Tagebuch-Notiz

Am Nikolaustag in Schwäbisch Hall

Schwäbisch Hall - 06.12.2014, 16:00 Uhr


Weihnachtsmarkt vor den berühmten Stufen der St. Michaelskirche, fröhliche Menschen mit Nikolausmützen, Glühweinstände, leckere Bratwürste vom Schwäbisch-Hällischen Schwein – mein Ausflug am Nikolaustag führte mich aus gegebenem Anlass nach Schwäbisch Hall. Ein nettes Städtchen. Doch in dieser Woche war es das Epizentrum eines Abmahn-Tsunamis, losgetreten vom Schwäbisch-Hällischen Apotheker Hartmut Wagner. Ich machte mich auf den Weg, ihn zu besuchen...

Wagners Brücken-Apotheke liegt unmittelbar am Kocher, einem Nebenfluss des Neckars. Um zur Brücken-Apotheken zu gelangen, muss man von der schönen historischen Altstadt kommend über die Henkersbrücke. Ich hab’s gewagt. Und da taucht sie vor einem auf: die Brücken-Apotheke. Es ist Samstagmorgen, gegen 11 Uhr. Schon von weitem macht die Apotheke keinen lebendigen Eindruck, dunkle Schaufenster, dunkler Eingang. Zwei Passanten vor mir rütteln an der Tür. Nichts tut sich. Die Apotheke hat geschlossen.

Ich schaue auf einen gelben Karton, der im unteren Eingangsbereich mit Klebstreifen angebracht ist: die Öffnungszeiten, montags bis freitags – von samstags steht hier nichts. Eine Apotheke, die samstags geschlossen hat? Wie ich später erfuhr, hat diese Apotheke eine Sonderbefreiung von der Kammer.

Schade, ich hätte ihn gern gesprochen. Ich hätte ihn gefragt, was seine Beweggründe sind, Tausende von Kollegen durch einen Leipziger Anwalt abmahnen zu lassen mit Begründungen, die nicht nachvollziehbar sind, aber vieles vermuten lassen. Warum tut ein „Kollege“ so etwas? Braucht er Geld? Was steckt dahinter?

Ich mache mich über die Henkersbrücke zurück auf den Weg in die Altstadt und höre mich ein bisschen bei Kolleginnen und Kollegen um. Die Brücken-Apotheke sei wohl keine gut gehende Apotheke, einige Zeit war sie sogar geschlossen und zum Verkauf gestanden, keiner wollte sie haben – bis Hartmut Wagner sie dann Anfang dieses Jahres übernahm und wiedereröffnete. Wagner, so höre ich, soll ein hagerer Mann jenseits der 60er sein. Bei der Eröffnung habe er sich sogar im Ort bei seinen Mitwettbewerbern vorgestellt, ansonsten habe man nicht viel vom ihm gehört. Schon damals habe man sich gefragt, warum tut sich dieser Apotheker, der früher wohl als Angestellter, u. a. als Filialleiter gearbeitet haben soll, das an? Die Apotheke dürfte wohl auch in den letzten Monaten nicht zu den umsatzstarken Apotheken gehört haben. Einen Approbierten soll er sich, so erzählt man, nicht habe leisten können. An seinem Schaufenster klebt ein weißes Blatt, auf dem seine PTA bekannt gibt, dass sie aus persönlichen Gründen die Brücken-Apotheke verlässt.

Immer wieder sehe ich ein schon fast mitleidiges Kopfschütteln bei Kolleginnen und Kollegen aus Schwäbisch Hall, die die Aktion von Wagner nicht verstehen können. Die vielen Fragen, die im Raum stehen, können natürlich auch sie nicht beantworten, z. B. welche Verbindungen gibt es zum Abmahnanwalt nach Leipzig, wessen Idee war es , die Abmahnwelle loszutreten, mit welcher Absicht? Schlitterte Wagner da in etwas hinein, was er selbst so gar nicht wollte? Erlag er etwa Einflüsterungen eines Advokaten? Hätte er sich nicht vorstellen können, dass eine Abmahnwelle dieses Ausmaßes enorme juristische Gegenreaktionen auslöst und er am Ende selbst überrollt wird?

Und wofür das Ganze? „Jetzt kann ich verstehen, dass Gerichte immer weniger Zeit haben, wenn sie sich mit solchem Mist herumärgern müssen“ meinte ein Apotheker, „die Vorweihnachtszeit könnte so schön und besinnlich sein.“ Aber manchen scheint es da wohl zu ruhig zu sein.

Nikolaustag in Schwäbisch Hall – als ich wegfuhr, sah ich den Nikolaus mit seinem Knecht Ruprecht, sie gingen gerade über die Henkersbrücke...

 

 Die Brücken-Apotheke an der Henkersbrücke

 

 Schild an der Apothekentür: und samstags ist geschlossen.

Weihnachtsmarkt in Schwäbisch Hall, vor den Stufen der St.Michaelskirche.


Peter Ditzel