Antibiotikaresistenz

Bakteriophagen als Einzelkämpfer gegen Infektionen

Remagen - 15.11.2017, 09:15 Uhr

Therapeutische Phagen sollen gegenüber Antibiotika einige Vorteile haben. (Foto: picture alliance / Shotshop)

Therapeutische Phagen sollen gegenüber Antibiotika einige Vorteile haben. (Foto: picture alliance / Shotshop)


Resistenzen gegen Antibiotika nehmen weltweit zu, und alternative Therapien werden dringend gebraucht. Vier renommierte deutsche Forschungsinstitutionen haben sich für das Projekt „Phage4Cure“ zusammengetan. Sie wollen Bakteriophagen gegen bakterielle Infektionen zur Zulassung bringen. In Südosteuropa werden diese schon mit Erfolg eingesetzt.  

Bakteriophagen, kurz: Phagen (griechisch: phagein = fressen), sind im biologischen Sinn Viren, die aber nur Bakterien angreifen. Ein Phage ist sehr viel kleiner als eine Bakterienzelle und besteht nur aus seiner Erbsubstanz (meist DNA), die in eine Proteinhülle eingebettet ist, den „Kopf“ des Phagen. Außerdem besitzt ein Phage einen „Schwanz“ mit dem Rezeptor zum Anheften an die Bakterien-Zelloberfläche. Dieser hat eine hohe Spezifität. Bei seinem „Angriff“ heftet sich der Phage an die Oberfläche seines Wirtsbakteriums an und schießt sein Erbmaterial aus dem Kopf in das Bakterium. Dann beginnt sein Wirt damit, eine neue Phagen-Generation herzustellen, und zwar in so hoher Zahl, dass die Bakterienzelle platzt und die vielen jungen Phagen entlässt. Diese strömen aus, um nun ihrerseits weitere „passende“ Bakterienzellen zu befallen und vollständig „wegzufressen“. 

Spezifisch und selbst-begrenzend

Therapeutische Phagen hätten gegenüber Antibiotika einige Vorteile, betonen die Wissenschaftler. Sie greifen fast immer nur Bakterien einer Art an und manchmal nur wenige Stämme innerhalb dieser Bakterienart. Findet man einen Phagen gegen ein pathogenes Bakterium, so kann der Phage dieses schnell, spezifisch und ohne bekannte Nebenwirkungen abtöten, während andere Bakterien, wie z. B. die wichtige Darmflora, unangetastet bleiben. Hat er das Zielbakterium vernichtet, so geht der Phage selbst mangels „Nahrung“ zugrunde und zerfällt in seine Bestandteile, die der menschliche Körper ohne Probleme verstoffwechselt. Die therapeutische Wirkung eines Phagen begrenzt sich damit selbst.

Darüber hinaus kommen Phagen überall frei vor, wo passende Bakterien sind. Der Mensch nimmt sie ständig mit Wasser und Nahrung und durch Kontakt mit natürlichen Materialien auf. Auch die Darmflora enthält Phagen in riesigen Mengen. Der Körper und sein Immunsystem sind also mit Phagen vertraut. Dies und ihre einfache Zusammensetzung führt nach Meinung der Forscher dazu, dass Phagen keine Allergien auslösen. 

Vier renommierte Projektpartner

Mit dem Projekt „Phage4Cure“ sollen Bakteriophagen als zugelassene Arzneimittel gegen bakterielle Infektionen etabliert werden. Die Projektpartner sind das Leibniz-Institut DSMZ -Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH und die Pharmazeutische Biotechnologie des Fraunhofer ITEM (Institut für Toxikologie und Experimentelle Medizin) in Braunschweig sowie die Medizinische Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité - Universitätsmedizin Berlin und das Auftragsforschungsunternehmen Charité Research Organisation GmbH (CRO). Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über drei Jahre mit knapp vier Millionen Euro gefördert.


Alternative und Ergänzung zur klassischen Antibiotikatherapie

Die Projektpartner berichten, dass Phagen vor allem im osteuropäischen Raum bereits seit Jahrzehnten erfolgreich als Alternative und Ergänzung zur klassischen Antibiotikatherapie eingesetzt werden. In der Europäischen Union sind sie jedoch als Arzneimittel bislang nicht verkehrsfähig. Unter anderem fehlen die notwendigen Qualitätsstandards in der Herstellung und systematische klinische Studien zum Nachweis der Wirksamkeit und Verträglichkeit. „Unser mittelfristiges Ziel ist es, Phagen als neuartige und zusätzliche Therapie für verschiedene Infektionskrankheiten und in unterschiedlichen Verabreichungsformen als Arzneimittel zu entwickeln, insbesondere da, wo Antibiotika gegenwärtig an ihre Grenzen gelangen“, erklärt Holger Ziehr, Projektkoordinator und Leiter der Pharmazeutischen Biotechnologie am Fraunhofer ITEM.

Pseudomonas aeruginosa im Visier

Die Forscher wollen hierzu mit Bakteriophagen arbeiten, die sich spezifisch gegen Pseudomonas aeruginosa richten. Das sehr häufig multiresistente Bakterium kann unter anderem eine Lungenentzündung auslösen. „Infektionen der Lunge durch Antibiotika-resistente Bakterien stellen zunehmend ein klinisches Problem dar“, sagt Witzenrath. „Wir hoffen, Patienten zukünftig mit Phagen helfen zu können.“ 

Schritt für Schritt und Hand in Hand

Im Rahmen von „Phage4Cure“ bearbeiten die vier Partner mit ihrer jeweiligen Expertise verschiedene Aspekte. 

  • Die Arbeitsgruppe von Christine Rohde am Leibniz-Institut DSMZ wird gegen Pseudomonas aeruginosa gerichtete Bakteriophagen identifizieren und genetisch charakterisieren. „Es gibt viele verschiedene Pseudomonas-aeruginosa-Stämme, die sich jeweils nur leicht voneinander unterscheiden“, erläutert die Wissenschaftlerin. Die Herausforderung liege darin, Phagen mit einem möglichst breiten Wirtsspektrum zu finden.
  • Diese werden dann zur weiteren Hochaufreinigung und pharmakologischen Herstellung an das Fraunhofer ITEM übergeben. Dort will das Team von Holger Ziehr einen Herstellungsprozess für entsprechende Wirkstoffe entwickeln, der auch auf andere Phagen übertragbar sein soll.
  • Die präklinischen Untersuchungen sollen Wissenschaftler am Fraunhofer ITEM und die Gruppe um Martin Witzenrath von der Charité – Universitätsmedizin Berlin übernehmen.
  • Die klinische Studie soll danach auf der Forschungsstation der Charité Research Organisation GmbH (CRO) durchgeführt werden, die das Gesamtprojekt auch organisatorisch und regulatorisch begleiten soll. „Wir freuen uns außerordentlich, dieses wichtige Projekt mitzugestalten“, sagt Andreas Hüser, Leiter Projektmanagement. „Die Konstellation der Projektpartner ist einzigartig“.


Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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