Preisgestaltung ist schuld

Keine innovativen Therapien für britische Krebspatienten 

Stuttgart - 19.08.2016, 10:14 Uhr

Innovative Therapien sind dem NICE oft zu teuer, deswegen bleiben sie britischen Patienten vorenthalten. (Foto: Comugnero Silvana / Fotolia)

Innovative Therapien sind dem NICE oft zu teuer, deswegen bleiben sie britischen Patienten vorenthalten. (Foto: Comugnero Silvana / Fotolia)


James Love, ein international tätiger Aktivist, sagt Arzneimittelherstellen den Kampf an. Sein Ziel ist, alle Menschen mit den bestmöglichen Therapien zu versorgen. Jetzt setzen Patientenverbände Konzerne und Politiker ebenfalls unter Druck. Ihre Forderung: ein neues System zur Preisgestaltung.  

Bei pharmazeutischen Herstellern hat James Love keine Freunde. Als Direktor der NGO Knowledge Ecology International versucht er seit Jahren, alle Patienten mit wirksamen Arzneistoffen zu versorgen. Wer jetzt nur an Schwellenländer oder an die dritte Welt denkt, irrt sich gewaltig. 

Hohe Preise – gute Besserung

Stein des Anstoßes war Trastuzumab Emtansin (Kadcyla®) zur Behandlung von HER2-positivem Brustkrebs. In Großbritannien regelt das National Institute for Health and Care Excellence (NICE), welche Behandlungen als wirtschaftlich gelten. Ein Sprecher stellte Ende 2015 klar, Kadcyla® sei zu teuer für die routinemäßige Kostenübernahme. Als Preis nannte er durchschnittlich 90.000 Pfund (rund 104.000 Euro) pro Patient. Zeitweise sprang sogar der Cancer Drugs Fonds ein.

Love wollte einen Präzedenzfall schaffen. Er rief die „Coalition for Affordable T-DM1“ ins Leben. Kurz darauf ging ein Schreiben an den Gesundheitsstaatssekretär Jeremy Hunt. Darin schlug Love vor, Kadcyla® aus dem Patentschutz zu entlassen. Im britischen Recht besteht tatsächlich die Möglichkeit, Zwangslizenzen zu vergeben, falls – wie es heißt – der Konzern „erschwingliche Kompensationen“ erhält. Trotz dieses provokanten Vorstoßes im letzten Jahr ging wenig voran. 

Lernen von den Nachbarn

Kadcyla® ist kein Einzelfall. Britischen Krebspatienten fehlt häufig der Zugang zu innovativen Therapien. Jetzt machen Breast Cancer Now und Prostate Cancer UK, zwei Patientenorganisationen, mobil. In einem Report vergleichen sie unterschiedliche Länder und deren Systeme. Auch das deutsche Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) wird genannt.

Experten leiten jetzt mehrere Empfehlungen für Großbritannien ab: Patienten sollten stärker als bislang in Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden. Das betrifft in erster Linie Organisationen wie das NICE, das Scottish Medicines Consortium (SMC) beziehungsweise die All Wales Medicines Strategy Group (AWMSG).

Auch sei das Health Technology Assessment (HTA), sprich die Bewertung neuer Therapien, nicht als fixer Endpunkt zu betrachten. Britische Behörden müssten von international etablierten Systemen lernen, schreiben beide Patientenorganisationen. Konkret denken sie an Real World Data, die Pharmaka oft in einem neuen Licht erscheinen lassen. In der Krebstherapie führen Off-Label-Anwendungen nach der Markteinführung mitunter zu neuen Indikationen.

Hinzu kommt die Forderung, flexible Modelle der Preisgestaltung einzuführen. Konkret denken Patientenvertreter an die Nutzenbewertung. Bleibt noch, alle Prozesse zu beschleunigen. Bei Kadcyla® hat der Hersteller nach erfolgreicher Zulassung in UK erste Unterlagen zur Markteinführung im April 2013 eingereicht und im Oktober 2015 grünes Licht erhalten. In Frankreich, Kanada oder Schweden benötige das Verfahren 90 bis 120 Tage. Für den deutschen Markt benötigen Konzerne lediglich die arzneimittelrechtliche Zulassung. Anschließend greift die frühe Nutzenbewertung laut AMNOG. 

Hilferuf an die Regierung

Genau hier bestehen im Vereinigten Königreich eklatante Defizite. „Das NICE-Evaluationsprogramm hat mit Innovationen nicht Schritt gehalten“, kritisiert Paul Catchpole von der Association of British Pharmaceutical Industries (ABPI). Seit mehr als 15 Jahren arbeite man rein mit Wirtschaftlichkeitskriterien. Ein Sprecher des Department of Health entgegnete, man sei bemüht, Patienten die besten Krebsmedikamente bei vernünftigen Preisen anzubieten. Sir Andrew Dillon, Direktor des NICE, sieht eher pharmazeutische Hersteller in der Pflicht, ihre Preisgestaltung grundlegend zu überdenken.


Michael van den Heuvel, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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