Erstattungsbeträge

Bundessozialgericht billigt Mischpreise für Arzneimittel

Berlin - 04.07.2018, 17:45 Uhr

Vor allem die Hersteller neuer Arzneimittel haben das Mischpreis-Urteil aus Kassel mit Spannung erwartet. (r / Foto: Jörg Lantelme / stock.adobe.com)

Vor allem die Hersteller neuer Arzneimittel haben das Mischpreis-Urteil aus Kassel mit Spannung erwartet. (r / Foto: Jörg Lantelme / stock.adobe.com)


Aufatmen bei den Verbänden der Arzneimittelindustrie, Ernüchterung beim GKV-Spitzenverband: Das Bundessozialgericht hat am heutigen Mittwoch den sogenannten Mischpreis von Arzneimitteln mit Erstattungsbetrag ausdrücklich für rechtmäßig erklärt.

Das Bundessozialgericht hat sich heute in zwei Verfahren mit sogenannten Mischpreisen für Arzneimittel befasst. In beiden Fällen konnten sich GKV-Spitzenverband und Hersteller nach erfolgter früher Nutzenbewertung nicht auf einen Erstattungsbetrag für das jeweilige Arzneimittel einigen. Daher musste die Schiedsstelle ihn festsetzten. Und diese verstand den Erstattungsbetrag – ebenso wie die Pharmahersteller – als Mischpreis. Das heißt: Selbst wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) dem Arzneimittel in seiner frühen Nutzenbewertung – der Grundlage für die Erstattungspreisverhandlungen – nicht für alle Patientengruppen einen Zusatznutzen attestiert hat, soll es nur einen einheitlichen Preis geben, der für alle diese Subgruppen wirtschaftlich ist. Das sollte nicht zuletzt den Arzt schützen, ihm Sicherheit geben, wirtschaftlich zu verordnen. Und es hatte praktische Hintergründe: In fast 60 Prozent der frühen Nutzenbewertungen gab es für unterschiedliche Subgruppen auch unterschiedliche Zusatznutzenbewertungen. Hier jeweils eigene Preise für jede Untergruppe festzulegen und zu handeln, wäre eine echte Herausforderung – auch für Apotheker.

Eigentlich zweifelte niemand an den Mischpreisen – bis sich der GKV-Spitzenverband entschied, gegen zwei Schiedssprüche vorzugehen. Einer betrifft Eperzan®, einem GLP-1-Analogon mit dem Wirkstoff Albiglutid. Hier hatte der G-BA nur für eine der von ihm ausgemachten fünf Patientengruppen einen „Hinweis auf einen geringen Zusatznutzen“ festgestellt. Für alle anderen sah er keinen Zusatznutzen. Der Hersteller GSK forderte vor der Schiedsstelle einen Erstattungsbetrag von 21,41 Euro, der GKV-Spitzenverband einen von 6,70 Euro. Die Schiedsstelle setzte den Preis letztlich auf 20,01 Euro fest. Auch wenn GSK zugleich verpflichtet wurde, Albiglutid ausschließlich in der Zusatznutzenpopulation zu bewerben, was dies dem GKV-Spitzenverband zu viel.  

Landessozialgericht sorgt für Aufregung

Und zunächst lief alles im Sinne des Spitzenverbands: Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg kam schon im Eilverfahren zu dem Schluss, dass die Mischpreisbildung in einem solchen Fall rechtswidrig sei. Nur weil es einen Erstattungsbetrag gebe, dürfe man nicht automatisch darauf schließen, dass die Verordnung eines Arzneimittels in jedem seiner Anwendungsbereiche auch wirtschaftlich sei, konstatierte das Gericht. Die Entscheidung sorgte auch in der Politik für Wirbel.

Dann ging es weiter ins Hauptsacheverfahren: Auch in diesem befand das Landessozialgericht die vom GKV-Spitzenverband beklagten Schiedssprüche für rechtswidrig – allerdings wegen eines Begründungsmangels. Zur Rechtmäßigkeit der Mischpreisbildung äußerte sich das Gericht nur Rande. Es bestünden erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der praktizierten Mischpreisbildung, weil der Mischpreis keine nutzenadäquate Vergütung darstelle und er keine Grundlage im Gesetz finde. Der Gesetzgeber müsse nachbessern, wenn er die Mischpreise wolle, so die Botschaft des Gerichts.

Nun stand die Revision vor dem Bundessozialgericht an. Am heutigen Mittwoch wurde verhandelt und entschieden. Noch liegen keine Entscheidungsgründe vor. Doch für die Hersteller, die um den Mischpreis kämpften, waren einige Vertreter vor Ort. Und so ließen die Pressemitteilungen der Pharmaverbände nicht lange auf sich warten, nachdem klar war, dass der 3. Senat des Bundesozialgerichts pro Mischpreise entschieden hat.

Hersteller: Bewährtes hält sich

Die Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa), Birgit Fischer, erklärte: „Ein funktionierendes System gibt man nicht so einfach auf! Im Ergebnis bestätigt auch das Bundesozialgericht diese jahrelange Praxis, dass für ein verschreibungspflichtiges Medikament auch ein einheitlicher Erstattungsbetrag der Krankenkassen gelten soll: Für ein Arzneimittel gilt also auch weiterhin ein Preis."

Dr. Hermann Kortland, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH) sprach von einer „guten Nachricht für Patienten und Ärzte“: Die seit Jahren praktizierte Mischpreisbildung sichere Patienten den Zugang zu Arzneimittelinnovationen und stärke Ärzte in ihrer therapeutischen Freiheit.

Ähnlich äußerte sich auch Dr. Martin Zentgraf, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI): Eine wirtschaftliche Versorgung liege in der Verhandlungsverantwortung von Krankenkassen und der Hersteller – zu Mischpreisen gebe es keine gangbare Alternative. Wirtschaftlichkeitsprüfungen gegenüber den Ärzten müssten nun der Vergangenheit angehören.

GKV-Spitzenverband: Urteil in Ruhe ansehen

Ernüchtert fällt dagegen das Statement des GKV-Spitzenverbands aus: „Der sogenannte Mischpreis bei neuen Arzneimitteln wird uns also auch weiterhin in den Verhandlungen begleiten. Wir werden mit dem Umstand erst einmal leben müssen, dass der Mischpreis für bestimmte Patientengruppen zu hochgegriffen ist und für andere zu tief“, sagte Sprecher Florian Lanz auf Anfrage. Mit dem Urteil hätten die BSG-Richter zugleich bestätigt, dass Ärzte nach wie vor im Einzelfall entscheiden müssen, ob die Verordnung wirtschaftlich ist oder nicht. Und entgegen den Ansichten des GKV-Spitzenverbandes hätten sie die Begründungspflichten der Schiedsstelle deutlich heruntergesetzt. Gleiches gelte für die Bindung der Schiedsstelle an den Beschluss des G-BA. „Diese und weitere Details des Urteils sowie dessen Begründung werden wir uns in Ruhe ansehen und bewerten“, so Lanz.   

Urteile des Bundessozialgerichts vom 4. Juli 2018, Az.: B 3 KR 20/17 R und B 3 KR 21/17 R



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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