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Millionen Allein in Europa
Krankenhausinfektionen kosten viele Lebensjahre
Die Angst vor Krankenhausinfektionen kommt nicht von ungefähr. Eine Studie hat für Europa die beachtlichen Zahlen hochgerechnet. Demnach vermuten die Forscher, dass sich mehrere Millionen Patienten im Krankenhaus eine Infektion zuziehen. Mehr als 90.000 sterben daran. Es liegt aber nicht nur an Hygiene-Mängeln.
Sechs häufige Krankenhausinfektionen hatten Forscher in ihre Studie aufgenommen. Dazu zählen Lungenentzündungen, Sepsis sowie Harnwegs- und Wundinfektionen. Daraus haben sie Zahlen für Europa hochgerechnet. Diese Daten wurden in der Fachzeitschrift „Plos Medicine“ veröffentlicht. Die Forscher gehen dabei von mehr als 2,5 Millionen Infektionen aus, die sich Patienten erst in einer Klinik zuzogen. Mehr als 90.000 Patienten sterben den Berechnungen zufolge pro Jahr an Krankenhausinfektionen.
Petra Gastmeier, Direktorin des Nationalen Referenzzentrums zur Überwachung von Krankenhausinfektionen an der Berliner Charité, bezeichnet die Studie als die beste, die sie zu diesem Thema gesehen hat – und das nicht nur in Europa. Für Deutschland schätzt Gastmeier die Zahl der Krankenhausinfektionen pro Jahr auf rund 500.000. Dadurch kommt es geschätzt zu bis zu 15.000 Todesfällen. Dabei gilt ein Drittel der Krankenhausinfektionen als vermeidbar – zum Beispiel durch bessere Hygiene.
Für ihre Studie haben die Forscher um Alessandro Cassini vom Europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) vor allem auf Daten dieses Zentrums zurückgegriffen. Sie wurden in den Jahren 2011 und 2012 in 30 europäischen Ländern mit insgesamt 510 Millionen Einwohnern erhoben. Die tatsächliche Zahl der Krankenhausinfektionen kann sogar noch höher liegen, da in der neuen Auswertung nur sechs – jedoch recht häufige – Infektionen berücksichtigt wurden.
Neue Art der Berechnung berücksichtigt Grunderkrankungen
Die Krankenhausinfektionen sind nach Angaben der Autoren zugleich Ursache für 2,5 Millionen beeinträchtigte oder verlorene Lebensjahre jährlich in Europa. Bei der völlig neuen Art der Berechnung sei auch berücksichtigt worden, dass solche Patienten immer Grunderkrankungen haben, sagte Mitautor Tim Eckmanns vom Robert Koch-Institut, das maßgeblich an der Studie beteiligt war. Die ermittelte Krankheitslast sei also nur auf die Krankenhausinfektionen zurückzuführen und nicht auf die ohnehin bei den Patienten vorhandenen Krankheiten.
Auch Deutschland lieferte seine Zahlen dazu. Als Basis für die Europa-Auswertung dienten am Ende die Daten von rund 274.000 Patienten in rund 1150 Akutkrankenhäusern. Nicht berücksichtigt wurden andere Einrichtungen wie zum Beispiel Reha-Zentren. Bei den Hochrechnungen wurden Krankenhausinfektionen, die durch multiresistente Erreger ausgelöst wurden, bewusst nicht separat ausgewiesen. Sie sind in die Gesamtzahl eingeflossen. In der Studie seien 85 bis 90 Prozent der in den 30 Ländern vorkommenden Krankenhausinfektionen erfasst worden, sagt Expertin Gastmeier.
Ab Tag drei gilt es als Klinikinfektion
Eine solche Infektion bekommt ein Patient per Definition in einer Klinik. „Am ersten und zweiten Tag in einer Klinik sind es in der Regel mitgebrachte Infektionen, ab Tag drei gilt es als Krankenhausinfektion“, sagt Gastmeier. Das heiße aber nicht, dass ab dem dritten Tag automatisch Klinikmitarbeiter die Schuld daran trügen.
Denn die Gründe für diese Infektionen sind vielfältig. Klinik-Patienten benötigen oft invasive Untersuchungen oder Therapien: Sie bekommen zum Beispiel Katheter gelegt oder werden an Beatmungsgeräte angeschlossen. Das alles seien Eintrittspforten für Erreger in den Körper, erklärt Gastmeier. Oft seien es gar keine fremden Keime aus der Umgebung. „Jeder von uns schleppt Billionen Bakterien mit sich herum.“ erläutert die Hygieneärztin. „Zum Beispiel auf unserer Haut oder im Darm – und die dringen dann in den Körper ein.“ Je länger ein Katheter liege, desto größer sei das Risiko dafür.
15 Prozent der Intensivpatienten sind betroffen
In Deutschland bekommen rund 3,5 Prozent der Patienten auf Allgemeinstationen eine Krankenhausinfektion, 15 Prozent auf Intensivstationen. Die Zahlen werden sich nach Meinung Gastmeiers künftig kaum ändern. Zwar haben viele Kliniken die Händehygiene verbessert und es gibt mehr geschultes Personal. „Doch die Patienten werden immer älter und kränker und damit noch anfälliger für Infektionen“, berichtet sie.
Es gibt zudem noch zwei gegenläufige Entwicklungen: Durch minimalinvasive Chirurgie, auch als Schlüsselloch-Chirurgie bezeichnet, ist das Infektionsrisiko heute bei Operationen geringer als früher. Doch auf der anderen Seite steige die Zahl der invasiven Maßnahmen, sagt Gastmeier. So würde oft nicht mehr nur ein zentraler Venenkatheter gelegt, sondern mehrere. Und bei jeder Eintrittsstelle in den Körper haben Keime Chancen.
Sparpotenzial wird bei ambulanten Antibiotika gesehen
Zwischen 1000 und 4000 Todesfälle gehen in Deutschland pro Jahr auf das Konto multiresistenter Erreger. Viele Patienten bringen sie bereits mit – und es obliegt dem Management der Kliniken dafür zu sorgen, dass sich andere Patienten nicht infizieren. Bei der Umsetzung habe sich in den vergangenen Jahren im Vergleich zu früher ebenfalls viel getan, sagt Gastmeier – bis hin zu gezielten Präventionsprogrammen bei Risikogruppen. Doch es kommt weiterhin immer auf das Augenmerk der einzelnen Klinik an.
Möglichkeiten zur Vermeidung solcher Infektionen sieht Gastmeier vor allem bei der Antibiotika-Verordnung. „Da könnten wir sparen, vor allem im ambulanten Bereich“, sagt die Expertin. So sollten möglichst keine Breitspektrum-Präparate verordnet werden. Unklar sei aber, welchen Einfluss die Belastung mit Antibiotika heute durch Umwelt, Lebensmittel und auch Reisen habe.
1 Kommentar
Relation
von Holger am 19.10.2016 um 8:18 Uhr
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