Manipulierte Zulassungsstudien

Gefährdender Verbraucherschutz

16.12.2014, 13:45 Uhr


Stellt sich heraus, dass ein Arzneimittel aufgrund manipulierter Zulassungsstudien in den Markt gekommen ist, dann muss es vom Markt genommen werden, das gebietet einfach der vorsorgliche Verbraucherschutz. Das können wir den Patienten in der Apotheke vermitteln, keine Frage. Ein Kommentar von Doris Uhl.

Als die erste Liste des BfArM mit der Anordnung des Ruhens der Zulassung von Arzneimitteln veröffentlicht wurde, die aufgrund manipulierter Studien im Markt sein sollten, war die Art und Weise, wie sie Fachkreisen kommuniziert bzw. nicht kommuniziert wurde, sicher ärgerlich. Aber das sich dann entwickelnde Chaos war kaum zu erahnen. Zwar wies das BfArM schon darauf hin, dass die Liste ständig aktualisiert werden würde, zum Beispiel dann, wenn die betroffenen Hersteller neue Daten vorlegen. Doch die Liste wurde zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, zu dem lediglich das Anhörungsverfahren abgeschlossen war und die dem Hersteller zustehende Widerspruchsfrist von vier Wochen gerade erst begonnen hatte. So kam es, wie es kommen musste. Widerspruch und Rechtsmittel wurden und werden eingelegt, mit aufschiebender Wirkung. Ungeachtet dessen, ob jetzt die Zulassung rechtmäßig erteilt wurde oder nicht, soll das kurzfristig für wenige Tage aus Gründen des Verbraucherschutzes nicht mehr verkehrsfähige Arzneimittel plötzlich wieder verkehrsfähig und damit sicher sein, im Zweifel bei Abschluss des Verfahrens aber wieder eine Gefahr. Sollen Apotheker das allen Ernstes den durch die Medien verunsicherten Patienten klar machen? Und dass alles noch vor dem Hintergrund der BfArM-Erklärung, dass für Patienten zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr bestanden hat und sie getrost auch ihr vom Ruhen der Zulassung betroffenes Arzneimittel weiternehmen können? Unglaubwürdiger geht es wirklich nicht mehr!

Noch fragwürdiger wird es, wenn wir die GVK-Biosciences-Geschichte einmal Revue passieren lassen. Schon im September 2014 war auf der Webseite der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA zu lesen, dass auf Antrag der französischen Behörde ANSM vom 4. August 2014 ein europäisches Risikobewertungsverfahren (Art. 31-referral) wegen Unregelmäßigkeiten bei GVK Biosciences eingeleitet worden ist. Seit Mitte November lief in Deutschland das Anhörungsverfahren für betroffene pharmazeutische Unternehmen im Rahmen eines Stufenplanverfahrens. Auch die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker musste spätestens zu diesem Zeitpunkt zumindest über das Verfahren informiert gewesen sein. Am 8. Dezember 2014 wurde an die betroffenen Hersteller vom BfArM das Schreiben verschickt, das das Ruhen der Zulassung  anordnete. Am Nachmittag des 9. Dezember war dann auf der Internetseite des BfArM für alle ersichtlich, welche Arzneimittel betroffen waren. Nichts zu finden war jedoch in den nahezu zeitgleich erscheinenden Informationen der Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker. War die AMK nicht rechtzeitig informiert worden? Hier reagierte man erst am 10. Dezember mit einer Meldung, die auf die BfArM-Liste verlinkte. Wer zu diesem Zeitpunkt auf weitergehende Informationen gehofft hatte, wurde enttäuscht. Auf  offizielle Handlungsanweisungen, wie nun ohne direkte Information, ohne Rote-Hand-Brief, ohne Rückruf mit dem Ruhen der Zulassung und vor allem mit Rabattverträgen zu verfahren sei, musste bis Freitag, den 12. Dezember 2014 gewartet werden.

Bis heute ist die auf der BfArM-Seite veröffentlichte Liste das einzig Verbindliche, was Apotheken vorliegt. Sie wird stillschweigend (werk)täglich gegen 14:00 Uhr aktualisiert. Plötzlich finden sich hier rote Kästen mit dem Hinweis, dass durch das Einlegen von Rechtsmitteln das Ruhen der Zulassung nicht vollziehbar ist. Nach einer weiteren Aktualisierung ist die Liste geschrumpft, ohne dass dafür eine Erklärung zu finden ist. Ist das Verfahren abgeschlossen? Sind die verschwundenen Arzneimittel wieder uneingeschränkt verkehrsfähig? Und wenn ja, warum? Hat der Hersteller zwischen Ende des Anhörungsverfahrens im November und jetzt neue Bioäquivalenzstudien aus dem Hut gezaubert oder stand er zu Unrecht auf der Liste? Alles Dinge, die der Apotheker wissen muss, um seine verunsicherten Patienten zu informieren, zu beruhigen und von der Sicherheit und Unbedenklichkeit des verordneten Arzneimittels zu überzeugen. Doch diese Informationen hat er nicht! Ihm bleiben nur Zweifel und der Rest von pharmazeutischen Bedenken, mit denen ganz Mutige versuchen können, die Abgabe von noch mit roten Kästen gelisteten Arzneimitteln zu verweigern.

Und die betroffenen Patienten, um die es ja eigentlich geht? Sie werden im Zweifel auf die Einnahme verzichten, mit allen Konsequenzen, die z.B. ein nicht eingenommenes Antidepressivum wie Venlafaxin haben kann. Bei allem Verständnis für vorbeugenden Verbraucherschutz – so, wie er hier aufgezogen wurde, ist nicht auszuschließen, dass die Patienten eher durch das Verfahren als durch die am Pranger stehenden Arzneimittel geschädigt werden. Alle am Verfahren Beteiligten sollten sich schleunigst zusammensetzen und überlegen, wie sie in Zukunft die Fachkreise rechtzeitig und umfassend informieren wollen, so dass der Verbraucher tatsächlich geschützt und nicht gefährdet wird. Viel Zeit bleibt nicht! Das EMA-Verfahren für über 1000 weitere Arzneimittel soll im Januar abgeschlossen sein.


Dr. Doris Uhl