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Diabetes
Ist hoher Blutzucker die Folge und nicht der Auslöser?
Hohe Blutzuckerspiegel gelten als Hauptursache für das Fortschreiten eines Diabetes bzw. die Entstehung diabetischer Spätkomplikationen. Stimmt das wirklich? Wissenschaftler vom Deutschen Krebsforschungszentrum und vom Universitätsklinikum Heidelberg stellen eine neue These auf: Sie machen erhöhte Spiegel des Stoffwechselprodukts Methylglyoxal für die diabetestypischen Entgleisungen des Metabolismus verantwortlich.
Es ist eine „anerkannte Lehrmeinung“, dass der erhöhte Blutzucker beim Typ 2 Diabetes die vermehrten Risiken für Herzinfarkt und Schlaganfall, massive Durchblutungsstörungen der Beine sowie schwere Schäden an Augen, Nerven und Nieren verursacht. Dabei korreliert die Höhe des Spiegels mit dem Ausmaß der Diabetes-Symptome. Wird ein sehr hoher Blutzucker mit Medikamenten gesenkt, so geht die Rate an Infarkten und Schlaganfällen zurück, auch die Durchblutung verbessert sich.
Schäden auch bei nicht-diabetischem Blutzucker
Das klappt aber offenbar nur bedingt. Peter Nawroth von der Klinik für Endokrinologie, Stoffwechsel und Klinische Chemie am Universitätsklinikum Heidelberg berichtet von großen klinische Studien der letzten Jahre, die gezeigt haben, dass viele Patienten auch dann typische Diabetes-Schäden an Nerven und Nieren bekamen, wenn der Blutzucker medikamentös unter den Diabetes-Grenzwert (HbA1c < 6.5 Prozent) gesenkt wurde. Das deutet für ihn darauf, dass die Entstehung oder das Fortschreiten eines Typ2-Diabetes möglichweise andere molekulare Ursachen haben könnte, die mit dem Blutzuckerspiegel und dessen Regulierung durch Insulin nichts zu tun haben.
Wenn Methylglyoxal nicht genügend abgebaut wird
Bei der Ursachenforschung nahmen Nawroth und sein Wissenschaftler-Kollege Aurelio Teleman, der im Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) die Abteilung Krebs- und stoffwechselassoziierte Signaltransduktion leitet, den Stoff Methylglyoxal (MG) ins Visier. Er entsteht im Blut durch den Abbau von Glucose, und zwar besonders bei hohem Blutzuckerspiegel. Körperzellen schützen sich vor dem toxischen Zerfallsprodukt mithilfe von Glyoxalasen, die Methylglyoxal zu Lactat abbauen. In vielen Nervenzellen sind diese Enzyme nur schwach aktiv, was sie gegenüber dem Zellgift besonders empfindlich macht. Im Jahr 2012 hatte eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern mit diesem Mechanismus eine Erklärung für die diabetische Neuropathie geliefert. Im Tierversuch senkten Wirkstoffe, die Methylglyoxal abfingen, die starke Schmerzempfindung.
Experimente an Fruchtfliegen
Dass Typ2-Diabetiker einen hohen Methylglyoxal-Spiegel haben, wurde bis dato als Folge des erhöhten Blutzuckers angesehen. Es könnte aber auch genau anders herum sein, vermuten die Stoffwechselexperten Teleman und Nawroth. Um die Auswirkungen erhöhter MG-Spiegel auf den Organismus genauer in Augenschein zu nehmen, führten sie Experimente mit Fruchtfliegen durch. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift „Cell metabolism“ veröffentlicht.
„Fliege und Mensch sind zwar nicht besonders eng verwandt“, erklärt Teleman, „aber der Energiestoffwechsel hat sich in der Evolution schon sehr früh entwickelt, so dass die Ergebnisse durchaus aussagekräftig sind und sich in der Regel auf Säugetiere und den Menschen übertragen lassen.“ Nachdem die Forscher das Methylglyoxal-abbauende Enzym bei den Fliegen genetisch abgeschaltet hatten, reicherte sich das Zuckerabbauprodukt in den Tieren an. Die Fliegen entwickelten schon früh eine Insulinresistenz, wurden später fettleibig, und im höheren Alter entgleisten dann schließlich auch ihre Zuckerwerte. „Es reicht offensichtlich aus, schlicht den MG-Spiegel zu erhöhen, um Insulinresistenz und diabetestypische Stoffwechselentgleisungen auszulösen", kommentiert Teleman die Befunde. Für ihn legen sie dringend nahe, dass Methylglyoxal nicht die Folge, sondern eher die Ursache eines Typ2-Diabetes ist.
Die Frage, warum der MG-Spiegel erhöht ist, wird
damit jedoch noch nicht beantwortet. „Die Produktion sowie auch der Abbau von
MG werden durch zahlreiche Stoffwechselprozesse beeinflusst, die wir noch nicht
kennen und besser verstehen müssen“, sagt Teleman. Nawroth ergänzt, dass beispielsweise
auch fettleibige Menschen, die nicht diabetisch sind, einen erhöhten MG-Spiegel
hätten: „Woran das liegt, wissen wir nicht.“ Nun wollen die Wissenschaftler
dringend an Mäusen untersuchen, welche klinischen Symptome ein dauerhaft
erhöhter MG-Spiegel beim Säugetier verursacht.
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