und sie wollen mit Blick auf die Ärzteschaft Sanktionen bei einer Blockade. „Das schafft nur der Gesetzgeber“, sagt ihr Verwaltungsratschef Volker Hansen. Nun zeigt sich auch die Koalition alarmiert. Die Karten müsse endlich Verbesserungen bringen, sagt CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn. „Dafür lohnt es sich auch, die gesetzlichen Zügel anzuziehen und weiter Druck zu machen.“

Die Linksfraktion fordert derweil einen Stopp des ganzen Projekts und die Neukonzeption einer zeitgemäßen Telematik-Infrastruktur. „Statt immer mehr Krankenkassenbeiträge in dieses schwarze Loch zu versenken, sollte sich die Bundesregierung von der zentralen Speicherung von Patientendaten verabschieden und dezentrale Speichermedien fördern, bei denen auch die Datensicherheit gewährleistet werden kann“, mahnt Kathrin Vogler, Sprecherin für Arzneimittelpolitik und Patientenrechte. Und klar ist auch: 2017 sollen laut den Kassen bundesweit alle ausgegebenen Gesundheitskarten ausgetauscht werden, denn dann müssen bisher benützte Sicherheitsschlüssel erneuert werden. Einen dreistelligen Millionenbetrag könnte der Austausch kosten.


dpa/DAZ.online