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Die Evidenz-Sprechstunde
Der Effekt ist doch offensichtlich – oder?
Randomisierte kontrollierte Studien gelten zu Recht als Goldstandard, wenn es darum geht, Therapiefragen zu untersuchen. Denn dieser Studientyp sorgt für gleiche Ausgangsbedingungen zwischen der Behandlungs- und Kontrollgruppe und ist so am wenigsten anfällig für Störfaktoren. Aber muss man deshalb alle Therapiestudien randomisieren? Nein, nicht alle – aber doch die meisten.
Die Weihnachtsausgabe des British Medical Journal ist für Artikel
bekannt, die amüsante Fragestellungen mit ernsthaften Methoden untersuchen. Vor
einigen Jahren erschien ein Beitrag, der für eine systematische
Übersichtsarbeit randomisierte kontrollierte Studien zum Nutzen von
Fallschirmen beim Absprung aus Flugzeugen suchte. Verständlicherweise
konnten die Autoren keine finden. Die Arbeit mündete in der Frage, ob
Verfechter der evidenzbasierten Medizin sich denn dafür aussprechen würden, auf
Fallschirme künftig zu verzichten, da der Nutzen nicht in randomisierten
kontrollierten Studien untersucht sei. Alternativ könnten sie sich natürlich
auch als Probanden für eine entsprechende placebokontrollierte Studie zur
Verfügung stellen.
Dramatische Effekte
Dieser Artikel wird gerne zitiert, um die Notwendigkeit von randomisierten kontrollierten Studien im Allgemeinen infrage zu stellen. Allerdings verkennen die meisten dabei, dass das Beispiel mit den Fallschirmen einen Spezialfall darstellt. Hier hat die Intervention (der Fallschirm) nämlich einen dramatischen Effekt: Ohne Fallschirm überlebt so gut wie niemand den Sprung aus großer Höhe, mit Fallschirm jedoch sehr viele (korrekte Handhabung und Funktion vorausgesetzt). In dieser Situation ist es sehr leicht, den Nutzen zu erkennen – auch ohne Randomisierung. Auf der Basis der bisherigen Erfahrungen kann man sogar auf eine zeitgleiche Kontrollgruppe verzichten.
Seltene Fälle
In der Medizin sind solche dramatischen Therapieeffekte jedoch sehr selten. In der Geschichte gibt es nur einige wenige Beispiele, wo ohne eine bestimmte Therapie nahezu alle Patienten sterben, aber mit der Therapie fast alle überleben. Dazu gehört etwa die Anwendung von Insulin bei Patienten mit Typ-1-Diabetes. Hier sind die Therapieeffekte so groß, dass sie selbst dann real sein müssen, wenn die Studien systematische Verzerrungen aufweisen, etwa ungleiche Ausgangsbedingungen in Behandlungs- und Kontrollgruppe. Darauf weist auch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in seinem Methodenpapier hin. Deshalb konnte das IQWiG beispielsweise bei einem Hepatitis-C-Mittel (Kombination aus Ledipasvir/Sofosbuvir) für bestimmte Patientengruppen Anhaltspunkte für einen Zusatznutzen feststellen, obwohl lediglich nicht-randomisierte Studien mit einer historischen Kontrollgruppe vorlagen.
Wie viel ist „groß“?
Als dramatische Effekte gelten nicht nur Heilungsraten von nahezu 100 Prozent (wie bei dem erwähnten Hepatitis-C-Mittel), sondern auch deutlich reduzierte Risiken. Ausgedrückt als relative Risikoreduktion heißt das: Bei einem relativen Risiko von mindestens etwa fünf bis zehn (beziehungsweise höchstens 0,1 bis 0,2, je nach Darstellung der Gruppen) gehen Experten davon aus, dass sich diese Effekte nicht allein durch den Einfluss von Störfaktoren in den Studien erklären lassen. Ein relatives Risiko von 0,1 bedeutet beispielsweise, dass in der Behandlungsgruppe nur ein Zehntel der unerwünschten Ereignisse (etwa Herzinfarkte) auftritt, verglichen mit der Kontrollgruppe. Ähnlich geht auch das GRADE-System vor, das hilft, die Erkenntnissicherheit der Evidenz aus klinischen Studien einzuschätzen: Danach gilt die Erkenntnissicherheit aus nicht-randomisierten Studien erst einmal als „niedrig“. Wenn jedoch das Risiko für systematische Verzerrungen niedrig ist, alle Studien ähnliche Ergebnisse aufweisen und präzise Schätzungen des Effekts liefern, können dramatische Effekte zum Hinaufstufen der Erkenntnissicherheit führen.
Sind kleine Effekte echt?
Die Effekte der allermeisten Therapien sind jedoch deutlich kleiner. Zum Vergleich: Statine senken bei Patienten mit chronischer koronarer Herzkrankheit in der Sekundärprävention das Risiko für kardiale Ereignisse um etwa 25 bis 30 Prozent. Das entspricht einem relativen Risiko von 0,7 bis 0,75. Kleine Therapieeffekte werden gerade bei chronischen Erkrankungen außerdem häufig durch variable Krankheitsverläufe überlagert. Hinzu kommt, dass systematische Verzerrungen (Bias), etwa durch unzureichende Verblindung oder unterschiedliche Begleitbehandlungen, Therapieeffekte häufig überschätzen. Um das Ausmaß des therapeutischen Nutzens richtig bestimmen zu können, sind deshalb Untersuchungen nötig, die systematische Verzerrungen möglichst gut ausschließen. Deshalb läuft es letzten Endes bei Therapiestudien doch wieder auf randomisierte kontrollierte Studien hinaus. Allerdings müssen auch randomisierte kontrollierte Studien bestimmte Qualitätskriterien einhalten, damit sich der Bias nicht doch durch die Hintertür wieder einschleichen kann. Doch dazu mehr in der nächsten Evidenz-Sprechstunde.
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