Gesundheits-Apps

Gröhe und Verbraucherschützer fordern Standards

Stuttgart - 28.04.2016, 09:55 Uhr

Welche App tut gut? Wenn es um die Suche der nächsten Apotheke geht, ist das verbundene Risiko relativ klein - anders sieht es bei Dosierungsberechnungen aus. (Foto: georgejmclittle / Fotolia)

Welche App tut gut? Wenn es um die Suche der nächsten Apotheke geht, ist das verbundene Risiko relativ klein - anders sieht es bei Dosierungsberechnungen aus. (Foto: georgejmclittle / Fotolia)


Derzeit sind über 100.000 Gesundheits-Apps verfügbar, doch ist ihre Qualität und Sicherheit umstritten. Der Markt ist weitgehend unkontrolliert und Belege für den Nutzen fehlen. Gesundheitsminister Herrmann Gröhe wie auch Verbraucherschützer wollen dies nun ändern.

Egal ob Fitness-Auswertung, Depressionstagebuch oder Arzt-Patienten-Chat: Ein Team von Wissenschaftlern hat im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums in einer bundesweit ersten Studie erfasst, welche Gesundheits-Apps derzeit angeboten werden. Mehr als 100.000 Apps für Smartphones oder Tablets sind im Umlauf, der überwiegende Teil für Wellness- oder Fitness-Anwendungen.

„Für viele sind Apps heute schon ein Ansporn, sich mehr zu bewegen, sich gesünder zu ernähren – und sie unterstützen zum Beispiel auch ‎bei der regelmäßigen Einnahme von Medikamenten“, erklärte Gesundheitsminister Herrmann Gröhe zur Vorstellung der Studie. Dies könne für viele Menschen eine wertvolle Hilfe sein, doch gibt es durchaus auch Risiken. Für Bürger wie auch Ärzte sei es nicht einfach, „zwischen guten und schlechten Angeboten zu unterscheiden“, sagte der Minister.

Bisher konnten sich noch keine Ansätze durchsetzen, wie die Qualität und Vertrauenswürdigkeit der Apps erfassen werden kann. Auch werden laut der am Montag vorgestellten Studie häufig nicht die erforderlichen Datenschutzstandards eingehalten, bei den Datenschutzerklärungen fehle es an Transparenz. Laut Gröhe sind daher für Nutzer wie Hersteller klare Qualitäts- und Sicherheitsstandards nötig. „Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass Produkte, die einen wirklichen Nutzen für Patienten bringen, schnell in die Versorgung gelangen.“

Helfen die Apps wirklich?

Doch inwieweit die Smartphone-Werkzeuge überhaupt sinnvoll sind, ist in vielen Fällen umstritten. „Viele dieser Apps sind auf kurzfristige Erfolge ausgerichtet“, sagt Medizininformatiker und Studienautor Urs-Vito Albrecht von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). „Grundsätzlich ist die Evidenz zum Thema dünn, was eine objektive Einschätzung des Nutzens der Technologie immens erschwert.“ Albrecht empfiehlt eine weitergehende wissenschaftliche Evaluation, um mehr Evidenz zu schaffen. „Ziel ist es, das positive Potenzial auszuschöpfen und Risiken der Anwendungen zu minimieren“, sagt er.

Relativ selten sind Apps, die einen diagnostischen oder therapeutischen Anspruch haben. Diese müssen teilweise als Medizinprodukt angesehen und entsprechend zugelassen werden. Hier müsse garantiert werden, dass sie mit bereits vorhandenen Tests mithalten können, fordert Klaus Müller, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentralen. „Für Gesundheits-Apps müssen Informationspflichten der Hersteller zu Inhalt, Funktionalität und Datenschutz eingeführt werden, damit Verbraucherinnen und Verbraucher gute und sichere Angebote erkennen können“, sagt er.

Beratungsplattform und ethische Diskussionen

„Damit Verbraucher gute Angebote leichter finden können, sollte eine unabhängige nationale Online-Plattform geschaffen werden, die empfehlenswerte Apps aufführt und Verbraucher informiert“, so der Verbraucherschützer. Gröhe will die neue Studie als Grundlage nehmen, um mit Experten und Verantwortlichen über zukünftige Standards und Selbstverpflichtungen zu sprechen. Außerdem fordert er eine verstärkte ethische Diskussion um die Folgen der neuen Möglichkeiten – hier müsse zwischen Privatheit und Transparenz oder Autonomie und Kontrolle abgewogen werden.

Offen ist auch, inwiefern Apps in die Regelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen werden können. In der Studie wird gefordert, dies grundsätzlich zu überprüfen und auch zu klären, ob die Wirksamkeit in klinischen Studien geprüft werden muss – oder ob geringere Anforderungen gelten können. Nicht in Betracht kommt laut der Studie, dass Kosten für Apps im Rahmen der Erstattung von Arzneimittelkosten von den Kassen übernommen werden: Dies ginge nur für Medizinprodukte, die Stoffe oder Zubereitungen von Stoffen sind. „Diese Kriterien treffen nicht auf Software zu“, so die Autoren.

Hilfreiche Erinnerungen und riskante Berechnungen

Arzneimittel spielen ansonsten bei Gesundheits-Apps durchaus eine Rolle: Laut einer Umfrage von Accenture gaben 81 Prozent der befragten Senioren an, dass sie Medikationserinnerungen oder Zugang zu ihrer Patientenakte wünschten. Doch bei Arzneimitteln zeigt sich auch das Schadpotenzial der digitalen Helfer: Bei 31 von 46 Apps, die anhand der aufgenommen Kohlenhydrate für Diabetiker die Insulindosis berechnen, wurden laut einer Studie von britischen und französischen Forschern Probleme festgestellt. Sie fanden Fehler bei der Berechnungsformel oder ungenügende Überprüfungen der Nutzereingaben, die schlimmstenfalls zu einer bedrohlichen Hypoglykämie führen können. 


Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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