Mobile Versorgung

Arztpraxis rollt Flüchtlingen zu Hilfe 

Tübingen - 08.02.2016, 12:25 Uhr

Mit der Hilfe eines Dolmetschers untersucht die Ärztin Lisa Federle in einer mobilen Arztpraxis in Tübingen den Flüchtling Aymann al Hassan aus Syrien. (Foto: picture alliance / dpa)

Mit der Hilfe eines Dolmetschers untersucht die Ärztin Lisa Federle in einer mobilen Arztpraxis in Tübingen den Flüchtling Aymann al Hassan aus Syrien. (Foto: picture alliance / dpa)


Flüchtlinge medizinisch zu versorgen, macht vielen ländlichen Regionen zu schaffen. Der Gang zum Arzt und zur Apotheke ist aber auch für Asylbewerber schwierig. In Tübingen gibt es eine Idee, wie beide Probleme zu lösen sind.

Am liebsten wäre Aymann al Hassan heute gar nicht aus dem Bett gestiegen. Der 30 Jahre alte Geflüchtete aus Syrien hat Husten und Schnupfen. Da trifft es sich gut, dass der Weg zum Doktor nicht weit ist - denn heute parkt die Arztpraxis direkt vor seiner Haustür an der Tübinger Flüchtlingsunterkunft. Eingehüllt in Daunenjacke, Schal und Mütze steigt al Hassan in den Kleinbus.

Was von draußen aussieht wie ein gewöhnliches Wohnmobil, offenbart sich drinnen als Arztpraxis im Mini-Format. In Regalfächern liegen Tabletten, Tropfen und Salben. Es gibt einen Schreibtisch, ein Waschbecken und sogar ein Ultraschallgerät. Al Hassan setzt sich auf die Krankenliege. Notärztin Lisa Federle schaut ihm in den Mund, hört seine Lunge ab und misst Fieber. „Bronchitis“, lautet die Diagnose.

Eine Basis-Ausstattung an Medikamenten ist mit an Bord

Al Hassan blickt hilfesuchend zu Zayn Hamdan. Der 28-jährige Tübinger Medizinstudent gehört zum Team und übersetzt alles auf Arabisch: dass al Hassan einen Hustensaft gegen den Schleim in den Bronchien bekommt und ein Nasenspray gegen den Schnupfen. Die Arzneimittel gibt es gleich auf die Hand, zur Apotheke muss al Hassan nicht.

Wie dem jungen Mann im baden-württembergischen Tübingen fällt es vielen Asylbewerbern in Deutschland schwer, zum Arzt zu gehen. Die meisten sprechen wenig Deutsch, berichtet Federle. Eine Apothekerin zu verstehen, ist gar nicht so einfach. Selbstständig einen Arzt zu finden, kann auch ein Problem sein. 

„Wenn die Flüchtlinge nicht zum Arzt kommen können, dann kommt der Arzt eben zu ihnen“, sagt Notärztin Federle. Sie als ehrenamtliche Präsidentin des DRK-Kreisverbands hat das Projekt der mobilen Arztpraxis für Flüchtlinge im Kreis Tübingen ins Leben gerufen. Die Idee der mobilen Sprechstunde trifft auch andernorts einen Nerv. So versorgt mittlerweile auch im Kreis Esslingen eine mobile Praxis Flüchtlinge in großen Unterkünften. Dort stellt der Malteser Hilfsdienst Fahrzeug und Personal bereit. Anrufe bekommt Federle aus ganz Deutschland - das Konzept spricht sich rum.

Dank Spenden auf Tour

Die Tübinger Flüchtlingspraxis fährt etwa 16 Asylunterkünfte im Landkreis ab - mit rund 20 Ärzten. Zum Team gehören auch mehrere Pfleger und Übersetzer. Sprechstunden sind von Montag bis Freitag. 70 000 Euro hat das umgebaute Mobil gekostet. Finanziert wurde es durch Spenden, etwa von der Stiftung des Schauspielers Til Schweiger, mit dem Federle befreundet ist.

In Unterkünften ohne eigene stationäre Praxen sei das Personal häufig überfordert mit den Beschwerden der Flüchtlinge, sagt Martina Guizetti vom Tübinger Landratsamt, das die Stundensätze der Ärzte sowie die notwendigen Medikamente finanziert. „Dieses Personal kann natürlich nicht einschätzen, ob die Schmerzen möglicherweise etwas Ernsthaftes bedeuten.“ Gerade nachts oder außerhalb ärztlicher Sprechzeiten schicke man die Menschen dann einfach in die Kliniken.

Entlastung für Ärzte wie Flüchtlinge

Überfüllte Krankenhäuser, überlastete Hausärzte und unnötige Einsätze der Notdienste seien vielerorts die Konsequenzen der fehlenden Gesundheitsversorgung in den Einrichtungen, sagt Notärztin Federle. „Die Kosten für die ständigen Notarzteinsätze sind enorm gestiegen“, sagt sie. Egal ob Grippe, ein fehlendes Asthmaspray oder eine Windel-Dermatitis - in vielen Fällen könne das Arztmobil Abhilfe schaffen. Die mobile Sprechstunde spare dem Land Kosten und entlaste die Ärzte, meint auch Guizetti. Und sie hat Aymann al Hassan entlastet. Er ist längst wieder im Bett.


dpa / DAZ.online
redaktion@daz.online


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