Empfehlungen der KBV

Unkomplizierte Harnwegsinfekte rational behandeln

Stuttgart - 01.11.2017, 14:30 Uhr

Mittels Teststreifen lässt sich ein HWI leicht feststellen. (Foto: Gerhard Seybert / stock.adobe.com)                      

Mittels Teststreifen lässt sich ein HWI leicht feststellen. (Foto: Gerhard Seybert / stock.adobe.com)                      


Antibiotika ja oder nein? Und wenn ja, welche? Diese Fragen stellen sich bei unkomplizierten Harnwegsinfekten. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat dazu nun in Zusammenarbeit mit der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft Empfehlungen zusammengestellt, die in der Publikation „Wirkstoff aktuell“ veröffentlicht wurden. 

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ist gemäß § 73 Abs. 8 SGB V gesetzlich verpflichtet, den Vertragsärzten Hinweise zu Indikationen, therapeutischem Nutzen und Preisen von zugelassenen Arzneimitteltherapien zu geben. Das tut sie unter anderem im Rahmen der Publikation „Wirkstoff aktuell“, die sie gemeinsam der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) erstellt. In der aktuellen Ausgabe geht es um das Thema „Rationale Antibiotikatherapie bei Unkomplizierten Harnwegsinfektionen“, also die unkomplizierte Zytstitis und die unkomplizierte Pyelonephritis. 

Zystitis versus Pyelonephritis  

Bei einer Zystitis sind Infektion und Entzündungsreaktion auf die Blase begrenzt. Bei einer Pyelonephritis ist das Nierenparenchym betroffen. Beide verursachen in  der Regel klinische Symptome. Das wesentliche Ziel einer Therapie ist, die Symptome schneller zum Abklingen zu bringen. Fehlen Symptome trotz nachgewiesener bakterieller Harntraktbesiedlung, spricht man von einer asymptomatischen Bakteriurie.

Wann gilt ein HWI als „unkompliziert“?

Ein Harnwegsinfekt (HWI) gilt als unkompliziert, wenn keine „komplizierenden Faktoren“ vorliegen, also keine funktionellen/ anatomischen Anomalien im Harntrakt, keine Nierenfunktionsstörungen und keine Begleiterkrankungen, die HWI begünstigen. 

Laut Leitlinie ist bei Männern jede Harnwegsinfektion primär als kompliziert einzuschätzen und sollte immer differenziert abgeklärt werden, da oft die Prostata mit betroffen ist.

Muss man immer Antibiotika geben?

Eine asymptomatische Bakteriurie wird in der Regel nicht antibiotisch behandelt. Eine Ausnahme stellen schwangere Frauen dar. Die Pyelonephritis muss antibiotisch behandelt werden und zwar so früh wie möglich, um Narbenbildung und Komplikationen zu verhindern. Bei der unkomplizierten Zystitis sollte laut KBV eine Antibiotikatherapie empfohlen werden. Bei leichten bis mittelgradigen Beschwerden wird aber eine symptomatische Therapie, zum Beispiel mit NSAR  für vertretbar gehalten. Die Entscheidung sollten Arzt und Patient gemeinsam treffen. 

Muss vor einer Therapie mikrobiologische Diagnostik mit Resistenztestung erfolgen?

Bei einer unkomplizierten Zystitis ist Erregersicherung im Rahmen einer mikrobiologischen Diagnostik nach Ansicht der KBV nicht kosteneffektiv. Sie wird in der Regel empirisch behandelt. Da bei einer Pyelonephritis so schnell wie möglich mit der Therapie begonnen werden soll, ist eigentlich keine Zeit auf das Ergebnis der Resistenztestung zu warten. Daher rät die KBV das Antibiotikum anhand der folgenden Kriterien auszuwählen: größte  Erregerwahrscheinlichkeit,  erwartete  Resistenzsituation und geringste Kollateralschäden.  

Welche Erreger spielen eine Rolle?

Versucher der unkomplizierten Zystitis und Pyelonephritis im Kindes- und Jugendalter ist vorwiegend E. coli, manchmal, aber deutlich seltener, auch Proteus mirabilis. Bei Erwachsenen wird die unkomplizierte Zystitis ebenfalls am häufigsten durch E. coli hervorgerufen, seltener  durch  Klebsiella, Proteus spp. oder  Staphylococcus saprophyticus. Bei der Pyelonephritis sind die Übeltäter auch vor allem E. Coli, gefolgt von Proteus mirabilis und Klebsiella pneumoniae. Selten findet man auch Enterobakterien oder Staphylokokken. 

Was sind die Mittel der Wahl bei unkomplizierter Zystitis?  

Bei Kinder und Jugendlichen:

Trimethoprim galt lange als Mittel der Wahl. Der Sulfonamid-Anteil, der in Cotrimoxazol zusätzlich enthalten ist, gilt als verzichtbar, da er die Wirksamkeit nicht erwiesenermaßen verbessert und das Risiko für Nebenwirkungen erhöht. Aufgrund zunehmender Resistenzen rückt Trimethoprim aber zunehmend in den Hintergrund. In Gegenden mit Resistenzquoten über 20 Prozent empfiehlt die KBV eine kalkulierte Therapie mit einem Oralcephalosporin oder mit Amoxicillin plus Betalaktamaseinhibitor. Reserveantibiotika sollten vermieden werden.

Bei Mädchen ab 12 Jahren mit eindeutigen Symptomen kann auch Fosfomycin-Trometamol eingesetzt werden. 

Bei Erwachsenen:

Bei Frauen in der Prämenopause können Fosfomycin-Trometamol, Nitroxolin oder Pivmecillinam eingesetzt werden – unter Beachtung der jeweiligen Kontraindikationen. So ist Fosfoymcin bei schwerer Niereninsuffizienz (GFR < 20 ml/min) kontraindiziert, Nitroxilin bei schweren Leber- und Nierenfunktionsstörungen. Zudem enthält das Fertigarzneimittel potenzielle Allergene, Soja und Ponceau 4R (E124). Die KBV weist zudem auf den geringen Erfahrungsumfang hin. Pivmecillinam sollte nur kurzfristig und nicht wiederholt eingesetzt werden. Es besteht die Gefahr eines Carnitinmangels.

Abweichend von der aktuellen S3-Leitline gesteht die KBV Nitrofurantoin nur den Status eine Reservemittels zu. Grund sind die bestehenden Risiken. So kann es bei Nieren- und Leberfunktionsstörungen zu erheblichen Nebenwirkungen kommen. Nieren- und Leberfunktion müssen daher vor der Verordnung und während der Therapie überprüft werden. Zudem kann Nitrofurantoin interstitielle Pneumonitiden und Lungenfibrosen verursachen. Diese enden zum Teil tödlich und treten zwar meist unter Langzeitanwendung, aber auch bei kürzerer oder intermittierender Anwendung auf. 

Fluorchinolone wirken zwar gut, sind aber nicht Mittel der Wahl. Fehlen Alternativen, rät die KBV zu Norfloxacin – zum einen wegen günstiger Resistenzraten zum anderen wegen der geringeren  systemischen Wirksamkeit .

Cotrimoxazol  und Trimethoprim sind aufgrund hoher Resistenzraten nicht mehr Mittel der Wahl für eine empirische Therapie. Liegen diese regional unter 20 Prozent hält die KBV eine Kurzzeittherapie von drei Tagen aber für vertretbar.

Auch keine Mittel der ersten Wahl für die empirische  Kurzzeittherapie  der  unkomplizierten Zystitis  sind Aminopenicilline plus Betalaktamaseinhibitoren. Hintergrund sind die niedrigen Empfindlichkeits- bzw. hohen Resistenzraten. Kommen andere Antibiotika nicht infrage, sind Cephalosporine der zweiten (Cefuroximaxetil) oder dritten Generation (Cefixim, Cefpodoximproxetil) eine denkbare Alternative.


Bei Männern und bei unkomplizierter Pyelonephritis: Mittel der Wahl

Bei jüngeren Männern sollte  Pivmecillinam  eingesetzt werden. Denn Fosfomycin-Trometamol und Nitrofurantoin besitzen jeweils keine Zulassung für Männer: Letzteres wird in der S3-Leitlinie empfohlen. Die KBV weist in diesem Zusammenhang aber darauf hin, dass Off-Label Verordnungen zulasten der GKV nicht möglich sind. 

Was gibt man bei unkomplizierter Pyelonephritis?

Bei Kindern und Jugendlichen:

Ab dem ersten Lebensjahr sollte eine orale Therapie bevorzugt werden. Bei schwerem Verlauf und im Säuglingsalter kann aber eine parenterale Antibiotikagabe angezeigt sein. Nach Ansprechen und Vorliegen des Antibiogramms sollte auf eine orale Therapie gewechselt werden, rät die KBV.

Jenseits des Säuglingsalters kann ambulant, wenn eine entsprechende ärztliche Überwachung und die Compliance gewährleistet sind, mit einem Oralcephalosporin der Gruppe 3 oder mit Amoxicillin plus Betalaktamaseinhibitor behandelt werden.

Bei Erwachsenen:

Bei schweren Infektionen mit Begleitsymptomen wie Übelkeit, Erbrechen oder Kreislaufinstabilität sollte zunächst parenteral behandelt werden.  Bei milden und mittelschweren Verläufen bei ansonsten gesunden Frauen ist eine orale Behandlung angezeigt.

Mittel der ersten Wahl sind die Fluorchinolone, Ciprofloxacin und Levofloxacin. Falls die lokale E.coli-Resistenzrate nicht deutlich über 10 Prozent liegt. Norfloxacin eignet sich nicht. Cephalosporine der Gruppe 3 sind ebenfalls eine Option.

Von Cotrimoxazol und Trimethoprim rät die KBV zur empirischen Therapie ab.

Bei jüngeren gesunden Männern gelten Fluorchinolone als Mittel der ersten Wahl, ebenfalls unter Berücksichtigung der lokalen Resistenzrate. 

Wie lange behandelt man?

Bei Kindern: meist sind sieben bis zehn Tage ausreichend, je nach klinischem Verlauf.

Bei Erwachsenen: in der Regel sieben bis 14 Tage, ja nach Verlauf; bei Männern reichen meist fünf bis zehn Tage.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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