EuGH-Urteil

Roche und Novartis dürfen nicht schlecht über Avastin reden

Berlin - 24.01.2018, 12:40 Uhr

Lucentis sollte keine Konkurrenz durch Avastin bekommen – so stellten sich das Roche und Novartis vor. (Foto: Novartis)

Lucentis sollte keine Konkurrenz durch Avastin bekommen – so stellten sich das Roche und Novartis vor. (Foto: Novartis)


Das jahrelange Ringen um Avastin und Lucentis ist wohlbekannt. Obwohl Avastin – anders als Lucentis – für keine augenheilkundliche Indikation zugelassen ist, kommt es off-label breit zur Anwendung. Die Hersteller Roche und Novartis wollten dies unterbinden, indem sie öffentlich verbreiteten, Avastin sei weniger sicher. In Italien hat die Wettbewerbsbehörde deshalb Geldbußen gegen die Unternehmen verhängt. Der Europäische Gerichtshof befand nun: Es ist tatsächlich davon ausgehen, dass die Unternehmen eine Wettbewerbsbeschränkung bezweckt haben.

Die monoklonalen Antikörper Avastin (Bevacizumab) und Lucentis (Ranibizumab) wurden einst vom gleichen Unternehmen hergestellt: von Genentech, das zum Roche-Konzern gehört. Mit einer Lizenzvereinbarung überlies Genentech die gewerbliche Verwertung von Lucentis jedoch dem Arzneimittelhersteller Novartis. Avastin wird hingegen von Roche vertrieben.

Lucentis ist europaweit für die Behandlung von Augenkrankheiten zugelassen. Avastin besitzt eine zentrale Zulassung zur Behandlung von Tumorerkrankungen. Es kommt aber schon seit Jahren ebenfalls zur Behandlung der altersbedingten Makuladegeneration (AMD) zur Anwendung. Denn: Das Krebsarzneimittel wirkt ebenfalls, ist aber wesentlich kostengünstiger. Auch in Deutschland führte dieser off-Label-Einsatz zu langen (Rechts-)Streitigkeiten. Mittlerweile ist er jedoch gelebte Praxis. Auch die entsprechenden Versorgungsverträge der Krankenkassen mit Augenärzten (IVOM-Verträge) sehen den Einsatz von Bevacizumab vor.  

Nun befasste sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit dem Fall Avastin/Lucentis – und der Frage, ob Novartis und Roche eine Absprache getroffen haben, die den Wettbewerb behindert (Art. 101 AEUV). Ein italienisches Gericht hatte dem EuGH eine Reihe von Fragen zu diesem Komplex vorgelegt.

45 Millionen Euro verpasste Einsparungen in Italien

Ausgangspunkt war ein Streit zwischen der italienischen Wettbewerbsbehörde (Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato – AGCM) sowie Novartis und Roche. Im Jahr 2014 hatte die AGCM gegen beide Unternehmen jeweils eine Geldbuße von etwas über 90 Millionen Euro verhängt. Der Grund: Die beiden Konzerne sollen sich abgesprochen haben, eine künstliche Unterscheidung zwischen Avastin und Lucentis vorzunehmen. Die Behörde war der Auffassung, dass die beiden Präparate gleichwertig augenheilkundlich eingesetzt werden können. Doch die Firmen hätten sich dahingehend abgesprochen, in der Öffentlichkeit Bedenken hervorzurufen, ob das deutlich günstigere Avastin in dieser Indikation tatsächlich sicher ist. So sollte die Nachfrage zu Lucentis hin verlagert werden. Nach Schätzungen der AGCM sollen dem italienischen Gesundheitswesen auf diese Weise allein im Jahr 2012 Mehrkosten in Höhe von etwa 45 Millionen Euro entstanden sein.

EuGH: Avastin und Lucentis stehen miteinander im Wettbewerb

Der EuGH stellt in seinem Urteil zunächst fest, dass Avastin und Lucentis zum selben Markt gehören und daher miteinander im Wettbewerb stehen. Dieser Grundsatz gelte bei rechtmäßig hergestellten und verkauften Arzneimitteln immer dann, wenn sie bei denselben therapeutischen Indikationen eingesetzt werden können – und zwar selbst dann, wenn diese nicht von der Zulassung erfasst sind. Ob die Bedingungen genau eingehalten wurden, ist sei dabei nicht von der AGCM zu prüfen, sondern von den zuständigen italienischen Gerichten oder Behörden. Sofern sie das getan haben, sei das Ergebnis für die nationale Wettbewerbsbehörde bindend. Wurde eine etwaige Rechtswidrigkeit hingegen nicht geprüft, dürfe die Wettbewerbsbehörde davon ausgehen, dass beide Arzneimittel demselben Markt angehören und sie deshalb als miteinander im Wettbewerb stehend anzusehen sind.

Ferner könne die von der AGCM geahndete Absprache zwischen Roche und Novartis nicht als eine zulässige Nebenabrede zu  ihrer Lizenzvereinbarung gerechtfertigt werden. Denn diese Absprache habe die Lizenzvereinbarung nicht konkretisiert, sondern darauf abgezielt, das Verhalten Dritter, insbesondere von Ärzten, zu beeinflussen. Das könne eine „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung sein. Eine solche liege vor, wenn konkurrierende Pharmaunternehmen eine Absprache treffen, um irreführende Informationen über die Nebenwirkungen eines Medikaments zu verbreiten, um den Wettbewerbsdruck auf ein anderes Arzneimittel zu senken. Ob die Informationen vorliegend tatsächlich irreführend sind – nicht zuletzt für die EMA oder die Kommission –  hat nun das italienische Gericht zu überprüfen.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 23. Januar 2018, Rs.: C 179/16



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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