Apothekerkammer warnt

Ex-Chef von studiVZ kaufte Rezeptdaten von Patienten

Stuttgart - 03.08.2016, 14:40 Uhr

Ein heikler Rx-Bonus: In Berliner Apotheken lagen Flyer von „Rezeptivo“ aus, die mit Prämien für Fotos von Rezepten warben, wenn Patienten diese auf der Internetseite des Dienstes hochladen. DAZ.online liegt der Flyer als Scan vor. (Screenshot: DAZ.online)

Ein heikler Rx-Bonus: In Berliner Apotheken lagen Flyer von „Rezeptivo“ aus, die mit Prämien für Fotos von Rezepten warben, wenn Patienten diese auf der Internetseite des Dienstes hochladen. DAZ.online liegt der Flyer als Scan vor. (Screenshot: DAZ.online)


Fünf Euro Mindestprämie sollten Patienten erhalten, wenn sie Fotos von ihrem Rezept hochladen: Nachdem Werbeflyer für den Dienst „Rezeptivo“ in Apotheken auslagen, warnte die Apothekerkammer Berlin und die Berliner Datenschutzbeauftragte – der Service sei „äußerst bedenklich“. Nach Recherchen von DAZ.online steckt ein ehemaliger Geschäftsführer von studiVZ hinter der Aktion. Inzwischen bereut er sie offenbar.

„Ihr Rezept ist mehr wert“, wirbt ein Flyer von „Rezeptivo“. Er verspricht eine Mindestprämie von fünf Euro, mit einer Chance auf eine höhere Prämie für mehr Rezepte. Einfach ein Handy-Foto vom Rezept, dieses über den Computer oder das Handy hochgeladen und innerhalb von maximal zehn Werktagen ist die Prämie auf dem Bankkonto oder Paypal-Account, so der Flyer. „Jetzt Rezept hochladen“, ruft er Patienten auf.

Nachdem der Flyer in Apotheken auslag und ein Bürger die Berliner Beauftragte für Datenschutz darauf aufmerksam gemacht hat, warnte die Apothekerkammer Berlin. „Die Datenschutzbeauftragte stuft dieses Geschäftsmodell als datenschutzrechtlich äußerst bedenklich ein“, schrieb die Kammer am Freitag in ihrem Newsletter. „Bei dem durch die Firma Rezeptivo beworbenen Geschäftsmodell sei für den Patienten nicht erkennbar, zu welchem Zweck die übermittelten personenidentifizierenden Daten genutzt werden und wie diese verarbeitet werden, warnt die Datenschutzbeauftragte.“

Mögliche Stigmatisierung der Patienten

Weder auf der Internetseite noch auf dem Flyer fänden sich konkrete Angaben zum Zweck der Datensammlung, Patienten könnten aufgrund der Komplexität der Rezeptdaten die Folgen der Aktion kaum absehen. Ihnen drohe eine Stigmatisierung, wenn die sensiblen Gesundheitsdaten in falsche Hände fielen. „Auch sei eine Verknüpfung mit Daten aus anderen Quellen aufgrund der auf dem Rezept enthaltenen Klardaten nicht auszuschließen.“

Die Rezeptdaten sowie die Kontonummer dürften zusammen mit einer gewissen kriminellen Energie ausreichen, um sich bei der Krankenkasse der Versicherten als die Person auf dem Rezept auszugeben und so alle gespeicherten Gesundheitsdaten abrufen zu können – sensibel sind sie also.

Wer steckt hinter dem Angebot?

Während laut Impressum eine „MJ SEA GROUP PTE. LTD.“ die Seite betreibt, wurde die Internetadresse rezeptivo.de von der Berliner „MCB Beteiligungs GmbH“ registriert, wie Recherchen von DAZ.online ergeben. Inhaber der Firma ist Michael Brehm, der nach einem dreiviertel Jahr als Banker bei Merill Lynch von Mai 2006 bis Ende 2008 Geschäftsführer der Firma „VZ Netzwerke“ war und die Sozialen Netzwerke studiVZ oder das inzwischen eingestellte schülerVZ betrieben hat. Aktuell ist er als Investor tätig.

Die Kontaktaufnahme mit Brehm ist nicht ganz einfach. Die Nachfrage bei einem zuvor auch bei studiVZ tätigen Mitarbeiter ergibt, dass der Internetauftritt von „Rezeptivo“ tatsächlich mit Brehm zusammenhängt – und offenbar nicht von dubiosen Geschäftemachern aus dem Ausland betrieben wird. Er sei allerdings nur für die Technik zuständig, schreibt er.

Welchen Zweck hat das Angebot?

Eine Mitarbeiterin von Brehms E-Commerce-Firma „Rebate Networks“ leitet schließlich eine Stellungnahme des Chefs an DAZ.online weiter. „Jedes Jahr werden ca. 50 Konzepte und Ideen getestet, von denen dann normalerweise eine Idee langfristig umgesetzt wird“, schreibt Brehm in dieser Mitteilung.

Zu welchem Zweck werden die Daten verwendet? Auf dem Flyer ist abgedruckt, Rezeptivo sei ein Marktforschungsunternehmen, das anonymisierte Umfragen durchführt, um die Qualität von Medikamenten zu verbessern. „Alle Daten werden bei uns sofort anonymisiert und nicht weitergegeben“, erklärt der Flyer.

Auf Nachfrage bleibt das Unternehmen im Ungefähren. „Im Rahmen von der M.C.B. Beteiligungs GmbH gründen und investieren wir auch stark im medizinischen Bereich und betreiben immer wieder Marktforschung, um nur die erfolgreichen Projekte weiterzuführen“, schreibt das Unternehmen auf Nachfrage. So investiere die Firma in ein Startup, das auf Basis von Handydaten die Wahrscheinlichkeit von Krankheiten kalkuliere – oder in ein telemedizinisches Angebot. Doch warum sollen Patienten dann Fotos mit höchstpersönlichen Angaben einschicken – und werden nicht darauf aufmerksam gemacht, dass sie diese auch gleich selber schwärzen könnten?

Überraschende Wendung der Recherche

Gut eine Stunde nachdem DAZ.online die erste E-Mail an die Kontakt-Adresse schickte, die auf dem Flyer angegeben war, wurde das Angebot offline genommen. „Diese neue Domain wurde im Kundenauftrag registriert“, ist nun unter der Adresse www.rezeptivo.de zu lesen. Die Seite sei schon nach ein paar Wochen wieder verworfen worden, erklärt Brehm. „Die Seite ist offline, alle Daten gelöscht und die Domain wurde zum nächstmöglichen Zeitpunkt gekündigt. Mehr Information haben wir dazu leider nicht.“

Auf die Frage, inwiefern Brehm mit Apothekern bei dem Angebot zusammengearbeitet hat, antwortet seine Firma nicht – genauso wenig gibt sie Auskunft, welche Rolle das im Impressum angegebene Unternehmen in Singapur hat. „Wir betonen nochmal, dass diese Internetseite nur ein Test eines unserer Dienstleister war, das noch nicht mal eine Woche lang am Markt aktiv betrieben wurde“, erklärt das Unternehmen am Dienstag. „Wir hatten lediglich zwei aktive Nutzer, sodass wir den Dienst im Prinzip sofort eingestellt haben.“

Ein Exit mit Folgen?

Offenbar lief das Ende dieses Geschäftsmodell anders, als Brehm es sich gewünscht hatte. Bei studiVZ gelang es ihm, zusammen mit den beiden Gründern mit 27 Jahren zum reichen „Frührentner“ zu werden, wie die „Welt“ schrieb: Die drei verkauften das Unternehmen 2007 für 85 Millionen Euro an den Holtzbrinck-Verlag. In einem Video-Interview mit „Venture-TV“ gab Brehm später Tipps für erfolgreiche „Exits“: Unternehmer sollten immer sehr offen und transparent sein – und weder bei den Anwälten sparen, noch falsche Versprechungen machen.

Offen ist noch, ob die Berliner Datenschutzbehörde in diesem Fall ermitteln wird. „Wenn im Impressum ein Unternehmen in Singapur angegeben wird, sind wir nicht zuständig“, erklärt ein Sprecher auf Nachfrage. Aktuell gebe es keinen akuten Handlungsbedarf, da der Dienst nun offline ist, doch werde die Behörde den Vorgang möglicherweise nochmal prüfen. „Wir behalten es im Auge“, sagt der Sprecher. Wenn das Angebot – oder ein vergleichbares – nochmal online ginge, würden sie sich dies auf datenschutzrechtliche Aspekte hin anschauen.

Warnung für Apotheker

So dürfte auch die Bitte der Berliner Apothekerkammer und Datenschutzbeauftragten aktuell bleiben, dass Apotheken derartige Flyer nicht an Kunden weitergeben. Die Kammer weist darauf hin, dass Apothekenleiter stets den Inhalt von Informations- und Werbematerial, das sie an Kunden herausgeben oder in ihrer Apotheke auslegen, kritisch prüfen sollten. „Achten Sie auch darauf, dass Sie nichts ‚untergeschoben‘ bekommen“, schreibt sie.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Relevanz?

von Julia am 05.08.2016 um 13:56 Uhr

Natürlich gelten für alle Firmen geltendes Recht, aber so wie das hier klingt, war das ein Testprojekt- bei der noch nicht mal eine eigene Firma gegründet wurde. Test lief 1 Woche, konnte 2 Nutze generieren und das Ganze wird dann mit dem Titel " StudiVZ Chef kaufet Rezeptdaten" hochgebauscht. Wissen Sie wieviele Testprojekte bei Startups betrieben werden? Tausende! Die weitaus mehr Nutzer generieren. Was ist der Sinn dieses Artikels? Es gab einen kurzen Test von einer Woche, der nicht funktioniert hat und die Seite gibt es nicht mehr. Aha!

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Startups nicht kapiert?

von Julia am 03.08.2016 um 19:42 Uhr

Aha, ganze 2 aktive Nutzer! Darüber so einen Artikel schreiben? Peinlich, dass schon wieder ein Reporter sich noch nicht mal die Mühe macht die Start Up Branche zu verstehen. Ganz ehrlich, das ist mehr als lächerlich, was Sie hier von sich geben!

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Datenschutz nicht kapiert?

von Christian Becker am 04.08.2016 um 9:30 Uhr

Hat wer kontrolliert, ob es nur 2 aktive Nutzer gab? Was sind aktive Nutzer? Solche, die in den letzen Tagen ein Rezept hochgeladen haben? Manche Leute bekommen ihre Medikmente im Monatsrhythmus oder seltener - oder ohnehin nicht regelmäßig.
Auch ein Startup berechtigt nicht, gegen geltendes Recht zu verstoßen und die Erfassung solcher Daten ohne Angabe, zu welchem Zweck etc. die Daten gespeichert werden sollen, ist ein Verstoß gegen den Datenschutz.

Wenn es wirklich nur 2 Nutzer waren, relativiert das zwar den potentiellen Schaden und stärkt gleichzeitig ein wenig mein Vertrauen in die Vernunft der Menschen, dennoch ändert es nichts an der Tatsache, dass hier versucht wurde zu obskuren Zwecken an hochsensible Daten zu gelangen.

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