Gefälschte Zulassungsstudien - ein Kommentar

Ein weiterer Warnschuss!

09.12.2014, 13:20 Uhr


In Deutschland und Europa droht über 1000 Arzneimitteln das Ruhen der Zulassung, weil der größte Anbieter von Zulassungsstudien in Indien, GVK BioSciences, der Fälschungen verdächtigt wird. Die Verfahren laufen sowohl auf europäischer als auch auf nationaler Ebene. Frankreich hat soeben wegen der gefälschten Studien das Ruhen der Zulassung von 25 national zugelassenen Arzneimitteln verfügt. Ein Kommentar von Doris Uhl.

In Deutschland stehen 176 generische Zulassungen von 28 Unternehmen auf dem Prüfstand. Die betroffenen Hersteller hatten bereits Gelegenheit, in einem schriftlichen Anhörungsverfahren ihre Stellungnahme abzugeben. Dieser Verfahrensschritt ist inzwischen abgeschlossen. Mit den Zustellungen entsprechender Bescheide, die das Ruhen der Zulassung anordnen, ist laut BfArM auch in Deutschland in Kürze zu rechnen.  Wird die Zulassung suspendiert, sind die Arzneimittel nicht mehr verkehrsfähig. Sie dürfen erst dann wieder in den Markt gebracht werden, wenn neue Daten vorgelegt worden sind.

Zwar sind die Folgen für die Arzneimittelversorgung derzeit schwer abzuschätzen, doch Lieferengpässe sind nicht auszuschließen. Und sollten Zulassungen von in großem Umfang eingesetzten Rabattarzneimitteln betroffen sein, muss auch mit Versorgungsengpässen gerechnet werden, wenn kein anderer  Hersteller mit einer gültigen Zulassung die Lücke kurzfristig schließen kann.

Viele offene Fragen

Nun erklärt das BfArM, dass ihm keine Hinweise auf Gesundheitsgefahren für Patientinnen und Patienten vorliegen. Das heißt im Klartext: bislang liegen der Behörde keine entsprechenden Meldungen vor. Auf der anderen Seite liegt der Behörde aber auch nicht der Nachweis für die Sicherheit und Unbedenklichkeit der betroffenen Generika vor. Waren sie tatsächlich gleich wirksam wie das Originalpräparat, mit dem auch die umfangreichen Studien zur Sicherheit und Unbedenklichkeit am Menschen durchgeführt worden sind? Oder wurden niedrigere oder höhere Plasmaspiegel erzielt und damit keine Wirkung oder eine verstärkte Wirkung mit einem erhöhten Nebenwirkungsrisiko? Sind möglicherweise Menschen zu Schaden gekommen, ohne dass jemand die Medikation unter Verdacht hatte?

Betroffen sind Arzneimittel, die auf Basis von Studien der besagten Firma im Zeitraum von 2008 bis 2014 zugelassen worden sind. Was bedeutet das für Arzneimittel, deren Zulassung auf Studien der Firma aus früheren Jahren beruht? War damals alles in Ordnung? Oder sind keine Unterlagen mehr vorhanden, die eine Überprüfung zulassen? Und was ist mit den vielen anderen kleineren indischen Unternehmen, die ebenfalls Zulassungsstudien für Arzneimittel in Europa und Deutschland durchführen? Ist hier alles besser oder sind sie nur bislang nicht so gezielt kontrolliert worden wie die jetzt unter Verdacht stehende Firma? Und wie gut sind andere Contract Research Organisations in anderen Ländern kontrolliert?

Der niedrige Preis hat seinen Preis

Damit kommen wir zu dem entscheidenden Punkt: Sicher ist in Ländern wie China und Indien alles billiger, angefangen bei der Wirkstoffproduktion bis hin zur Durchführung klinischer Studien. Aber dieser niedrige Preis hat seinen Preis. Das hat schon der Heparinskandal gezeigt. Schon er hätte Behörden und Hersteller, aber vor allem die Politik ordentlich wachrütteln müssen. Doch der Verlockung, mit Arzneimitteln schnelle Einsparerfolge zu erzielen, konnte man nicht widerstehen. Wenn sich jetzt die Protagonisten dieses Sparkurses angesichts des Skandals um gefälschte Studien dafür stark machen, unabhängige Prüfinstitute mit der Durchführung von Zulassungsstudien zu betrauen, dann ist das nahezu zynisch. Solche Institute werden diese Studien nie so günstig durchführen können wie die Firmen in den Schwellenländern, und das Problem der GMP-gerechten Herstellung von Wirkstoffen und Arzneimitteln ist damit auch noch nicht gelöst. Dafür sind engmaschige Kontrollen notwendig, die personalintensiv sind und ebenfalls ihren Preis haben. Oder aber gleich eine für die Behörden leichter überprüfbare Arzneimittelherstellung in Deutschland und Europa. Das alles würde die Arzneimittelversorgung sicherer machen, aber eben auch teurer. Ob die Politik jetzt bereit ist, aus diesem erneuten Warnschuss die Konsequenzen zu ziehen?

Weitere Informationen:

Liste der suspendierten Arzneimittel in Frankreich

Liste der suspendierten Arzneimittel in Belgien



Dr. Doris Uhl