Retaxationen

Wie weit kann die Schiedsstelle gehen?

Hamburg - 04.12.2015, 10:15 Uhr

Hilko Meyer zeigte auf, in welchem Rahmen sich die Schiedsstelle um Rainer Hess bewegen kann. (Foto: Schelbert)

Hilko Meyer zeigte auf, in welchem Rahmen sich die Schiedsstelle um Rainer Hess bewegen kann. (Foto: Schelbert)


Über das mögliche Ausmaß von Retaxationen wird demnächst die Schiedsstelle entscheiden. Doch was muss dabei vorausgesetzt werden und was ist dort verhandelbar? Professor Dr. Hilko J. Meyer analysierte den rechtlichen Rahmen – und zeigte Lösungen auf.

Bei der Mitgliederversammlung des Hamburger Apothekervereins am Mittwoch beschrieb Professor Hilko J. Meyer, Direktor des wissenschaftlichen Zentrums für Gesundheitswirtschaft und -recht an der Fachhochschule Frankfurt am Main, den rechtlichen Rahmen für das bevorstehende Schiedsverfahren. Dazu betrachtete er zunächst die Beziehung zwischen Apotheken und gesetzlichen Krankenkassen und konstatierte einen grundlegenden Wandel in der rechtlichen Bewertung dieser Beziehung. Früher sei diese zivilrechtlich geprägt gewesen. Durch § 69 SGB V sei daraus eine öffentlich-rechtliche Beziehung geworden, bei der jedoch das Zivilrecht gelte, soweit keine Regelung dagegen stehe.

Interpretation des Bundessozialgerichts

Doch das Bundessozialgericht sei darüber inzwischen weit hinausgegangen. Es sehe nur noch die Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung, die mit hoheitlichen Mitteln durchgesetzt werde, also „möglichst schmerzhaft“, so Meyer. Einen Zahlungsanspruch hätten die Apotheken demnach nur aus dem Sozialrecht. Das Prinzip von Verträgen auf gleicher Höhe gelte dort nicht mehr. Der Grundsatz von Treu und Glauben, das Prinzip von Leistung und Gegenleistung und den Ausgleich von Interessen gebe es bei dieser Sichtweise nicht mehr. Dies sei eine enorme Verschiebung der Verhältnisse und damit stehe das Bundessozialgericht völlig konträr zu anderen Betrachtungen, folgerte Meyer. Apotheker würden behandelt, als hätten sie keine Beziehung zu den Patienten mehr, sie sollten aber als Freiberufler für ihre Arbeit an den Patienten haften.

Rahmen für die Verhandlungen

Doch Verhandlungen müssten auf gleicher Ebene stattfinden, forderte Meyer. Dabei könnten die Risiken nicht einseitig von den Apotheken getragen werden. Maßnahmen müssten jeweils angemessen sein. Denn dies sei auch die Idee hinter der gesetzlichen Überforderungsforderungsklausel, die die Vertragspartner verpflichtet, die Retaxationen zu regeln.

Für die Verhandlungen vor der Schiedsstelle müsse nun der Verhandlungsrahmen geklärt werden. Dazu erklärte Meyer, die Parteien seien nur an die gesetzlichen Vorschriften gebunden, nicht jedoch an diverse Entscheidungen des Bundessozialgerichts. Denn der Gesetzgeber habe mit der Überforderungsklausel und seinem Regelungsauftrag neues Recht geschaffen. Außerdem würden viele Entscheidungen des Bundessozialgerichts auf Verträgen beruhen. Doch Verträge könnten geändert werden. Auch Nullretaxationen würden auf  Verträgen beruhen, aber die Vertragspartner könnten andere Regelungen treffen. Die deutlich günstigeren Regelungen für die Ärzte würden zeigen, dass auch solche Vereinbarungen mit dem SGB V vereinbar seien.

Mögliche Lösung

Zu Verhandlungen gehöre, Angebote für neue Regelungen zu machen, erklärte Meyer und regte an, die Apotheker könnten schwächere Sanktionen anstelle von Nullretaxationen anbieten. Dazu verwies Meyer auf die frühere Regelung, bei Verstößen gegen die Aut-idem-Regel die Differenz zu retaxieren. Ein sehr guter Ansatz sei die Regelung aus dem Hamburger Primärkassenvertrag, nach der die Krankenkasse eine Leistung der Apotheke bezahlen müsse, wenn sie durch diese Leistung ihrer Leistungsverpflichtung gegenüber dem Patienten frei werde.

Dazu erklärte Dr. Jörn Graue, Vorsitzender des Hamburger Apothekervereins, der Deutsche Apothekerverband werde vor der Schiedsstelle mit der Hamburger Regelung argumentieren. Demnach sollten Retaxationen auf den Ersatz wirtschaftlicher Nachteile der Kostenträger beschränkt werden. Außerdem betonte Graue den Hinweis von Meyer, Vertragspartner könnten alles regeln. Dies hätten sie in Hamburg getan.


Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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