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Schweiz
Experten fordern Rezeptpflicht für Codein-Hustensäfte
In der Schweiz sind Codein-haltige Hustensäfte nicht rezeptpflichtig, aber das könnte sich bald ändern. Wie das Konsumentenmagazin „Espresso“ von Radio SRF 1 berichtet, werden diese von Jugendlichen seit geraumer Zeit als Partydroge und von Heroinabhängigen als Ersatz-Rauschmittel missbraucht. Suchtpräventionsstellen und die Kantonsapothekervereinigung fordern deshalb eine Verschärfung der Abgaberegelungen.
Codein-haltige Hustensäfte gehören in der Schweiz in die Abgabekategorie C. Sie dürfen damit von Fachpersonal in Apotheken ohne ärztliches Rezept abgegeben werden, allerdings nur nach einer fachlichen Beratung. Hiermit soll gewährleistet werden, dass die Altersbeschränkung eingehalten wird und dass sie nicht an Kunden abgegeben werden, die diese vermutlich missbräuchlich verwenden.
Verstärkte Nachfrage deutet auf Missbrauch hin
Dies soll in den letzten Jahren um sich gegriffen haben, berichtet das Verbrauchermagazin „Espresso“ von Radio SRF 1. Konkrete Zahlen über den Missbrauch weist der Sender zwar nicht vor, aber der Schweizerische Apothekerverband Pharmasuisse, das Bundesamt für Gesundheit BAG und auch die Schweizerische Kantonsapothekervereinigung sollen bestätigt haben, dass durch die verstärkte Nachfrage auf einen nicht bestimmungsgemäßen Einsatz geschlossen werden könne.
„Schmiermittel für das soziale Leben“
Urs Rohr von der Stadtzürcher Suchtpräventionsstelle siedelt die Verwendung von Codein-haltigen Hustensäften vor allem in der Hip-Hop-Kultur an: „Es fand eine Heroisierung dieser Hustensäfte statt, ähnlich wie in den 70er- und 80er-Jahren beim Gebrauch von Cannabis im Zusammenhang mit der Reggae- und Rastakultur“, beschreibt Rohr die Entwicklung. „Außerdem wird Codein als Schmiermittel für das soziale Leben gebraucht oder missbraucht.“ Wegen der Rezeptpflicht in Nachbarländern gibt es laut SRF 1 überdies einen regelrechten Einkaufstourismus, unter anderem aus der deutschen Hip-Hop-Szene, die sich in Schweizer Apotheken mit ihrer Partydroge „eindeckt“. Eine Flasche soll dort für sieben bis acht Franken zu haben sein.
Schwarze Schafe
Für die Aufsicht der Apotheken sind in der Schweiz die Kantonsapotheker zuständig. Laut Auskunft des Präsidenten der Kantonsapothekervereinigung Stephan Luterbacher, Luzern, finden auch Kontrollen statt. Weist die Buchhaltung einer Apotheke besonders hohe Umsätze mit Codein-haltigen Hustensäften aus, so seien Verwarnungen und Verfügungen möglich. Fehlbare Apotheker könnten damit bestraft werden, dass die Präparate in ihrer Apotheke nur noch gegen ein ärztliches Rezept abgegeben werden dürfen. Der Suchtexperte Urs Rohr stellt der Apothekerzunft in Sachen Sorgfaltspflicht insgesamt aber ein gutes Zeugnis aus.
Umteilung der Abgabekategorie C im Gange
Dennoch ist für Rohr klar: „Die Hustensäfte gehören nicht in den freien Verkauf, um dort so einfach für sieben Franken achtzig über den Tresen geschoben zu werden.“ Auch Luterbacher fordert die Rezeptpflicht. Diese könnte schon bald in greifbare Nähe rücken. In der Schweiz wird nämlich derzeit das System der Abgabekategorien verschlankt. Dabei wird die Abgabekategorie C, in die auch die betreffenden Hustenmittel gehören, aufgehoben. Die Heilmittelbehörde Swissmedic überprüft hierzu im Rahmen der „Umteilung“ im Moment 650 Arzneimittel. Nach dem derzeitigen Stand der Diskussion werden voraussichtlich rund 90 Prozent der Präparate in die Kategorie D abwandern und damit künftig auch in Drogerien erhältlich sein. Präparate mit Suchtpotential, wie die Codein-haltigen Hustensäfte dürften aber eher erschwert zugänglich gemacht werden (Kategorie A oder B). Bis Herbst 2018 wird die Arzneimittelbehörde Swissmedic entscheiden, ob sie künftig wie in den Nachbarländern rezeptpflichtig werden.
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Einschränkungen für Kinder und Stillende
Im Juli 2015 hatte die Arzneimittelbehörde Swissmedic den Herstellern bereits Anpassungen der Arzneimittelinformationen für Husten- und Erkältungsmittel mit Codein bzw. Dihydrocodein in den Rubriken „Kontraindikationen“, „Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen“ sowie „Schwangerschaft/Stillzeit“ empfohlen. Hiernach dürfen diese nicht angewendet werden bei Kindern unter 12 Jahren, bei Patienten jeglichen Alters, die bekanntermaßen „ultraschnelle Metabolisierer“ sind, und bei stillenden Frauen. Zusätzlich wird Codein bei Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren mit eingeschränkter Atemfunktion nicht empfohlen, da es zu Symptomen der Opioid-Überdosierung kommen kann.
Die Massnahme geht zurück auf einen entsprechenden Beschluss der der EU/EWR- Koordinierungsgruppe für dezentrale Verfahren und Verfahren der gegenseitigen Anerkennung (CMDh) Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) von April 2015 (EMA/CMDh/206590/2015). Als nicht EU/EWR-Staat ist die Schweiz zwar in der Koordinierungsgruppe nicht vertreten, hat diesen aber ebenfalls zur Umsetzung angenommen.
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