DAV-Wirtschaftsforum 2018

Digitalisierung: Mehr Chancen als Risiken und Nebenwirkungen?

Potsdam - 27.04.2018, 09:00 Uhr

Moderator Elmar Esser, TK-Chef Thomas Ballast, DAV-Vize Hans-Peter Hubmann, KBV-Chef Andreas Gassen und Miriam Walther von der Selbsthilfeorganisation NAKOS (v. li. n. re.) sprachen über die Digitalisierung. (Foto: DAZ)

Moderator Elmar Esser, TK-Chef Thomas Ballast, DAV-Vize Hans-Peter Hubmann, KBV-Chef Andreas Gassen und Miriam Walther von der Selbsthilfeorganisation NAKOS (v. li. n. re.) sprachen über die Digitalisierung. (Foto: DAZ)


„Innovation“ und „Digitalisierung“ sind zwei häufig genannte Begriffe im Koalitionsvertrag. Große, digitale Veränderungen soll es auch im Gesundheitssystem geben. Doch von wem gehen die entscheidenden Impulse aus: Von der Bundesregierung? Von den Leistungserbringern und den Krankenkassen? Oder sind es die Patienten, die den Takt vorgeben? Am zweiten Tag des DAV-Wirtschaftsforums kamen am gestrigen Donnerstag Vertreter aller Gruppen zu Wort und diskutierten über Apps, elektronische Verordnungen und Big Data.

„Digitalisierung? Ja, aber als Mittel zum Zweck und nicht zum reinen Selbstzweck.“ Für Miriam Walther von der Selbsthilfeorganisation NAKOS steht fest, dass sich Patienten vor allem deshalb zusammentun, um zwischenmenschliche Nähe und Beziehung zu erfahren. Auch in Arzt-Patient- oder Apotheker-Patient-Gesprächen, bei denen es vorrangig um den professionellen Informationsaustausch ginge, wäre Beziehungsarbeit ein wichtiger Bestandteil. Wenn Digitalisierung das verbessern könnte, wäre sie zielführend. Überwachung und Erziehung würden hingegen – gerade im Gesundheitswesen – die meisten Menschen nicht akzeptieren: „Niemand ist so locker drauf, sein Leben einfach mal so verändern zu lassen.“

Gassen: Politiker bekommen Funkeln in den Augen

Dr. Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), kann das bestätigen. All die Bestrebungen im Bereich der Digitalisierung und Automatisierung der letzten Jahre hätten stets das Ziel gehabt, das bestehende Versorgungssystem zu verbessern. Vorhandene, bewährte Strukturen würden dagegen nicht zum Nachteil der Patienten abgebaut. „Man hat heute den Eindruck, dass einige Politiker beim Wort Digitalisierung so ein gefährliches Funkeln in die Augen bekommen und meinen, sie könnte damit alles lösen.“ Plattformen und Netzwerke würden nicht zum Selbstzweck erschaffen, sondern um beispielsweise die Kommunikation zwischen Ärzten und Apothekern zu verbessern – und das möglichst unauffällig und sicher. Digitalisierung sei ein Instrument und nicht mehr oder weniger.

Die im September 2017 von KBV und ABDA unterzeichnete Absichtserkärung („letter of intent“) zur Digitalisierung findet Thomas Ballast, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der Techniker Krankenkasse, eine wichtige Grundlage für alle zukünftige Bemühungen. In der Vergangenheit hätte es immer wieder Uneinigkeiten zwischen den Interessengruppen im Gesundheitswesen gegeben. „Die Interaktionen und Zusammenarbeit bei dem Thema sind total wichtig“, so Ballast. Digitalisierung dürfe selbstverständlich kein Selbstzweck sein.

Ballast: Auf Dauer wollen die Patienten die Apotheke

Auf Dauer würden die allermeisten Patienten die konventionellen Wege gehen wollen, also den persönlichen Kontakt mit dem Arzt oder einer bekannten Apotheke vorziehen. Doch mit Blick auf eine neue Generation, die auch in ganz anderen Lebensbereichen schon digital aufgestellt sei und bisher nicht viel mit dem Gesundheitswesen zu tun hätte, weist Ballast darauf hin: „Die sind nicht gewöhnt nach Öffnungszeiten zu gucken oder telefonisch einen Termin zu vereinbaren.“ Diese Erwartungen würden in großem Ausmaß auf die bisherigen Strukturen treffen. Auch die Krankenkassen würden dies bereits deutlich erfahren, da immer mehr Versicherte nicht den Weg in die Geschäftsstellen, sondern digital einfordern würden. „Das kann man beklagen, das kann man gut finden. Hauptsache es gibt Antworten darauf.“

Ballast: Wir haben nichts vom E-Rezept

Beim Thema Fernbehandlung zeigte KBV-Chef Gassen die unterschiedlichen Konzepte auf: Telemedizin zwischen einem Arzt und Patienten, die sich kennen, sei etwas anderes, als wenn sich ein Patient abstrakt nur über Sensoren und digitale Daten mit einem Arzt am anderen Ende der Welt in Verbindung setzen würde. Dadurch würde eine qualitativ unterschiedliche Versorgungssituation entstehen, die unter Umständen hochgefährlich wäre. Miriam Walther bestätigte aus ihrer Erfahrung mit Patienten in verschiedenen Selbsthilfegruppen, dass es eine Generationen- und Altersfrage sei. Multimorbide, ältere Patienten auf dem Land, die für Fernbehandlungskonzepte in Frage kämen, wären mit der Methodik überfordert und bräuchten dabei Assistenz.

Hubmann: Anorderungen an das E-Rezept

Dr. Hans-Peter Hubmann, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbands und Chef des Bayerischen Apothekerverbands, findet, dass bei allen digitalen Lösungen, die im Gesundheitswesen angestrebt werden, stets die Bedürfnisse des Patienten beachtet werden müssten. Auch im Hinblick auf die elektronischen Verordnungen sollte der Patient – wie beim klassischen Papierrezept – stets die Hoheit und freie Apothekenwahl haben. „Alle Anforderungen an das Rezept aus Papier müssten auch an das digitale gestellt werden. Es kann ein neuer Weg sein, eine Verschreibung auszustellen, aber die Versorgung darf sich dadurch nicht verschlechtern“, so Hubmann.

Ballast von der Techniker Krankenkasse erwiderte, dass die Bestrebungen der Krankenkassen im Bereich Digitalisierung nicht die Absicht hätten, die Patienten zu steuern. „Uns geht es darum, dass wir moderne und zeitgemäße Lösungen haben wollen für alle papiergebundenen Prozesse, die wir heute noch bei den Leistungserbringern haben.“ Die elektronische Verordnung, das sogenannte E-Rezept, nannte er dem Zusammenhang einen „echt dicken Brocken“. Auf die Frage, weshalb die Krankenkassen ein Interesse am elektronischen Rezept hätten, antwortete Ballast: „Wir haben in der Tat nichts davon. Es geht nur um die Frage, wie man sich für moderne und zeitgemäße Lösungen einsetzen möchte. Dass Datensätze auf Papier gebracht werden, um sie danach wieder zu digitalisieren, ist einfach Unsinn.“



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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