Pharmacon Meran

Wenn das adaptive Immunsystem aus den Fugen gerät

Meran - 28.05.2018, 14:15 Uhr

Dr. Ilse
Zündorf stellte die komplexen immunologischen Zusammenhänge, die zu
Autoimmunerkrankungen, anschaulich dar. (Foto: DAZ)

Dr. Ilse Zündorf stellte die komplexen immunologischen Zusammenhänge, die zu Autoimmunerkrankungen, anschaulich dar. (Foto: DAZ)


Nicht nur die Eröffnung bot am gestrigen Sonntag einen kraftvollen Auftakt des 56. Pharmacon-Kongresses in Meran, auch das wissenschaftliche Programm hatte mit dem Grundlagenvortrag von Dr. Ilse Zündorf zur Physiologie und Pathologie von Autoimmunerkrankungen einen gelungenen Startschuss. So unterschiedlich sich die verschiedenen Autoimmunerkrankungen in ihrer klinischen Symptomatik darstellen, haben sie doch eine Gemeinsamkeit: Das ausgeklügelte Gleichgewicht zwischen Toleranzmechanismen und Immunantwort ist aus der Balance geraten.

In gewohnt anschaulicher Manier erläuterte Dr. Ilse Zündorf, Frankfurt am Main, die Mechanismen, die das menschliche Immunsystem in seiner ausgewogenen Balance zwischen Toleranz und Immunantwort halten. Versagen diese, sind die Folgen verheerend. Zum einen drohen unkontrollierbare Infektionen, wenn die Toleranz so groß ist, dass nicht nur körpereigene Strukturen, sondern auch schädliche Eindringlinge für harmlos gehalten werden. Zum anderen kann sich der Körper bei überschießenden Immunreaktionen gegen Autoantigene selbst schaden.

So wie es bei Autoimmunerkrankungen der Fall ist - einem der großen Themenbereiche des diesjährigen Pharmacon-Kongresses in Meran. Von einer Autoimmunerkrankung sind etwa fünf bis acht Prozent der Bevölkerung betroffen. Rund 80 bis 100 verschiedene Erkrankungen, die je nach Verbreitung in organspezifisch (z.B. Typ 1 Diabetes mellitus, Multiple Sklerose, Morbus Crohn, Colitis Ulcerosa) oder systemische Erkrankungen (z.B. rheumatoide Arthritis, systemischer Lupus erythematodes) unterteilt werden, sind bekannt.

B- und T-Zellen haben viel zu lernen

Doch wie kommt es eigentlich zur Toleranzentwicklung gegenüber körpereigenen Strukturen? Woher wissen B- und T-Zellen, wen sie angreifen sollen – und wen nicht? Hierzu verfügt der menschliche Körper über zahlreiche Selektionsmechanismen, die dazu führen, dass rund 85 Prozent der neugebildeten B-Zellen „auf dem Müll landen“, so Zündorf. Bei den T-Zellen bleiben sogar nur etwa 1% der Vorläuferzellen übrig. Dabei reichen die Sortiervorgänge bei den B-Zellen von „Selbstmord“ (Apoptose), über Rezeptoren-Umbau (Editing), dem Verfall in einen „Ruhezustand“ (Anegie) bis zur Ignoranz. Bei den T-Zellen ist die Toleranzentwicklung noch etwas komplizierter, da hier zuerst eine positive Selektion stattfindet – nur diejenigen überleben, die mit Molekülen des Haupthistokompabilitätskomplexes (Major Histocompatibility Complex, MHC) interagieren – bevor negativ selektioniert wird. Dazu wird den verbleibenden T-Zellen von dendritischen Zellen und Medulla-Epithelzellen im Thymus jedes nur erdenkliche körpereigene Molekül präsentiert.

Ein Vorgang, der unter der Kontrolle des Transkriptionsfaktors Autoimmun-Regulator (AIRE) steht. Nur die Zellen, die eigene Strukturen nicht als fremd erkennen, haben ihre Lektion gelernt und überleben diesen Prozess. Doch nicht nur die Selektionsvorgänge sorgen dafür, dass unser Immunsystem sein empfindliches Gleichgewicht normalerweise halten kann. Zusätzlich tragen regulatorische B- und T-Zellen dazu bei, den Schaden zu begrenzen, falls eine körpereigene Struktur fälschlicherweise doch einmal als „fremd“ erkannt wird.

Einen einzigen Auslöser gibt es nicht

Die Entstehung einer Autoimmunerkrankung ist vielschichtig – und nur in sehr seltenen Fällen, wie beispielsweise bei bestimmten genetischen Defekten in Schlüsselfaktoren wie AIRE, ist ein alleiniger Grund auszumachen. Vielmehr sind Entgleisungen des Immunsystems durch ein multifaktorielles Zusammenspiel bedingt. Neben genetischen Faktoren, die Menschen mit einer bestimmten Allel-Ausstattung für eine Autoimmunerkrankung prädisponieren, tragen mikrobielle Faktoren und Umweltbedingungen zur Pathogenese bei. Bei den letzteren „lässt sich etwas tun!“, so Zündorf.

Beispielsweise ist gut belegt, dass Zigarettenrauch mit rheumatoider Arthritis in Zusammenhang steht. Alkohol – wohlgemerkt in moderaten Mengen - scheint im Gegensatz dazu eher protektiv zu wirken. „Gute Nachrichten für das Gläschen Wein heute Abend“, diese Aussage gefiel dem Auditorium. Ein weiterer Faktor, dem begegnet werden kann ist die therapieinduzierte Autoimmunerkrankung. Von mehr als 100 Wirkstoffen ist bekannt, dass diese Autoimmunkrankheiten auslösen können. Werden die Therapien abgesetzt, verschwindet in aller Regel auch die Autoimmunerkrankung wieder.

Mikrobiom als Angriffspunkt

Als weiterer Faktor ist in den letzten Jahren die Darmflora in den Fokus gerückt. Im Vergleich zu Gesunden weist das Mikrobiom bei Patienten mit Autoimmunerkrankungen einige Unterschiede in der Zusammensetzung auf. Unklar ist, jedoch ob es sich hier um die Ursache oder vielmehr um die Folge der Erkrankung handelt. Dennoch könne bei Autoimmunerkrankungen auch einmal ein Therapieversuch mit Probiotika unternommen werden, so Zündorf. Und auch die Ernährung spielt in dieser Hinsicht sicherlich eine große Rolle.

Dass eine vegetarische Ernährungsweise hier vorteilhafter ist als eine fettreiche Ernährung, legen verschiedene Untersuchungen nahe. Mit einem etwas ungewöhnlicheren Ansatz kann das Mikrobiom therapeutisch ebenfalls adressiert werden. So hat sich der fäkale Mirkobiomtransfer – besser bekannt als „Stuhltransplantation“ - bei Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen als vielversprechend erwiesen.



Dr. Carolin Julia Straub, Apothekerin, DAZ-Redakteurin
redaktion@daz.online


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