Insektizid

Wie wirken Neonicotinoide?

Stuttgart - 01.03.2018, 13:20 Uhr

Neonicotinoide schädigen Bienen. Das hat ein aktueller Bericht der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit bestätigt. (Foto: Dmytro Smaglov / stock.adobe.com)                                  

Neonicotinoide schädigen Bienen. Das hat ein aktueller Bericht der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit bestätigt. (Foto: Dmytro Smaglov / stock.adobe.com)                                  


Laut einem am gestrigen Mittwoch veröffentlichen Bericht der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) sind bestimmte Insektizide, die sogenannten Neonicotinoide, eine Gefahr für Bienen. Die EU-Kommission hatte bereits im Vorfeld ein Freiland-Verbot vorgeschlagen, auch die geschäftsführende Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) fordert dies. Aus der Industrie hingegen kommt Kritik an der Bewertung der Behörde. Was genau machen diese Wirkstoffe eigentlich?

Neonicotinoide sind eine Gruppe hochwirksamer Insektizide. Sie sind in mehr als 120 Ländern zugelassen. Sieben Wirkstoffe von verschiedenen Herstellern sind auf dem Markt. Das älteste der derzeit verwendeten ist Imidacloprid, das von Bayer Crop Science, der Agrarsparte von Bayer, zum Beispiel Confidor®, Admire®, Gaucho® vertrieben wird. Weitere Wirkstoffe aus dieser Gruppe sind Thiamethoxam, Clothianidin, Acetamiprid, Thiacloprid, Dinotefuran und Nitenpyram. Clothianidin erlangte 2008 einige Berühmtheit, weil es 2008 im Oberrheingraben zu einem massiven Bienensterben führte. Dabei wurden über 11.000 Völker geschädigt.

Neonicotinoide können als Kontakt oder Fraßgift wirken. Sie werden gut über die Wurzeln aufgenommen und in die Blätter transportiert. Behandelte Pflanzen sind dadurch sowohl vor beißenden, als auch vor saugenden Insekten geschützt. Aufgrund dieser systemischen Wirkung werden die Neonicotinoide vor allem als Saatgutbeizmittel verwendet. Des Weiteren können sie beispielsweise als Spray, Granulat oder Zusatz zum Bewässerungswasser eingesetzt werden. Einige Wirkstoffe dieser Gruppe, zum Beispiel Imidacloprid, werden auch bei Tieren zur Parasitenbekämpfung eingesetzt.

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Wirkweise der Neonicotinoide

Pharmakologisch handelt es sich bei den Neonicotinoiden um Agonisten am Nicotinischen Acetylcholinrezeptor (nAChR). Dass Nicotin insektizide Wirkung hat, war schon lange bekannt. Dessen hohe Säugertoxizität stand aber der Vermarktung als Insektizid im Wege. Ende der 1970er Jahre gelang es, Stickstoffheterozyklen zu synthetisieren, die am selben Rezeptor angreifen, dem nAChR, aber selektiv bei Insekten wirken und deren Bindung um ein vielfaches stärker ist als die von Nicotin. So binden diese Wirkstoffe wie der natürliche Agonist Acetylcholin an die postsynaptischen nAChR im Nervensystem der Insekten. Während der natürliche Agonist rasch durch die Actelycholinesterase abgebaut wird, geschieht dies bei den Neonicotinoiden nur sehr langsam. Der Rezeptor, ein ligandengesteuerter Kationenkanal, wird also dauerhaft stimuliert. Es kommt zu einer Dauerdepolarisation. In der Folge tritt erst ein generalisierter Tremor bei den Insekten auf, gefolgt von einer Paralyse mit Schädigung der Ganglien, Nerven und Muskeln. Die Insekten sterben letztendlich durch Blockade der Erregungsübertragung.

Warum wirken Neonicotinoide selektiv bei Insekten?

Die geringere Toxizität bei Wirbeltieren wird auf verschiedene Faktoren zurückgeführt: Die Wirkstoffe besitzen geringere Affinität zu Nicotinrezeptoren von Säugern, zum Beispiel an der neuromuskulären Endplatte. Sie wirken dort nur kurz und etwa um den Faktor 1000 schwächer. Ein weiterer Grund, warum sie selektiv toxisch für Insekten sind, ist, dass sie offenbar die Blut-Hirn-Schranke der Säuger kaum überwinden können. So wird bei sogenannten Chloronicotinyl-Insektiziden, wie man diese Wirkstoffe auch nennt, anders als beim Nicotin eine schlechte Ionisierung des Pyrrolidinstickstoffs beobachtet, wodurch die lipohilen Barrieren der Insekten leichter passiert werden können. Und Säugetiere besitzen im ZNS eine um mehrere Zehnerpotenzen geringeren Zahl an nAChR. 

Warum sind die Insektizide aktuell ein Thema?

Der Grund dafür, dass die Insektizide derzeit im Gespräch sind, ist ein aktueller Bericht der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa), wonach in der Landwirtschaft eingesetzte Neonicotinoide schädlich für Bienen sind, insbesondere geht es um Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid. Die Efsa bestätigt damit eigentlich nur, was nach Aussage vieler ohnehin schon bekannt war. 

Bereits im Dezember 2013 wurde der Einsatz von Neonicotinoiden EU-weit beschränkt. So dürfen drei dieser Insektizide zum Beispiel nicht auf Rapssaat und beim Anbau von Kirschen, Äpfeln oder Gurken angewendet werden. Doch es gibt zahlreiche Sondergenehmigungen, etwa für Wintergetreide. Diese Einschränkungen gingen ebenfalls zurück auf eine Risikobewertung der Efsa. Die Behörde erhielt jedoch damals den Auftrag, weitere Erkenntnisse zur Wirkung von Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid zu sammeln. 2016 hat die Efsa dann eine erste überarbeitete Version der Empfehlung veröffentlicht, auf deren Basis die EU-Kommission vor knapp einem Jahr ein komplettes Freiland-Verbot vorgeschlagen hatte. Die EU-Staaten wollten für ihre Entscheidung darüber erst den fertigen Bericht abwarten. Der liegt nun vor – genauso wie die Reaktionen darauf. Während beispielsweise die geschäftsführende Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ein Verbot fordert, kommt aus der Industrie Kritik an der Bewertung der Behörde. So teile Bayer mit, man sei mit den Ergebnissen der Risikobewertung für die Wirkstoffe Imidacloprid und Clothianidin grundsätzlich nicht einverstanden. Die Schlussfolgerungen stünden im Widerspruch zu anderen umfassenden wissenschaftlichen Beurteilungen zur Bienengesundheit. Mit dem Thema betraute Forscher beurteilen das allerdings anders. Die Efsa gebe die Datenlage der vertrauenswürdigen wissenschaftlichen Literatur ziemlich korrekt wieder, heißt es von Expertenseite. Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid seien in der Tat höchst gefährlich für die bestäubenden Insekten. 



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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