Zytostatika-Verwürfe

„Abfall aus der Apotheke“ landet in der Süddeutschen Zeitung

Stuttgart - 13.07.2016, 14:10 Uhr

Arbeiten Apotheken bei der Herstellung von Zytostatika regelkonform, sind Verwürfe nicht zu vermeiden. (Foto: benicoma / Fotolia)

Arbeiten Apotheken bei der Herstellung von Zytostatika regelkonform, sind Verwürfe nicht zu vermeiden. (Foto: benicoma / Fotolia)


Kassen üben vermehrt Druck auf Zytostatika-herstellende Apotheken aus, Zytostatika-Anbrüche über die angegebene Haltbarkeit hinaus zu verwenden. Nachdem DAZ.online im Februar darüber berichtet hatte, ist das Thema nun offensichtlich außerhalb der Fachöffentlichkeit angekommen. Die Süddeutsche Zeitung berichtet in ihrer heutigen Mittwochsausgabe darüber. 

Bislang waren „Zytostatikaverwürfe“ eher ein Thema für die Fachwelt. Im Februar hatte Apotheker Dr. Franz Stadler auf DAZ.online über das Problem der „unvermeidbaren Verwürfe“ bei der Zytostatikaherstellung berichtet. Viele Stammlösungen haben nur eine kurze Haltbarkeit und die Packungsgrößen sind oft ungünstig. Da ein Pooling wegen geringer Fallzahlen oft nicht möglich ist, sind bei regelkonformer Herstellung Verwürfe unvermeidbar. Diese werden mit der Krankenkasse des dann zufällig betroffenen Versicherten abgerechnet, bei dessen Zubereitung der Rest anfällt. Je nach Substanz kommen hier schnell hohe Beträge zusammen.

Manche Kassen scheinen in diesem Bereich Sparpotenzial zu sehen. So sind laut Stadler einige Kostenträger der Meinung, dass die Haltbarkeiten einiger Wirkstofflösungen deutlich länger sind, als es in der Hilfstaxe vertraglich vereinbart ist. Die Angaben dort basieren entweder auf den Fachinformationen der Hersteller oder wurden auf 24 Stunden nach Zubereitung der Stammlösung festgesetzt.

Statt auf die Hersteller einzuwirken, die Haltbarkeiten zu überprüfen und gegebenenfalls zu verlängern, setzen die Kassen die Apotheken mit Retaxationen unter Druck. Diese können in dem hochpreisigen Marktsegment der Zytostatika wehtun. Deshalb geben immer mehr Apotheken nach und verwenden die Lösungen länger, als es die Hilfstaxe vorgibt. Ob Patienten dabei Schaden nehmen, weiß niemand. Es ist gut möglich, dass einzelne Präparate länger haltbar sind. Aber welche das sind, ist völlig unklar. 

Nicht mehr nur in der Fachpresse ein Thema

Nun hat das Thema die Publikumspresse erreicht. Die Süddeutsche Zeitung (SZ) berichtet in ihrer Ausgabe vom Mittwoch darüber. Mit „Abfall aus der Apotheke“ ist der Beitrag überschrieben. Dort wird neben den Kassen, die Apotheker unter Druck setzen, auch Kritik an den Herstellern geäußert. Diese geben nämlich auf Nachfrage längere Haltbarkeiten an. „Um sich einen Vorteil gegenüber Konkurrenten zu verschaffen,“ wie SZ-Autorin Christina Berndt schreibt. Aber natürlich nur unter der Hand.

Zudem gebe es internationale Unterschiede, heißt es weiter. So halten manche Arzneimittel in den USA länger als in Europa. Zumindest suggerieren das die Angaben der Hersteller. So müssten deutsche Apotheker das nab-Paclitaxel-Präparat Abraxane® nach acht Stunden verwerfen, die US-amerikanischen Kollegen hingegen können die Lösung 24 Stunden lang verwenden. Für Franz Stadler, der in dem Artikel ebenfalls zitiert wird, ist das ein „Beispiel dafür, dass Unternehmen mit den Haltbarkeiten spielen".

Hersteller müssen tatsächliche Haltbarkeiten testen

Neben Stadler kommen weitere Apotheker zu Wort, zum Beispiel Irene Krämer, die Chefapothekerin der Universitätsmedizin in Mainz. Sie pflegt seit langem die „Stabil-Liste“, die unter anderem Informationen zur physikalisch-chemischen Stabilität parenteral applizierbarer Zytostatika enthält. Es sei oft möglich, die Haltbarkeiten länger auszureizen, sagt Krämer gegenüber der SZ. Legal sei das aber nicht und auch nicht im Sinne des Patienten. Apotheker Tilman Schöning aus Heidelberg ist der Meinung, dass Hersteller die tatsächliche Haltbarkeit der Präparate testen und diese angeben müssen und zwar vor der Zulassung.

Daran haben aber insbesondere die Hersteller patentgeschützter und damit meist teurer Wirkstoffe kein Interesse. Das legt Stadler im zweiten Teil seines Beitrags für DAZ.online dar. Denn in diesem Bereich bescheren Verwürfe den Firmen Mehrumsätze, schreibt er. Dieses Verhalten ändere sich ab dem Moment, ab dem ein Wirkstoff patentfrei wird. Dann kann es Wettbewerbsvorteile gegenüber der generischen Konkurrenz bringen, eine längere Haltbarkeit anzugeben. 

Ausschreibungen können das Problem verschärfen

In dem SZ-Beitrag wird zudem der mangelnde Wille thematisiert, etwas an der Situation zu ändern: „Gesundheitspolitiker stellen sich taub, Krankenversicherer gehen der Sache nicht nach”, heißt es. Und es könnte noch schlimmer werden, erklärt Apotheker Stadler gegenüber der SZ. Denn einige Kassen haben die Versorgung mit Zytostatika europaweit ausgeschrieben. Eine wohnortnahe Versorgung für jeden Patienten, wie sie derzeit üblich ist, ist dann nicht mehr möglich. Doch „europaweit könne man innerhalb der kurzen Haltbarkeitszeiten doch gar nicht liefern“, wird Stadler zitiert. Dadurch wird seiner Ansicht nach der Preisdruck noch erhöht und damit auch der Anreiz, die Zytostatika über die Haltbarkeit hinaus zu benutzen.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


Diesen Artikel teilen:


1 Kommentar

warum gerade jetzt?

von Dr. Thomas Müller-Bohn am 13.07.2016 um 15:32 Uhr

In den Radionachrichten von NDR 1 Welle Nord, dem Regionalprogramm in Schleswig-Holstein, war das heute morgen auch ein Thema, als sei es eine Neuigkeit. Warum ist das plötzlich so interessant? Soll damit vielleicht der Boden für Zytostatika-Ausschreibungen bereitet werden? Denn bei stärkerer Konzentration der Herstellung in weniger Apotheken steigt zumindest theoretisch die Chance die Verwürfe zu minimieren.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.