Arzneimittelpreise

AOK-Studie mit Schwachstelle

Berlin - 27.06.2016, 19:00 Uhr

Von wegen zu niedrige Preise: Das AOK-Institut WiDO und die TU Berlin haben einen Preisvergleich bei patentgeschützten Arzneimitteln durchgeführt. (Foto: dpa)

Von wegen zu niedrige Preise: Das AOK-Institut WiDO und die TU Berlin haben einen Preisvergleich bei patentgeschützten Arzneimitteln durchgeführt. (Foto: dpa)


In die Diskussion um die steigenden Arzneimittelpreise mischt sich die AOK mit einem Preisvergleich ein: Das Wissenschaftliche Institut der AOK und die Technische Universität Berlin erklären in einer neuen Studie, dass die Arzneimittelpreise in Deutschland immer noch zu den höchsten Europas gehören. Die AOK gibt aber selbst zu, dass die Methodik einen entscheidenden Schwachpunkt hat.

Der Streit um die Arzneimittelpreise

Bei den Arzneimittelpreisen gehen die Vorstellungen wie in keinem anderen Feld des Gesundheitssystems auseinander. Die Krankenkassen sind mit stetig steigenden Arzneimittelausgaben konfrontiert. Allein zwischen 2014 und 2015 sind die Ausgaben um fast 5 Prozent angestiegen. Im Vorjahr hatte es einen Anstieg um 2,4 Prozent gegeben. Die Kassen machen dafür insbesondere die Preise neuer, patentgeschützter Originalpräparate verantwortlich.

Die Pharmaunternehmen hingegen beschweren sich nach wie vor über die Auswirkungen des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG). Seit 2012 dürfen die Hersteller nur noch im ersten Jahr einen Preis frei festlegen. Der Erstattungsbetrag, der ab dem zweiten Jahr nach Marktzulassung gilt, muss auf Basis des Zusatznutzens zwischen Hersteller und den Kassen ausgehandelt werden. Einige Unternehmen sind mit den Verhandlungsergebnissen unzufrieden und nehmen ihre Produkte vom deutschen Markt. Die Hersteller beklagen auch, dass die ausgehandelten Preise hierzulande einsehbar sind. Sie fordern die Geheimhaltung der Preise, damit sich niedrige Erstattungsbeträge nicht negativ auf die Preisbildung in anderen Ländern auswirkt.

Herstellerabgabepreise bis zu 27 Prozent günstiger im EU-Ausland

Die Studie des Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat es sich nun zum Ziel gesetzt, eines der Kernargumente der Pharmaindustrie zu entlarven: Die Hersteller behaupten, dass Deutschland schon lange kein Hochpreisland mehr sei und dass das Preisniveau hierzulande in den vergangenen Jahren stetig gesunken sei. Das AOK-Institut behauptet das Gegenteil: In den fünf analysierten EU-Staaten liegen die Preise laut WIdO bis zu 27 Prozent unter dem deutschen Niveau.

Das WIdO und die TU Berlin haben für den Preisvergleich fünf EU-Mitgliedstaaten ausgewählt, die hinsichtlich des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Kaufkraftstandards und der Gesundheitsausgaben mit Deutschland vergleichbar sind. Die ausgewählten Länder umfassen laut AOK zusammen 48 Prozent aller EU-Einwohner (Dänemark, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande und Österreich). In diesen fünf Ländern haben WIdO und die TU einen Warenkorb der 260 umsatzstärksten, patentgeschützten Rx-Arzneimittel gebildet.

Arzneimittelpreis: Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen?

Weil sich die Kauf- und die Wirtschaftskraft in allen Ländern unterscheiden, wurden unter Verwendung der Kaufkraftparitäten „KKP-normierte“ Herstellerabgabepreise berechnet. Um die Werte noch vergleichbarer zu machen, hat das WIdO die Auslandspreise auch um das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des jeweiligen Landes bereinigt. Das Ergebnis: In allen betrachteten Ländern liegen die KKP-normierten Herstellerabgabepreise zwischen 13 Prozent (Niederlanden) und 30 Prozent (in Frankreich) unter den deutschen Preisen. Nach der Bereinigung um die Wirtschaftskraft der Länder zeigt sich, dass die Preise zwischen 16 Prozent (in Großbritannien) und 27 Prozent (in Dänemark) unterhalb der deutschen Preise liegen.

Natürlich sieht die AOK in solchen Zahlen nur Eines: das Einsparvolumen. Laut WIdO könnten die Kassen auf der Ebene der BIP-bereinigten Herstellerabgabepreise bis zu 3,5 Milliarden Euro sparen. „Da in Deutschland bereits 0,7 Milliarden Euro über das Instrument der  Herstellerabschläge eingespart werden, verbleibt auf der Ebene der Herstellerabgabepreise ein maximales Einsparpotenzial im patentgeschützten Arzneimittelmarkt von 2,9 Milliarden Euro, das bei einem Umsatz von 9,6 Milliarden Euro einem Anteil von 30 Prozent entspricht“, heißt es in der Auswertung weiter.

Rabattierten vs. unrabattierte Preisen

Trotz der Bereinigung um die Wirtschafts- und Kaufkraft der ausgewählten Länder hat die Studie eine entscheidende Schwachstelle: Das WIdO hat die in Deutschland rabattierten Erstattungspreise mit den unrabattierten Listenpreisen anderer Länder verglichen. Eine andere Möglichkeit hätte es auch nicht gegeben, denn Deutschland ist das einzige EU-Land, in dem die Erstattungspreise gewissermaßen öffentlich sind. In allen anderen Ländern sind die Preise, die für die Kostenerstatter gelten, vertraulich.

Für den Preisvergleich seien ausschließlich öffentlich verfügbare Quellen genutzt worden, heißt es in der Auswertung. „Für das Segment der Arzneimittel mit einer frühen Nutzenbewertung […] können für den Preisvergleich diese deutschen Erstattungspreise genutzt werden. Darüber hinaus gehende individuelle Rabatte wie auch die vertraulichen Rabatte in den anderen europäischen Ländern können nicht berücksichtigt werden“, gibt das WIdO zu. Ein öffentlich zugängliches europäisches Verzeichnis mit rabattierten Preisen existiere leider nicht.

Könnte man bestehende Rabatte in die Preise der anderen EU-Länder einrechnen, fiele der Unterschied zum deutschen Erstattungsbetrag vermutlich noch höher aus. Deswegen kommt das AOK-Institut zu dem Schluss: „Deutschland gilt bei patentgeschützten Arzneimitteln als Hochpreisland.“ Um die eigene Methodik zu verbessern, fordert das WIdO eine Veröffentlichung aller europäischen Erstattungspreise in einem öffentlichen Verzeichnis.

Davon ist Europa jedoch meilenweit entfernt. Das Gegenteil ist der Fall: Die Pharmaunternehmen haben im Pharmadialog mit dem Bundesgesundheitsministerium vereinbart, dass auch in Deutschland die in der frühen Nutzenbewertung ausgehandelten Rabatte künftig geheim bleiben sollen.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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1 Kommentar

Preisstudien der " Gesundheitskasse "

von Heiko Barz am 28.06.2016 um 9:56 Uhr

Solche Studien sind nicht das Papier wert, worauf sie gedruckt wurden.
Solange die "Gesundheitskasse" und Andere nicht Ihre Rabattverhandlundsergebnisse mit Generikafirmen offenlegen, ist jede vorgebrachte Zahl irregulär und hat nur den einen Zweck, wieder Schuldzuweisungen und Forderungen zu stellen.
Und wer wird voraussichtlich wieder in vorderster Linie schutzlos zum Abschuß bereitstehen?!

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