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Es gibt sie noch, die guten Nachrichten für und über Apotheker. Zum Beispiel Modellprojekte für eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Heilberufen. Oder eine Apotheke, die eine Antibiotika-Überdosierung für einen Säugling entdeckt. Aber auch „bad news“ für Vor-Ort-Apos: OTC-Versand brummt. Amazonisierung geht voran. Und die ABDA schweigt und schweigt zum Honorargutachten, aber das Gutachten geht nicht weg. Zum Glück gibt es einige, die es mutig auseinandernehmen.
19. Februar 2018
Eine der guten Nachrichten ist: Apotheker sind maßgeblich an einem Versorgungsmodell zur Reduktion von arzneimittelassoziierten Schädigungen bei pflegebedürftigen Senioren beteiligt. Das Modell, das unter dem Namen „Optimierte Arzneimittelversorgung für pflegebedürftige geriatrische Patienten“ (kurz: OAV) läuft und in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen ausgerollt wird, erhält ein Fördergeld von 6,67 Mio. Euro aus dem Innovationsfonds der Bundesregierung. Das ist doch mal recht ordentlich. Als Kooperationspartner sind hier einige Krankenkassen beteiligt sowie die TU Berlin und die Uni Witten/Herdecke. Die Apothekerkammer Nordrhein war maßgeblich an der fachlichen Entstehung und Entwicklung der Vorläuferprojekte beteiligt. Und darum geht’s: Bei pflegebedürftigen Senioren sollen Neuerkrankungen und Schädigungen durch Arzneimittel, z. B. Stürze, Störungen der Wahrnehmung und Magen-Darmschädigungen dadurch verhindert werden, dass die Heil- und Pflegeberufe besser zusammenarbeiten und sich gemeinsam weiterbilden. Dafür wurde auch eine Online-Plattform entwickelt, auf der Apotheker, Pfleger und Ärzte Risiken und Medikationen aktuell einsehen und darüber kommunizieren können. Mein liebes Tagebuch, ein tolles Projekt – man wundert sich, dass es so etwas nicht schon längst an allen Kliniken und in Heimen gibt. Die Ausschreibung läuft derzeit, stationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen können sich unter www.oav-geriatrie.de um eine Teilnahme bewerben. Die Apotheker könnten dann nach den Schulungen im Herbst 2018 an den Start gehen. Viel Erfolg!
Noch eine gute Aktion: Mit einem nationalen Aktionsplan, vorgestellt von Noch-Bundesgesundheitsminister Gröhe, soll die Gesundheitskompetenz der Menschen gestärkt werden. Super-Idee, mein liebes Tagebuch. Wüssten die Menschen in Gesundheitsthemen besser Bescheid, könnten sie viel besser mit Gesundheitsinformationen, z. B. auch aus dem Internet, umgehen und Mehrausgaben, die durch eingeschränkte Gesundheitskompetenz entstehen, ließen sich senken. Wir hätten da noch einen weiteren Vorschlag, mein liebes Tagebuch. Wie wäre es, wenn wir noch einen Aktionsplan Gesundheitskommunikation auflegen würden, der sich an Ärzte und Apotheker richtet? Die Heilberufe sollten schon im Studium lernen, wie man mit Patienten spricht und Informationen zur Therapie und zur Arzneimitteleinnahme verständlich kommuniziert. Dadurch ließen sich mit Sicherheit viele Kosten sparen. In der Ausbildung von Medizinstudenten laufen bereits Kurse, wie man Patienten spricht und zwar so, dass die Patienten es verstehen. Bei den Pharmazeuten könnten Kurse im Dritten Ausbildungsabschnitt vermitteln, wie man mit Patienten besser kommunizieren kann. Ich glaube, da gibt es noch Nachholbedarf, oder?
Das Rx-Versandverbot soll kommen – diese Absichtserklärung der In-statu-nascendi-Groko ließ die Aktien der niederländischen Versender wie beispielsweise der Zur Rose-Group mit DocMorris oder der Shop Apotheke, die vor Kurzem die Europa Apotheek Venlo übernommen hatte, purzeln. Doch die Manager dieser Versandhäuser – Apotheke mag ich dazu nicht sagen – zeigten sich davon weitgehend unbeeindruckt oder taten zumindest so. Walter Oberhänsli von Zur Rose will alle juristischen Hebel in Bewegung setzen. Er glaubt sowieso, dass ein Versandverbot europarechtlich nicht haltbar wäre. Und Ulrich Wandel von der Shop Apotheke lässt sich von der Groko-Absicht nicht aus der Ruhe bringen. Gegenüber dem Börsenmagazin kündigte er an, „unsere europäische Wachstumsstory wie geplant voranzutreiben“. Zum einen – und das hört man nicht nur von Versendern, sondern auch von namhaften Juristen – sei es schwer vorstellbar, dass der Versandhandel mit Rx, der mittlerweile seit rund 14 Jahren erlaubt sei, überhaupt noch verboten werden könne („das lässt sich mit dem Verfassungsrecht nicht vereinbaren“, heißt es von vielen Seiten). Zum andern sehen sich die großen Versender letztlich kaum bedroht, selbst wenn sie kein Rx mehr versenden könnten: Das Versandgeschäft mit OTC brummt. Mein liebes Tagebuch, in der Tat, da hilft kein Wegschauen mehr. Mittlerweile hat der Versandhandel bereits einen Marktanteil von 15 Prozent am OTC-Geschäft. Und Hersteller großer OTC-Marken wissen, dass schon rund 20 Prozent ihrer Präparate und zum Teil sogar noch mehr über den Päckchenweg den Verbraucher erreichen.
20. Februar 2018
Auch wenn man, wie die ABDA, nicht über das Honorargutachten reden will – es nützt nichts, es geht nicht weg. Ein Thüringer Landtagsabgeordneter, Christoph Zippel (CDU), richtete eine Kleine Anfrage an das Thüringer Gesundheitsministerium, ob die Landesregierung mit Blick auf das Honorargutachten wisse, wie es um die wirtschaftliche Lage der Apotheken stehe? Natürlich weiß das die Landesregierung nicht, geht aus der Antwort hervor. Aber die Thüringer Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) sagte, dass die Landesregierung das Gutachten prüfe. Sie ließ wissen, dass Änderungen der Arzneimittelpreisverordnung nur mit Zustimmung der Länder möglich sind und dass es ein Anliegen der Landesregierung sei, die Arzneiversorgung durch Apothekerinnen und Apotheker auch in Zukunft sicherzustellen. Mein liebes Tagebuch, was zeigt uns das? Wegducken hilft nicht, das Gutachten liegt auf dem Tisch. Wäre es nicht besser, mit den Ländern zu reden als sich schmollend zurückzuziehen?
Rund 60 berufspolitisch interessierte Apothekerinnen und Apotheker waren der Einladung der ABDA gefolgt, um sich ein Bild davon zu machen, wie Berufspolitik funktioniert. Einen Tag lang hörten sie, wie sich die ABDA selbst sieht, was die ABDA unter Berufspolitik und demokratischen Strukturen versteht, wie das Tagesgeschäft der politischen Interessenvertretung aussieht. Und dann durfte der Nachwuchs selber Berufspolitik an Praxisbeispielen üben. Den Teilnehmern soll es wohl Spaß gemacht haben, wie man hörte. Also, mein liebes Tagebuch, das ist ein guter Ansatz, eine gute Initiative, die wiederholt werden soll. Vielleicht wächst ja das Interesse an Berufspolitik – wäre gut, sonst ändert sich nie was.
21. Februar 2018
Das will der Versender DocMorris nicht auf sich sitzen lassen – so ein schöner Arzneimittelautomat in Hüffenhardt, der nutzlos herumstehen muss, weil das Landgericht Mosbach urteilte: Das Konstrukt aus fernbedienbarem Kommissionierautomat und Videochat ist kein Versandhandel und erst recht keine Apotheke. Mein liebes Tagebuch, es ist zwar für jeden gesunden Menschenverstand nachvollziehbar, dass sich Apotheke und Versandhandel anders definieren, aber nicht für DocMorris. Und – eine Überraschung ist das natürlich nicht – DocMorris will das Mosbacher Urteil nicht akzeptieren, wehrt sich und hat Berufung beim OLG Karlsruhe eingelegt. Der Streit geht weiter.
Eine supergute Nachricht: Dem Team der Ratinger Bären-Apotheke war aufgefallen, dass ein Arzt eine fehlerhafte Antibiotika-Dosierung für einen zwölf Tage alten Säugling im Arztbrief vermerkt hatte. Die aufmerksame PTA teilte dies ihrem Chef, dem Apotheker Wolfgang Wittig, mit. Sie machten gemeinsam einen zuständigen Kinderarzt ausfindig und durften nach Rücksprache die korrekte Antibiotikamenge in der Dosierungsanleitung ändern. Der Säugling wurde dadurch vor einer Antibiotika-Überdosierung bewahrt. Gute Arbeit! Die Apotheke postete den Vorfall auf Facebook und erntete einen Candy-Storm, über 7000 Likes und hunderte positive Kommentare. Mein liebes Tagebuch, besonders schön war daran, dass viele Facebook-User von sich aus sinngemäß anmerkten: Es geht nichts über eine Beratung in der Vor-Ort-Apotheke! Einer Versandapotheke wäre die falsche Dosierung auf dem Rezept gar nicht aufgefallen, da die nur aus dem Arztbrief ersichtlich war. Sogar eine Ärztin lobte die Apotheke und merkte an, dass sie aufmerksamen Apothekenmitarbeitern dankbar sei, denn Fehler könnten immer mal passieren. Mein liebes Tagebuch, ich bin überzeugt, was hier in der Ratinger Bären-Apotheke vorkam, geschieht täglich in vielen Vor-Ort-Apotheken – es wird nur nicht öffentlich, weil viele nicht darüber reden. Und nicht jeder Fall ist natürlich so spektakulär, wie eine falsche Dosierung bei einem Säugling. Aber vielleicht sollten es unsere Vor-Ort-Apotheken viel häufiger tun – einfach mal drüber reden, mal ins Netz stellen, welche arzneimittelbezogenen Probleme sie lösten, welche Arztirrtümer sie entdeckten. Um nicht falsch verstanden zu werden: Es geht überhaupt nicht darum, die Fehler der Ärzte an den Pranger zu stellen – Fehler passieren uns allen. Es geht vielmehr darum, den Wert des Beratungsgesprächs in der Apotheke, den Wert einer genauen Rezeptdurchsicht, kurz, den Wert der Apotheke vor Ort zu dokumentieren. Das schafft Vertrauen – Danke, Apotheke!
22. Februar 2018
Ja, klar, sie geht weiter, die Amazonisierung des Gesundheitswesens. Das omnipotente Versandhaus will ins Arzneimittelgeschäft. Am liebsten würde der Versandhandelsriese selbst Apotheke werden. In Deutschland wäre das heute nicht möglich und wird es auch in Zukunft hoffentlich nicht sein – unseren Gesundheits- und Verbraucherschutzgesetzen sei Dank. Aber in den USA liegen die Hürden niedriger, vor allem im OTC-Bereich. Amazon darf OTC selbst verkaufen, womit sich dieser Händler aber nicht zufrieden gibt. Deswegen bringt er am liebsten Eigenmarken in den Handel, da kann er den Preis gleich selber festsetzen. Unter dem Namen Basic Care vertreibt Amazon in den USA seit August eine Palette an OTC-Arzneimitteln, die preislich am unteren Rand liegen nach dem Motto: Lieber eine Mini-Marge und kein Gewinn, aber dafür der Platzhirsch sein. Die 500er Packung Ibuprofen 200 mg für spottbillige 6,98 Dollar. Die Basic Care-Linie von Amazon umfasst 60 Produkte von Analgetika über Antiallergika bis zu Haarwuchsmitteln. Für Amazon ist es wichtig, dass der Kunde alles auf seiner Plattform findet, dort einkauft und Umsatz macht. Insgeheim wäre dem Versender wohl am liebsten, auch ins Rx-Geschäft einzusteigen – aber das ist selbst im US-Gesundheitswesen nicht möglich. Dafür hat Amazon ein weitere Spielwiese entdeckt: Das Unternehmen will eine eigene Versicherung für die Gesundheitsversorgung seiner Mitarbeiter gründen, eine Art Betriebskrankenkasse. Mein liebes Tagebuch, wer hat Lust, angesichts solcher Entwicklungen mal ein Zukunftsszenario des Gesundheits- und Arzneimittelmarkts im Jahr 2084 zu entwerfen? Wenn man überlegt, dass viele technische Elemente aus 1984 heute Realität sind und wir uns sogar freiwillig durch Amazons Alexa überwachen lassen?
23. Februar 2018
Hallo, ABDA, das Honorargutachten hat sich noch nicht in Luft aufgelöst, es existiert, es liegt auf den Tischen des Wirtschafts- und Gesundheitsministeriums, es liegt obenauf in den Regierungen der Länder, die Gesundheitspolitiker aller Parteien haben es in ihrer Schublade, auch die Krankenkassen haben es nicht in den Schredder geworfen – obwohl es dort hingehört. Denn es ist unsäglich, es geht von seltsamen Annahmen und Voraussetzungen aus. Kurzum, das vermaledeite Ding ist im Raum. Wie kann man da von der Annahme ausgehen: Wenn man Augen, Ohren und Mund verschließt, wie es die ABDA zurzeit macht, dann geht das weg? Ja Pfeifendeckel, nichts geht weg. Und daher, mein liebes Tagebuch, nochmal an dieser Stelle allen Kommentatoren und Kritikern, die für uns dieses Papier auseinandergenommen haben, es zerlegt, filetiert und püriert haben, ein dickes Dankeschön, allen voran Thomas Müller-Bohn und Heinz-Uwe Dettling. Sie haben uns die Augen geöffnet. Danke auch an Franz Stadler für seinen Gastkommentar in dieser Woche, der erneut darauf aufmerksam macht, von welch schrägen und falschen Annahmen die Beratungsagentur beim Honorargutachten ausgegangen ist, und darauf hinweist, was passieren würde, wenn wir eine Pharmazie, eine Apothekenkultur à la 2hm-Agentur bekämen: Die Apotheke als durchkommerzialisiertes Wirtschaftsunternehmen, alle drei Minuten ein Kunde, auf keinen Fall länger, mit gnadenlosem Wettbewerb, ohne Vertrauen. Hallo ABDA, so was darf man doch nicht totschweigen!
Jens Spahn als Gesundheitsminister der neuen Groko? Eine Meldung, die sich bewahrheiten könnte. Spahn und die Apotheker – ein, nennen wir es mal, ambivalentes Verhältnis. Spahn und der Versandhandel, Spahn und die Digitalisierung – mein liebes Tagebuch, was uns da blüht, da können wir nur spekulieren...
10 Kommentare
Und jetzt...?!
von Gunnar Müller, Detmold am 25.02.2018 um 20:37 Uhr
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AW: Und jetzt
von Dr. Radman am 26.02.2018 um 9:59 Uhr
Gröhe
von Conny am 25.02.2018 um 20:13 Uhr
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Disruptiv
von Reinhard Rodiger am 25.02.2018 um 11:31 Uhr
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J.S. Und Gefolgschaft
von Dr.Diefenbach am 25.02.2018 um 10:59 Uhr
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Jens Spahn
von Hermann Eiken am 25.02.2018 um 10:15 Uhr
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Gestern starb zuletzt die Hoffnung
von Christiane Patzelt am 25.02.2018 um 10:13 Uhr
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Uaahhh....
von Bernd Jas am 25.02.2018 um 10:12 Uhr
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Gröhe Schnee von gestern!
von Ulrich Ströh am 25.02.2018 um 8:56 Uhr
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Jens Spahn
von Frank ebert am 25.02.2018 um 8:19 Uhr
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