NDMA-Verunreinigung

Valsartan: FDA jongliert mit nicht nachvollziehbaren Zahlen zum Krebsrisiko

Stuttgart - 01.08.2018, 17:00 Uhr

Wie die FDA auf ihre Zahl zum Krebsrisiko durch Einnahme kontaminierter Valsartan-Produkte kommt, legt sie nicht offen. (c / Foto: picture alliance/AP Photo)

Wie die FDA auf ihre Zahl zum Krebsrisiko durch Einnahme kontaminierter Valsartan-Produkte kommt, legt sie nicht offen. (c / Foto: picture alliance/AP Photo)


Ein zusätzlicher Krebsfall pro 8000 Patienten, die über einen Zeitraum von vier Jahren eines der kontaminierten Valsartan-Präparate in der höchsten Dosis von 320 mg eingenommen haben. Diese Zahlen warf die US-amerikanische Aufsichtsbehörde vergangene Woche in den Raum – anscheinend von dem Wunsch getrieben, das Risiko durch eine jahrelange Einnahme der verunreinigten Blutdrucksenker zu beziffern. Wie sie auf diese Zahl kommt, ist allerdings nicht nachzuvollziehen.

Die Arzneimittelkommission der Apotheker (AMK) hat vergangene Woche eine vorläufige Stellungnahme zum toxikologischen Risiko der NDMA-Verunreinigung in valsartanhaltigen Arzneimitteln abgegeben. Auf Basis der vom ZL in Stichproben gemessenen Werte und der daraus resultierenden Abschätzung der maximalen täglichen Belastung, hat die AMK einen Risikoscore, den sogenannte Margin of Exposure, ermittelt, dessen Höhe als besorgniserregend einzustufen sei, wie es heißt. Weder die Berechnung noch der Score selbst sind schlagzeilentauglich, weil sie relativ komplex sind – aber nachvollziehbar. Mit konkreten Angaben zum tatsächlichen Risiko, was ohne Frage plakativer wäre, hält sich die AMK zurück. Ebenso tut das auch der Toxikologe Ralf Stahlmann, der für die DAZ ebenfalls eine Risikobewertung vorgenommen hat.

Mehr zum Thema

Ganz anders die US-amerikanische Aufsichtsbehörde FDA: In einer Mitteilung vom vergangenen Freitag schreibt sie, dass eine tägliche Aufnahme der kanzerogenen Substanz NDMA von bis zu 96 ng für einen Menschen als relativ sicher erachtet wird. Eine Aufnahme dieser Größenordnung, zum Beispiel über die Nahrung, würde zu weniger als einem zusätzlichen Krebsfall pro 100.000 Menschen führen. Eine Auffassung, die die AMK übrigens auch nicht ganz teilt. In der Stellungnahme heißt es nämlich sinngemäß, dass man bei genotoxischen und karzinogenen Substanzen, nicht zweifelsfrei von einem Grenzwert ausgehen kann, unter dem eine Exposition unbedenklich ist. Hintergrund ist, dass diese Substanzen bereits in sehr kleinen Mengen das Risiko bergen, krebsauslösend zu wirken – wenn auch in dosismäßig geringem Ausmaß.

FDA: eine zusätzliche Krebserkrankung pro 8000 Valsartan-Patienten

Weiter schreibt die FDA, dass die NDMA-Mengen, die in Valsartan nachgewiesen wurden, diese akzeptablen Werte überschreiten. Und weiter: Man habe das Bedürfnis gehabt, das tatsächliche Risikopotenzial für Patienten, die stark belastete Valsartan-Präparate eingenommen haben, in einen Zusammenhang zu stellen. Schätzungen von FDA-Wissenschaftlern zufolge, tritt bei 8000 Patienten, die über einen Zeitraum von vier Jahren täglich 320 mg Valsartan eingenommen haben, ein zusätzlicher Krebsfall auf. Eine Aussage, die zugegebenermaßen ungleich plakativer ist als ein komplizierter Risikoscore. Die vier Jahre basierten übrigens auf Herstellerdaten, denen zufolge wohl seit diesem Zeitraum kontaminiertes Valsartan in den USA in den Verkehr gebracht worden sein könnte. Wie die Behörde und deren Wissenschaftler auf diesen Wert von einer zusätzlichen Krebserkrankung pro 8000 Valsartan-Patienten kommen, bleibt aber völlig unklar. Eine Angabe über die nachgewiesenen NDMA-Konzentrationen findet man nämlich nicht.

Mehr zum Thema

Eine etwas andere Herangehensweise zur Einordnung des gesundheitlichen Risikos

Valsartan, Nelfinavir und der Umgang mit genotoxischen Verunreinigungen

Ein Blick hinter die Kulissen der Wirkstoff-Kontrolle

Das Valsartan-CEP

Toxikologe hält Skepsis für angebracht

Professor Ralf Stahlmann hält eine gewisse Skepsis gegenüber solchen Berechnungen für angebracht, wie er in seinem Beitrag in der aktuellen DAZ schreibt. Die Mathematik sei zwar exakt, aber die zugrunde liegenden Annahmen seien aufgrund mangelnder biologischer Kenntnisse meist nicht im Detail erklärt. Erschreckend ist seiner Ansicht nach die Tatsache, dass es sich wohl um Hunderttausende Patienten handelt. Er findet es allerdings auffällig, dass eine Behörde überhaupt eine derartige Zahl in einer frühen Phase der Bewertung publiziert. Er verweist dabei auf einen Fall, der etwa zehn Jahre zurückliegt: Das HIV-Mittel Nelfinavir war aufgrund einer Kontamination mit Ethylmethansulfonat, das mit der DNA interagiert und im Tierexperiment mutagen und kanzerogen wirkt, zurückgerufen worden. Damals habe die Frage im Raum gestanden, ob ein Register eingerichtet werden sollte, um die betroffenen Patienten weiter zu verfolgen und hinsichtlich eines erhöhten Krebsrisikos über Jahre und Jahrzehnte zu monitoren, schreibt Stahlmann. Auch hier habe man – wie bei NDMA derzeit – angenommen, dass eine lineare Dosis-Wirkunsgkurve und keine Wirkungsschwelle besteht. Allerdings sei dann im Tierversuch tatsächlich der Nachweis einer solchen Schwellendosis für mutagene Effekte gelungen. Sie liege um Größenordnungen höher als die von Patienten durch die verunreinigten Tabletten aufgenommene Menge. Aufgrund dieser Erkenntnisse habe man das Register-Vorhaben fallen lassen. Die EMA habe damals erstmalig ein Schwellendosis-Konzept für eine mutagene, mit der DNA interagierende Substanz akzeptiert, so Stahlmann. 



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


Diesen Artikel teilen:


4 Kommentare

Guter Einfall

von Dr. Björn Maul am 04.08.2018 um 8:11 Uhr

Unter den Substanzen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Krebs auslösen, gibt es wenige, für die eine so umfangreiche Datenbasis herumwabert, wie für Nitrosamine. Klar, angesichts der Komplexität des biologischen Geschehens um Mutagenese und Kanzerogenität ist die Stellungnahme der FDA mutig. Aber genau das ist nach den schrittweise anfallenden und bestürzenden Erkenntnissen der letzten Wochen ein wichtiger Aspekt für die Betroffenen. Es entsteht- vielleicht noch sehr schemenhaft - ein Bild von der Dimension des Schadens, der da angerichtet wurde. Dass das die großkopferten und zahlreichen deutschen wie europäischen Behörden und die in allen Fragen sonst wichtigtuerischen Spezialisten aus öffentlich wie privat finanzierter Forschung und Klinik nicht tun, ist das eigentliche Manko. Da helfen auch die verquasten Schätzungen der AMD nicht. Vielkeicht irrt sich die FDA, viellieicht betreibt sie mit den Zahlen absichtlich Deeskalationsrhetorik. Vielleicht übertreibt sie, um sich nicht Untätigkeit nachsagen zu lassen. Aber sie äußert sich verständlich und erkennbar basierend auf einer Datenbasis. Und auf diesem Gebiet marginalisiert sie die Expertise von Herrn Stahlmann und seinen Kolleginnen und Kollegen zu Recht.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Verrannt

von Wolfgang Müller am 02.08.2018 um 17:09 Uhr

Mit Verlaub, ich finde, dass Sie das so ("FDA jongliert" .... etc.) nicht weiter machen können, wenn Sie Ihre Legitimaton erhalten wollen, Anderen, da wo es wirklich mal passen könnte, "Plakativität" und unterschwellig sogar unseriöses Handeln vorzuwerfen.

Hier passt es nicht. Wo war eigentlich die Meldung zu der FDA-Stellungnahme, die einem Leitartikel (= Meinung) normalerweise vorausgehen sollte?

Im Gegensatz zu fast Allem Anderen, was zu Valsartan zu lesen war, ist die Stellungnahme der FDA als Grundlage für eine angemessene Kommunikation mit Patienten geeignet. Die bedauerlicherweise vielleicht schon lange ein "falsches Valsartan" eingenommen haben.

Steht bei Ihnen - wie vermutlich bei der FDA - auch "der Patient im Mittelpunkt?" Wozu entscheidend gehören würde, ihm unnötige Ängste zu nehmen? An deren Ursachen sich in diesem Fall sowieso nichts mehr ändern ließe, denn: eingenommen ist eingenommen?

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Verantwortung bei der AMProduktion?

von Heiko Barz am 02.08.2018 um 11:36 Uhr

Was gibt es aber nun für Konsequenzen dieser wichtigen Informationen hinsichtlich des Bekanntwerdens hier angeführter gesundheitsgefährdender chemischer Reaktionen?
Es wird wieder solange analysiert, diskutiert bis hin zum Verteilen des „Schwarzen Peters“. Dann wird eine Komission propozmäßig zusammengestellt, deren komplexe Arbeitsergebnisse nach vielen Jahren in irgendwelchen Schubladen verschwinden.
Wenn komplizierte Chemie für Arzneimittel wegen der Kostengründe aus der Hand gegeben wird, dann erleben wir das, was wir aus China bekommen. ( Das können auch andere Chemieküchen bekannter Art sein!)
Die Wertigkeit des AM dürfte in keiner Weise durch finanzielle Zwangsjacken begründet werden. Vielleicht geht den politisch Verantwortlichen im Bereich des BGM durch den „Valsartan-Crash“ nun mal endlich ein Licht auf, oder müssen sich Contergan-und andere Katastrophen periodisch verantwortungslos und ohne Konsequenzen wiederholen?

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Starker Tobak

von Ralph Richter am 01.08.2018 um 22:56 Uhr

Sie versuchen mit recht zweifelhafter Rhetorik die amerikanische Gesundheitsbehörde zu diskreditieren. Eine rennomierte Institution, die von Anfang das Thema offen kommuniziert hat und ihre Ergebnisse in Echtzeit publiziert, weil sie dazu gesetzlich verplichtet ist.
Weshalb?
Können Sie nicht einfach akzeptieren, dass Sie sich ebenso wie andere Zeitungen verrannt haben? Dass Sie mit Ihrer Berichterstattung und Ihren voreiligen Schlussfolgerungen Hunderttausende von Menschen ohne Not verängstigt und grob fahrlässig der Gefahr von gesundheitlichen Komplikationen infolge eines vorschnellen Absetzens ihrer Medikation ausgesetzt haben?
Wofür?

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.