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Digitalisierung
Arzneimittelforscher wollen „in neuen Boxen“ denken
„Digitalisierung im Gesundheitswesen – Option oder Notwendigkeit?“ so lautete das Motto einer Veranstaltung anlässlich des 25. Bestehens der Forschungsvereinigung der Arzneimittelhersteller (FAH) in Bonn. Die Frage wurde von den Referenten recht eindeutig beantwortet.
Der stellvertretende FAH-Vorsitzende Frank Poetsch, Bad Heilbrunn, ist davon überzeugt, dass für die Industrie kein Weg an der Digitalisierung vorbeiführt, auch wenn nach einer Befragung im Auftrag des BMWi aus diesem Jahr 48 Prozent der Unternehmen in der Gesundheitsbranche und 42 Prozent im Bereich Chemie/Pharma angegeben haben, dass sie nicht notwendig sei.
„Denken Sie in neuen Boxen“
Poetsch hob hervor, dass eigentlich „fachfremde“ Branchen, wie die Elektronikindustrie im Pharmasektor bereits mehr als einen Fuß in der Tür haben. Als Beispiel führte er den koreanischen Elektronikkonzern Samsung an, der bis Ende 2018 mit Samsung BioLogics weltweit die drittgrößten Produktionskapazitäten für Brustkrebs-Biopharmazeutika bereitstellen will und der schon fünf nach der Gründung von Samsung Bioepis Zulassungen für Biosimilars von fünf umsatzstarken Marken erhalten hat. Auch Alphabet und Google drängten in den Gesundheitsmarkt. Dies sollte die deutsche Industrie aufrütteln, meint Poetsch. Sein Appell: „Denken Sie in neuen Boxen. Verlassen Sie den Weg, bestehende Dinge immer nur weiterzuentwickeln.“
„Hören Sie auf die jungen Leute“
Unterstützung erhielt er in diesem Punkt von dem Mathematiker, Querdenker und Philosophen Gunter Dueck aus Waldhilsbach bei Heidelberg. Er glaubt, dass die Deutschen bezüglich der Digitalisierung schon lange ins Hintertreffen geraten sind, und sagt: „Das Verschlafen von Optionen dauert schon 20, 30 Jahre.“ Dueck wirbt bei den Digitalisierungsskeptikern und -verweigerern vor allem um Vertrauen in die erfindungsreiche jüngere Generation: „Hören Sie auf die jungen Leute“, gab er dem Auditorium mit auf den Weg.
Big Data vorhanden, aber es hakt mit der Nutzung
Die Politikwissenschaftlerin Julia Hagen vom deutschen Digitalverband bitkom hat einen guten Einblick, wie es um die Digitalisierung und Big Data in Deutschland steht. Nach ihrem Kenntnisstand werden hierzulande an vielen Stellen große Datenmengen aus dem Gesundheitssystem vorgehalten, sodass ihrer Meinung nach in der Summe tatsächlich von Big Data gesprochen werden kann. Es hapere jedoch an vielem, um diese vernünftig nutzbar zu machen, angefangen von dem fehlenden technischen Fundament über semantische Probleme wegen der unterschiedlich verwendeten Nomenklatur bis hin zu rechtlichen Hindernissen. So könne die neue Datenschutzgrundverordnung Probleme für die Nutzung von Big Data mit sich bringen, weil sie die Prinzipien der „Datensparsamkeit“ und der „Zweckbindung“ für die Verwertung von Daten beinhaltet. Insgesamt sei die Datenschutzgrundverordnung jedoch an vielen Stellen offener als unser deutsches Datenschutzrecht.
Beispiele aus der Pharmaindustrie
Als ein Anwendungsbeispiel für Big Data führte Hagen den Ansatz zur Krebsbekämpfung am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) mithilfe der Softwarelösung Medical Research Insights (SAP HANA) an. Im NCT lägen für jährlich mehr als 10.000 Patienten umfangreiche Daten vor. Über ein Data Warehouse würden via App strukturierte (klinische Studien, Testergebnisse, Tumordokumentationen etc.) und unstrukturierte Patientendaten (z.B. Arztbriefe) leichter zugänglich gemacht und mit weiteren Quellen (Krebsregister, genetische Daten) kombiniert. Die Patienten könnten nach unterschiedlichen Charakteristika geclustert werden. Im Ergebnis ließen sich damit erfolgsversprechende Therapien ableiten, innerhalb von Minuten statt Wochen.
Als weitere Beispiele nannte Hagen die Möglichkeit virtueller klinischer Studien, entwickelt von einem ungarischen Start-up-Unternehmen namens Turbine oder eine technologische Lösung für die Früherkennung des Start-ups XBird aus Berlin, die eventuell dafür sorgen kann, Krankheitsfälle zu vermeiden. Auch sie ermuntert die Firmen, neue Weg zu gehen, selbst wenn dadurch die eigene Geschäftstätigkeit beeinträchtigt werde. „Kannibalisieren Sie sich lieber selbst, als sich von anderen kannibalisieren zu lassen“, mahnt die Politikwissenschaftlerin.
FAH: „Genialer Mix mit guten Ideen“
Die Mitgliedschaft der FAH besteht aus Pharmaunternehmen mit und ohne eigene Produktion, sowie Klein- und Kleinstunternehmen und Dienstleistern der Pharmabranche, aus der Sicht der FAH-Vorsitzenden Yvonne Karmann-Proppert, Bonn, ein „genialer Mix, der außerordentlich gute Ideen hervorbringen kann“. Die Themen, mit denen sich die FAH beschäftigt, sind breit gefächert und reichen von technischen Fragen der Arzneimittelherstellung, Analytik und Hygiene bis hin zum Arzneipflanzenanbau und regulatorischen Fragen. Eine Arbeitsgruppe widmet sich dem Thema „Proaktive F&E im Zeitalter der Digitalisierung”.
25 FAH-Forschungsprojekte über die AiF finanziert
Die FHA ist Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen "Otto von Guericke" e.V. (AiF), einer industriegetragenen Organisation mit rund 100 Forschungsvereinigungen aus den unterschiedlichsten Industriebranchen und Technologiefeldern, die jährlich mehrere Tausend Forschungsprojekte managt. Die öffentlichen Fördermittel der AiF aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) belaufen sich im Jahr 2016 auf rund 530 Millionen Euro, davon fließen knapp 140 Millionen Euro in die industrielle Gemeinschaftsforschung. Laut Aussage von Proppert, die gleichzeitig Präsidentin der AiF ist, hat die FAH in den letzten 25 Jahren Gelder für 25 Forschungsprojekte von der AiF zugeteilt bekommen.
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