Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

21.09.2014, 08:00 Uhr


Das war er, der Deutsche Apothekertag 2014. Mal kurz zusammengefasst: Das Perspektivpapier ist verabschiedet, Apothekerinnen und Apotheker wollen mehr Heilberuf. Sie wollen aber auch eine Überprüfung des Honorars, mehr Geld für Rezepturen und Doku. Die Importquote und Nullretaxationen bei Formfehlern sollen weg. Viel Lob von den Politikern, aber null Zusagen für Bares. Und, mein liebes Tagebuch: Es war eine schöne Rede des ABDA-Präsidenten.

17. bis 19. September 2014

Vielleicht liest sich das alles besser, wenn wir heute erst mal einen Piccolo öffnen. Es gibt ja auch einen Grund: Das Perspektivpapier ist verabschiedet. Jetzt kann’s losgehen. Und nach dem ersten Schluck kommt schon die Ernüchterung: Die Politik mag uns, aber wenn’s ums Geld geht, verspricht sie nichts. Sie will prüfen und beobachten, das ist das höchste der Gefühle. Mein liebes Tagebuch, und dann gab’s da noch das Wunschkonzert der Anträge, was Apothekers wollen oder nicht wollen. Aus dem einen oder anderen Antrag könnte sogar was werden. Mein liebes Tagebuch, wenn du magst, hier ein paar tiefschürfende Highlights:

Die deutschen Apothekerinnen und Apotheker haben wieder eine Perspektive. Endlich. Na ja, zumindest haben sie ein Perspektivpapier, das sie mit großer Mehrheit verabschiedeten. Entstanden ist es aus einem einjährigen Diskussionsprozess, an dem sich alle Apothekerinnen und Apotheker beteiligen konnten. Ursprünglich sollte es ein Leitbild werden. Als man es fertig geschrieben hatte, sah man, dass es eher eine Perspektive bis zum Jahr 2030 darstellte – und so ward daraus ein Perspektivpapier. Mein liebes Tagebuch, ist ja auch in Ordnung, wenn man weiß, wohin man will, nämlich: „Im Kern geht es darum, dass die Apotheken ihr heilberufliches Profil schärfen und in einem Netzwerk zusammen mit Ärzten und anderen Akteuren eine enge Begleitung und ein systematisches Medikationsmanagement für Patienten ermöglichen“, so fasste es Friedemann Schmidt, der ABDA-Präsident, zusammen. Also, die pharmazeutische Kulisse soll so aussehen: Vorne auf der Bühne steht der Heilberuf im Rampenlicht, der Kaufmann tritt in den Hintergrund – und manche befürchten schon, er fällt hinten runter. Aber nein, im Perspektivpapier ist er mit ein, zwei Sätzen doch drin – das muss reichen. 

Ja, mein liebes Tagebuch, viel Herzblut haben alle, die an diesem Papier mitgearbeitet haben, da rein gesteckt – und das nimmt man ihnen auch ab. Mathias Arnold, ein oder besser der Vater des Papiers, wirkte denn auch sichtlich erleichtert, als es mit überwältigender Mehrheit von den Delegierten abgesegnet wurde. Schließlich sollen die Anstrengungen später mal belohnt werden. So ließen ABDA-Vize Arnold und Fritz Becker vom Deutschen Apothekerverband keinen Zweifel dran, dass das  Medikationsmanagement „nicht zum halben Preis angeboten wird“. Ziel sei eine Gebührenordnung für neue Dienstleistungen. Klingt doch gut, mein liebes Tagebuch – wenn’s denn irgendwann mal kommt.

Um sich zu vergewissern, wie Außenstehende das Perspektivpapier sehen, hatte man den Gesundheitsökonomen und Pharmakritiker Professor Gerd Glaeske, den Pharmakologen Professor Hartmut Derendorf aus Gainsville (Florida) und den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Andreas Köhler zum Gespräch eingeladen.

Glaeske war begeistert vom Papier, es sei eine der wichtigsten Entscheidungen der Apothekerschaft überhaupt. Aber er sagte auch, was der eine oder andere ABDA-Funktionär bereits befürchtet: Das Papier wird zu einer Differenzierung innerhalb der Apothekerschaft führen, es wird eine Arbeitsteilung geben, vor allem wenn das Medikationsmanagement honorierungsfähig sein soll. Mein liebes Tagebuch, im Klartext heißt das: zwei Klassen von Apotheken – die einen, die das Medikationsmanagement leisten wollen und können und dafür bezahlt werden, und die anderen, die es nicht wollen und nicht können. Aber, so lenkten ABDA-Vertreter ein: Jede Apothekerin, jeder Apotheker muss grundsätzlich die Möglichkeit haben, die nötigen Kompetenzen zu erwerben. Man konnte auch heraushören, dass nicht für jede Apotheke das große Medikationsmanagement passt, es könnte auch ein „universalistisches Medikationsmanagement“ angeboten werden, wie es der ABDA-Vize Arnold so nett formulierte, also wohl ein bisschen Medikationsplan und Medikationsanalyse. Na, da wird noch die eine oder andere Diskussion auf uns zu kommen.

Auch für Derendorf ist das Perspektivpapier der richtige Weg, allerdings müsse die Ausbildung geändert werden: Neben dem rein naturwissenschaftlichen Aspekt müssten auch medizinische, soziale und kommunikative Aspekte berücksichtigt werden. Am besten: Ein weißes Blatt Papier nehmen und aufschreiben, was ein Apotheker in Zukunft können muss und dann die Ausbildung auf neue Füße stellen. Mein liebes Tagebuch, das wäre ein Traum! (Und wird wohl einer bleiben.)

Dann der Wermutstropfen des Ärztevertreters Köhler: Wenn Ärzte das Papier lesen, dann glauben sie, dass die Apotheker alles besser wissen wollen; dann haben die Ärzte Sorgen, die Apotheker könnten ihnen etwas wegnehmen, und wenn Apotheker dann noch Prävention machen wollen, fühlen sich die Ärzte provoziert. Na super, mein liebes Tagebuch, da kommen sichtlich Urängste zu Tage. Fragt sich nur, ob die eher bei der Köhlerschen Generation der Ärztefunktionäre festsitzen? Vielleicht ist die jüngere und nachwachsende Ärzteschar doch schon ein paar Schritte weiter und sieht den Apotheker als Partner. Wäre zu hoffen. Ein paar dicke Bretter werden wohl noch gebohrt werden müssen.

So, und was passiert nun? Ein fertiger Plan, wie das Perspektivpapier jetzt konkret umgesetzt wird, liegt nicht in der Schublade. Eine Umsetzungsstrategie wird ab Montag erarbeitet. Den Zeithorizont 2030, wie er im Papier steht, solle man allerdings nicht so ernst nehmen, meinte der ABDA-Hauptgeschäftsführer Schmitz. Wichtig ist, dass ein Veränderungsprozess beginnt. Gearbeitet wird zurzeit an einem Curriculum für die Fortbildung in Richtung Medikationsmanagement.

Was gab’s noch auf dem Apothekertag? Die politischen Grußworte. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe war da, lobte die Apotheken und ihre Leistungen, versprach, sich ihre Sorgen und Nöte anzusehen (Honorare, Retax, Lieferengpässe), ließ aber alles offen. Zusagen für Honorare machte er nicht. Ein Politprofi eben. Weitere Grußworte gab’s von Dr. Georg Nüsslein (CDU (CSU), der bayerischen Gesundheitsministerin Melanie Huml, Sabine Dittmar (SPD) und Kathrin Vogler (Die Linke), die alle die Apotheken schätzen. Fein, wir kommen drauf zurück, mein Tagebuch, wenn’s ums Geld geht.

Noch mehr Politik und konkrete politische Äußerungen sollte eine zweistündige politische Diskussionsrunde bringen mit Jens Spahn (CDU/CSU) und Harald Weinberg (Die Linke). Das brachte sie auch, aber es war ein Rundumschlag von Armin, Telematik, Lieferengpässen, Importen hin zum Honorar, dann über die „Pille danach“ hin zu Nullretax und zum Notdienstfonds. Immerhin gab’s klare Aussagen von Spahn zum Honorar: „Ich mache keine Versprechungen. Einen Automatismus der Erhöhung kann ich nicht versprechen.“ Mein liebes Tagebuch, da wissen wir, woran wir sind. Immerhin, das hat er dann doch versprochen: „Wenn die 120. Mio. Euro beim Not- und Nachtdienstfonds nicht erreicht werden, dann schauen wir, woran es liegt, und dann müssen wir an der Stellschraube drehen.“ Und er brachte eine Denkaufgabe zur Finanzierung der Apothekerhonorarwünsche mit: Die Politik könnte doch aus den Großhandelsrabatten eine Summe „herausschneiden“ und für gezielte Honoraranhebungen umfinanzieren. Fritz Becker (Deutscher Apothekerverband) und Andreas Kiefer (Bundesapothekerkammer) hatten Euro-Zeichen in den Augen: „Darüber können wir schnell nachdenken, wenn Sie uns die Summe garantieren.“ Mein liebes Tagebuch, ups, da haben die beiden wohl vorschnell gedacht, oder? Denn mit der Spahnschen Denkaufgabe würden wir uns ins eigene Fleisch schneiden. Jetzt bekommen die Apotheken das Geld vom Großhandel als Rabatt; wenn’s „herausgeschnitten“ und umverteilt würde, müssten die Apotheken was dafür leisten. Außerdem: die Gefahr, dass dann der letzte Rest des Großhandelsrabatts flöten geht – die wäre riesig.

Er hat eine schöne Rede gehalten, unser ABDA-Präsident Friedemann Schmidt. Im Ernst. Einen Bericht abzugeben zur Lage der Apotheke in einer Zeit, in der mehr Apotheken schließen als eröffnen, in der man erst mal nur ein Perspektivpapier für die Zukunft hat und noch keine Strategie, in der keine Honorarüberprüfungen oder -anpassungen in Sicht sind, in der die Krankenkassen die Apotheken mit Nullretax triezen, und dann am Schluss trotzdem beim Zuhörer hängen bleibt, dass „der Apothekerberuf ein wunderbarer Beruf ist“, „die Apotheke ins Dorf gehört“ und wir „das Glück für unseren Berufsstand erreichen werden“ – das muss man können. Und er hat es überzeugend, Mut machend rübergebracht. Also, ABDA, mach was draus.

Wo’s klemmt und wo Baustellen im Einzelnen sind, offenbarte der Bericht des ABDA-Hauptgeschäftsführers Sebastian Schmitz. Da ist das Perspektivpapier, „bei dem es konkret um die Veränderung des beruflichen Alltags in der Apotheke gehen wird, wenn wir mit unseren Vorstellungen Ernst machen wollen“. Mein liebes Tagebuch, ob das schon allen Kolleginnen und Kollegen so klar ist? Die Arzneimittelinitiative Armin, die in Sachsen und Thüringen angelaufen ist, kann und wird einen kleinen Vorgeschmack geben. Wie drückte es Schmitz so schön aus: „Nicht jeder, der fünf Arzneimittel, die ein Patient einnimmt, auflistet und die Liste ausdruckt, betreibt Medikationsmanagement.“

Dann gibt es da noch so Projekte wie Telematik und elektronische Gesundheitskarte, die weiter vorangetrieben werden, oder Securpharm gegen Arzneifälschungen. Mein liebes Tagebuch, das sind Mammut-Aufgaben, was vor allem daran liegt, dass hier die unterschiedlichsten Interessen von Verbänden auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen sind. Da kann’s schon mal knirschen, was den Ablauf verzögert. Ganz abgesehen von ein  bisschen Technik, die auch funktionieren muss.

Was auch im Geschäftsbericht vorkam: die Honorierung, bei der die ABDA am Ball bleiben will: Erhöhung der Rezepturzuschläge um das Fixum von 8,35 Euro, höhere BtM-Zuschläge, mehr Zuführungen für den Nacht- und Notdienstfonds, damit 120 Mio. Euro erreicht werden. Und das Mindeste, was der Gesetzgeber tun muss: Zeiträume festlegen, innerhalb derer die Anpassung des Festzuschlags überprüft wird. Aber, mein liebes Tagebuch, da war ja weit und breit kein Signal aus der Politik zu sehen.

Auch beim Retax-Problem, das Schmitz ansprach, kommen die Apotheker mit den Kassen nicht weiter. Schmitz: „Jetzt ist der Gesetzgeber am Zug.“

Zu einem Deutschen Apothekertag gehört die Antragsberatung wie die Pelle zur Wurst. Verrät sie doch viel vom dem, was drin steckt. ABDA-Präsident Schmidt hatte es in seinen Schlussworten so formuliert: Vielleicht fehlte uns manchmal noch der Mut, weitere Schritte zu gehen.“ Mein liebes Tagebuch, das war gut analysiert. Der fehlende Mut zeigte sich vor allem in solchen Anträgen, die ein bisschen mehr Transparenz, ein bisschen mehr Offenheit in den inneren ABDA-Strukturen zum Ziel hatten. Da zog die Apothekerkammer Nordrhein ihren Antrag zur Wahl des ABDA-Präsidenten auf dem Apothekertag und der Hessische Apothekerverband (HAV) schon mal zwei Anträge vorab zurück: zur Struktur der ABDA und des Haushalts und zur Transparenz bei Projekten. Warum diese Anträge zurückgezogen wurden, darüber wurde nichts gesagt.

Zu den wichtigsten Anträgen: Schlechte Erfahrungen mit der Behandlung der Anträge hatte die LAK Thüringen nach dem letzten Apothekertag gemacht. Deshalb stellte sie in diesem Jahr einen Antrag, der u. a. forderte, alle Anträge in eine Datenbank zu stellen, in der man den Bearbeitungsstand etc. verfolgen kann, und diese Datenbank über eine interne ABDA-Internetseite zugänglich zu machen. Ein wirklich sinnvoller, längst überfälliger Antrag, so meinten auch viele Delegierte. Nicht so die ABDA. Bei der Abstimmung wurde denn auch eine Mehrheit dafür verfehlt.

Schade war’s auch für einen Adhoc-Antrag aus dem Kammerbereich Westfalen-Lippe, der leider nicht rechtzeitig eingebracht worden war und auf dem Apothekertag nicht als dringlich begründet werden konnte. Dieser Antrag sprach sich dafür aus, eine Strukturkommission mit internen und externen Fachleuten zu besetzen, um eine Managementberatung der ABDA durchzuführen mit dem Ziel einer strukturellen und organisatorischen Fortentwicklung der ABDA. Mein liebes Tagebuch, dieser Antrag sollte im nächsten Jahr wieder erscheinen, und dann rechtzeitig!

Immerhin, ein klein wenig mehr Transparenz konnte dann doch erreicht werden. Die Delegierten sprachen sich dafür aus, dass abschließende Stellungnahmen der ABDA auf der ABDA-Homepage zu veröffentlichen sind, soweit die Veröffentlichung berufspolitische Ziele nicht beeinträchtigt. Liebe ABDA, das wird bestimmt nicht weh tun!

Und welche Anträge waren sonst noch wichtig? Natürlich die Forderung nach jährlicher Überprüfung des Festzuschlags und Änderung der Methodik für den Anpassungsbedarf, eine Erhöhung der BtM-Gebühr, 8,35 Euro auch für Rezepturen und mehr Geld für den Nachtdienstfonds. Dann: Weg mit den Nullretaxationen bei Formfehlern und weg mit der Importabgabeverpflichtung.

An eine Mitgliedschaft im Gemeinsamen Bundesausschuss will man nicht ran. Selbst die Forderung, bis zum nächsten Apothekertag eine Dokumentation zu erstellen, um dann darüber zu beraten, ob die ABDA Mitglied im Gemeinsamen Bundesausschuss werden soll, lehnten die Delegierten ab.

Was kommen soll: Apotheker sollen in der Selbstmedikation evidenzbasiert beraten können. Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker soll die Daten dazu aufarbeiten.

Der Apothekertag sprach sich auch gegen On-Pack-Promotions der Industrie aus, also z. B. Erkältungsmittel mit Apfelsinenschäler-Zugabe als Kaufanreiz. Gut so, mein liebes Tagebuch, das passt nicht zu Arzneimitteln.

Und dann war da noch der Antrag der LAK Thüringen, mit dem eine bundesweite Kampagne zur Gewinnung des  Nachwuchses auf die Beine gestellt werden sollte. Aber das war den Delegierten dann doch zu teuer, „wir hauen hier Millionen raus“. Ob wir auch ohne Kampagne genügend Nachwuchs rekrutieren?

So, mein liebes Tagebuch, das war für Dich das Wichtigste. Was wird bleiben? Es war ein historischer Apothekertag, der Startschuss zum Perspektivpapier. Alles Weitere wird man sehen.


Peter Ditzel