Kommentar

Aldi und Tante Emma – der EuGH und die Apotheken

Stuttgart - 26.10.2016, 17:30 Uhr

Wo früher ein Lebensmittelladen war, ist heute oft Leerstand. Blüht den Apotheken ein ähnliches Schicksal? (Foto: spuno / Fotolia)

Wo früher ein Lebensmittelladen war, ist heute oft Leerstand. Blüht den Apotheken ein ähnliches Schicksal? (Foto: spuno / Fotolia)


Als ein Gewinn für die Patienten wird von vielen das EuGH-Urteil zu den Rx-Boni bezeichnet. Vor allem Chroniker würden finanziell entlastet, heißt es. Die möglichen Folgen, wenn diese Patienten ihren Dauerbedarf hauptsächlich im Internet bestellen, scheinen allerdings viele nicht zu bedenken. Ein Kommentar von DAZ.online-Redakteurin Julia Borsch.

In vielen kleinen Orten gibt es keine Lebensmittelläden mehr. Irgendwo in der Nähe hat ein Discounter oder ein großer Supermarkt aufgemacht, bei dem der Einkauf meist etwas günstiger war als im Dorfladen. Beim Händler vor Ort wurde nur noch gekauft, wenn kurzfristig etwas fehlte. Lediglich wer den Supermarkt ein paar Orte weiter nicht erreichen konnte, ging weiterhin regelmäßig in den Laden. Von ein paar alten Leuten und dem, was beim Einkauf bei Aldi und Co. vergessen wurde, kann allerdings niemand leben. Die Dorfläden verschwanden nach und nach von der Bildfläche. Um die Bevölkerung vor Ort mit Lebensmitteln zu versorgen, wird heute stellenweise ein großer logistischer Aufwand betrieben, zum Beispiel mit mobilen Supermärkten in LKWs. Die kommen zu fixen Terminen mit begrenzter Auswahl. Ob man dort wohl immer zum besten Preis einkauft? Vermutlich eher nicht. Und wenn beim Frühstück dann mal die Butter fehlt, denkt sicher der eine oder andere mit Wehmut an den Lebensmittelladen im Ort zurück.


DAZ.online Redakteurin Julia Borsch

Viele Patienten (und Journalisten) in Deutschland freuen sich dieser Tage. So lässt sich doch mit einer Bestellung in einer holländischen Versandapotheke leicht der eine oder andere Euro einsparen. Vor allem Menschen, die regelmäßig Arzneimittel einnehmen, sollen so entlastet werden. Für den dringenden Bedarf – sei es eine akute Erkrankung oder weil vergessen wurde, rechtzeitig das Rezept beim Arzt anzufordern – gibt es ja die Apotheke um die Ecke. Ach ja, die Dame von nebenan holt ihre starken Schmerzmittel übrigens auch noch dort, ebenso wie das Kind mit Neurodermitis seine Spezialcreme. Betäubungsmittel und Rezepturen gibt es nämlich beim Versender nicht.

Fragt sich nur, wie lange sie das noch können. Denn von ein paar Antibiotikarezepten, BtMs, Rezepturen und Fiebersäften für Kinder kann keine Apotheke leben. Irgendwann werden viele Apotheken außerhalb der besten Geschäftslagen von der Bildfläche verschwunden sein.

Und spätestens in dem Moment, wenn sie mit einem kranken, quengelnden Kind auf dem Rücksitz viele, viele Kilometer zur nächsten Apotheke fahren, wegen eines akuten Infekts dringend ein Antibiotikum brauchen oder auch nur mit schlimmen Kopfschmerzen nach einer durchgefeierten Nacht feststellen, dass die Ibuprofen bei der letzten Bestellung vergessen wurden –  spätestens dann denken vermutlich die meisten mit Wehmut an die Apotheke vor Ort zurück. Doch die ist dann – ebenso wie der Lebensmittelhändler – Geschichte. Als es darum ging, ein paar Euro zu sparen, haben daran aber scheinbar viele nicht gedacht. 


Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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10 Kommentare

Das EU-GH Urteil und die Reaktionen der Apotheker

von Karl Rutz am 29.10.2016 um 13:07 Uhr

In dem Artikel von Frau Borsch wie in den Kommentaren und wie auch in den vielen anderen Stellungnahmen der Apotheker wird vornehmlich auf eines hingewiesen: der drohende Untergang der ländlichen Apotheke. Für die Nicht-Apotheker hört sich das so an, dass die Apotheker lediglich um ihre Einkünfte besorgt sind. Ein Nicht-Apotheker, der in der Stadt wohnt (und dort wohnt der Großteil der Bevölkerung) kann das sowieso nicht verstehen, da er alle paar hundert Meter eine Apotheke findet.
Das Argument des "Untergangs der Apotheke" ist eine unnötige und (Entschuldigung) dumme Reaktion auf das Urteil. Die Arzneimittelpreisbindung ist doch nicht geschaffen worden, damit Apotheken auf dem Land leben können. Sie ist existiert, damit sich ein Kranker sicher sein kann, dass er überall den gleichen Preis für ein Medikament zahlt und nicht erst einen Preisvegleich anstellen muss.
Dieses muss doch von den Apothekern betont werden. Interessanterweise macht das die ABDA auch auf ihre Internetseite. Leider wird nur das Argument des "Untergangs der Apotheke" diskutiert, was sogar der ABDA-Präsident mind. 2x zur besten Sendezeit im Fernsehen geäußert hat. Ich habe ihn im Morgenmagazin und bei Heute oder Tagesschau gesehen.
Vergleiche mit Tante-Emma-Läden halte ich für wenig hilfreich. Selbst im letzten Winkel des Landes ist noch niemand wegen fehlender Tante-Emma-Läden verhungert.

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EuGH und die Apotheken

von Der Dauerkrankr am 27.10.2016 um 18:21 Uhr

Ich kann es ja verstehen das man sich sorgen um die Ortsansässige Apotheke sorgen macht ABER denkt auch mal jemand an die Kranken und ich meine nicht die mit dem kleinen Schnupfen oder Kopfschmerzen sondern die Leute die jeden Monat zig € ausgeben müssen für ihre Medikamente. In einer Zeit in der die Renten immer weniger wert sind . Ich finde es unfair immer auf den Onlineapotheken rum zu hacken hier ist die Politik gefragt, dann gebt der ortsansässigen Apotheke auch die Möglichkeit Rabatte zu geben. Die Preise der Pharmaindustrie sind eh zu hoch geht mal da dran und meckert nicht immer rum. Eine Packung kopschmerztabletten kostet bei uns in der Apotheke 7€ im Europäischen Ausland nicht mal die Hälfte vom gleichen Hersteller also ist doch in der Pharmaindustrie noch genügend Spielraum. Unser Gesundheitssystem ist eh marode hier sollte man auch mal anfangen zu reformieren.

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AW: EuGH und die Apotheken

von Bernd Jas am 28.10.2016 um 10:20 Uhr

Was bedeutet es denn, wenn ein (unser Gesundheits-) System marode ist? Es benötigt Geld.
Es wäre daher, da es ein wichtigster Teil unseres Sozialsystems ist, nicht tragbar wenn die daran teilnehmenden Partner (also auch die Apotheken) mit Rabatten werben und diese dann denjenigen aushändigen die von diesem System (in diesem Fall mit Rezepten die wir im Prinzip alle bezahlen) bezuschusst werden. Darum sehen die Gesetzlichen Krankenkassen das so, als würde Geld, was eigentlich ihnen (also der Allgemeinheit) gehört am System vorbeigeschleust wird.
Rabatte gehen sozusagen auf die Kosten aller. Zu mindestens ist das im deutschen Gesundheitssystem so, denn Medikamente sind keine Lebensmittel oder Möbelstücke.

Aldi und Tante Emma

von Kostas am 26.10.2016 um 21:16 Uhr

Meine Erfahrung nach 7 Jahren Krise in der gr Apotheke hat gezeigt dass die Romantiker unter den Kunden-Patienten so langsam ausbleiben,e-Shops sowie größere Apotheken die Rabatte anbieten werden natürlich bevorzugt,das Neue gewinnt täglich die Vor-Ort Apotheke!

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Ich tu mich echt schwer

von Christiane Patzelt am 26.10.2016 um 19:49 Uhr

mit dem Vergleich Apotheke = Tante-Emmma-Laden, weil....

Wir sind mittlerweile hochtechnologisiert ( Automaten, selbstlesende Kassen, Software alle 14 Tage aktuell, Werbung auf Bildschirmen, mobile EC-Geräte für Haustürzahlung, email-Bestellung,whatsapp-Bestellung, homepage, usw usw -- da mutet manch Hausarztpraxis sehr altbacken und 1980 an..aber ok, jeder nach seiner Façon ). Wir sind auf Fortbildungen, Medikationsmanagement, Palli, Phyto, Darm, Homöo, wat weiß ich -- unsere Ausbildung ist nach dem Studium nicht fertig, bei dem riesen Input an neuen Arzneistoffen/Therapien ja auch nicht möglich (für mich EIN Grund, überhautp in die Pharmazie zu gehen--ständig neuer Lernstoff).

Was wir mit Emma gemeinsam haben?
Wir sind da
Wir sind vor Ort
Wir geben Arbeit vor Ort
Wir zahlen Steuern vor Ort
Wir sponsern vor Ort

Und genau dieser Spagat -- Traditionsberuf mit Moderne und
dieser Spagat hier --- Kaufmann mit Heilberuf oder Heilberuf mit Kaufmann
das ist das Tolle! Und das ist doch auch das tolle für die Kunden! Jede Empfehlung, die ich oder meine Damen aussprechen, fällt auf uns zurück--ich empfehle und ich stehe dafür gerade--ich übernehme Verantwortung!

Bestellen die Leute im Netz, sind sie alleingelassen--manchmal geht das gut, manchmal voll daneben ( ich erinner mich an die Mummy, die vor einigen Tagen einen WickMediNait-Saft und eine WickVapoRub bei mir kaufen wollte...auf Nachfrage für wen....für ihr 15 Wochen altes Baby...Eigenverantwortung ist gut, es darf aber immer noch mal jemand drüber gucken.
Und Tante Emma? Nein, ich hab vielleicht das Alter aber nicht die innere Einstellung für Tante Emma -- das wäre unser Licht UNTER den Scheffel gestellt, das sind wir nicht.

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AW: Ich tu mich echt schwer

von Julia Borsch/DAZ.online am 26.10.2016 um 20:08 Uhr

Liebe Frau Patzelt,
danke für Ihren Kommentar. Da haben sie natürlich recht, inhaltlich kann man Apotheke und Tante Emma auf keinen Fall auf eine Stufe stellen, will ich auch gar nicht. Da haben Sie mich falsch verstanden oder ich habe es nicht eindeutig genug gesagt. Aber Tante Emma als Symbol dafür, dass man für ein paar gesparte Euro die gewachsenen Versorgungsstrukturen vor Ort opfert, passt meiner Meinung nach sehr gut. Einen schönen Abend noch und viele Grüße Julia

AW: Liebe Frau Borsch,

von Christiane Patzelt am 26.10.2016 um 21:02 Uhr

unter der Sicht ist es nachvollziehbar...an den Füßen lass ich mich durch diese Tante-Emma-Ladentür ziehen :-D

AW: Ich tu mich echt schwer

von gabriela aures am 26.10.2016 um 22:45 Uhr

Danke, liebe liebe Frau Patzelt, für diese wunderbare Beschreibung unseres ach so austauschbaren Alltags !

AW: Mit der Anonymität tu ich mich auch echt schwer

von Bernd Jas am 27.10.2016 um 11:52 Uhr

Mit der Anonymität tu ich mich auch echt schwer

Das Tante Emma-Lädchen kann man aus elitärapotekerlicher Sicht NATÜRLICH nicht mit dem Apothekenschlößchen vergleichen, ABER von der soziologischen und ökonomischen Seite aus betrachtet zeigt uns nicht nur der Tante Emma-Laden, sondern auch nicht an Supermärkte angeschlossene Einzelhändler (wie Bäcker, Schuster, Metzger, Konfiserie, Tabakhändler, Käsereien, usw.) Parallelen zu unseren verlorengegangenen sozialen Treffpunkten auf. Von unseren, damals schon in den 80´ern von der SPD (angefangen in den 70´ern) plattgemachten bäuerlichen Kleinbetrieben, die sich plötzlich dem internationalen Wettbewerb stellen sollten (get bigggger ot get ouuut) ganz zu schweigen.
Hier gehen mehr und mehr wichtige Kommunikations- und Handelszentren den Bach runter, was wir immer stärker im täglichen Umgang miteinander zu spüren bekommen. Neidbefüllte Geiz ist geil-Charaktere sind im Zuchtresultat nur ein Aspekt.

ßie müsssen funktionierrren und ßie müssen zahlen, mehrr brraucht eß nicht.

Zurück zur Apotheke, die für den Notfall dann wieder gut genug ist. Ich denke da nicht nur an Notdienst, Rezeptur und BTM, sondern auch an unser Pandemieszenarium vor ca. 7 Jahren.
Um die Bevölkerung im Notfall versorgen zu können, schafften wir uns zur Vorsorge tausende von Fläschchen, - Spritzen und Konservierungsmittel an. Diese Pflegen wir nun pflichtgehorsamst bis zur Schließung. Und dann?
Ich lach mich wech, wenn Dok-Mac und Euro-Aposchreck versuchen die Welt vor einer wirklichen
Katastrophe zu retten.

Halten Sie Türen und Fenster geschlossen und verlassen Sie Ihre Wohnung nicht. Es besteht kein Grund zur Beunruhigung und es geht auch in Zukunft zu keinem Zeitpunkt eine Gefährdung für die Bevölkerung aus.

Danke für den zum Nachdenken anstoßenden Artikel.

Tante Emma und Onkel Moos

von Bernd Jas am 26.10.2016 um 18:54 Uhr

Tja, das ist so eine Sache mit dem billiger (oder auch nicht) einkaufen.
Unser Herr Moos ist seit drei Jahren in Rente und den Einkaufsladen hat niemand mehr (neben Lidl, Aldi, Netto) im Dorf weiterführen wollen. Da war viel Engagement mit Ausfahren usw. zu bieten. Wer macht sich schon noch diese Mühe außer den Apo´s und vielleicht noch dem Getränkehändler.
Und mit dem Sparen ist das so eine Sache. Wir konnten immer einzelne Zwiebeln, Äpfel und so weiter Einkaufen ohne noch einen elektronischen Wecker oder - Fliegenfänger mit in den Einkaufswagen zu stecken. Zusatzverkäufe und Säckeweise Lebensmittel die zu dem noch schnell vergammeln machen die ganze Angelegenheit nicht gerade zum Schnäppchen.
Immer nach den Motto: "Kumma fümf Fannenheber, binn´i billich drann gekomm´."

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