DAZ.online-Miniserie „Jüdische Apotheker“ (2)

Von der Reichspogromnacht bis zum Berufsverbot

Berlin - 13.08.2018, 09:10 Uhr

Im Bayerischen Viertel in Berlin erinnert ein Straßenschild an das Anfang 1939 ausgesprochene Berufsverbot gegen jüdische Pharmazeuten. (r / Foto: Imago)

Im Bayerischen Viertel in Berlin erinnert ein Straßenschild an das Anfang 1939 ausgesprochene Berufsverbot gegen jüdische Pharmazeuten. (r / Foto: Imago)


Die Zeit des Nationalsozialismus brachte für jüdische Apotheker zunehmende Einschränkungen und Repressionen – bis hin zum Berufsverbot. Jüdische Apotheker wurden Schritt für Schritt um ihre Existenz gebracht und ihrer Zukunft beraubt. Teil 2 der DAZ.online-Miniserie „Jüdische Apotheker“ zeichnet die Bedingungen von 1933 bis 1939 nach.

Im Jahr 1933 wurden 25 Prozent der Apotheken in Berlin von einem jüdischen Pharmazeuten geleitet. In Hamburg waren es hingegen nur 20 der insgesamt 180 Apotheken. Dies entsprach einem Anteil von 11 Prozent. Deutschlandweit gab es damals 657 Apotheker jüdischen Glaubens – 3,6 Prozent der Gesamtapothekerschaft. Die jüdischen Apotheker hatten sich beruflich durchgesetzt. Noch in den zwanziger Jahren herrschte ein politisches Klima, in dem jüdische Apotheken in der Fachpresse als vorbildliche Apotheken vorgestellt wurden oder verdiente jüdische Pharmazeuten geehrt wurden. Doch das sollte sich spätestens 1933 ändern.

Erste antisemitische Übergriffe

Das Erschreckende an den schon kurz nach der Machtergreifung ausgeübten antisemitischen Übergriffen war, dass sie „von unten“ kamen und nicht erst „von oben“ verordnet werden mussten. So waren es die SA- und Stahlhelmformationen, so beschreibt es Esther Heil in ihrem Buch „Jüdische Apotheker im Fadenkreuz“, die schon Anfang Februar 1933 in einem Fackelzug durch Hamburg judenfeindliche Gesänge anstimmten und „Juda verrecke“ skandierten. Dies traf in der damaligen politischen Situation noch auf eine teilweise beschwichtigende Haltung gewisser nationalsozialistischer Kreise, die aus taktischen Gründen gegenüber dem Ausland mehr Zurückhaltung gegenüber Juden forderten. 

Doch insbesondere gegenüber jüdischen Geschäftsinhabern fanden schon früh die ersten Einschüchterungsversuche statt. So kam es bereits am 1. April 1933 zum sogenannten „Boykottsamstag“, an dem in ganz Deutschland SA- und SS-Einheiten Kunden unter Androhung von Gewalt am Betreten jüdischer Geschäfte hinderten. Unter Parolen wie „Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“ wurden auch Apotheken Opfer dieser Übergriffe. Frank Leimkugel beschreibt in seinem Buch „Wege jüdischer Apotheker“ die Geschehnisse. Die SA-Posten hinderten nicht nur die Kunden am Betreten der Apotheken, sondern beschmierten die Schaufenster mit antisemitischen Parolen. Gleichzeitig gelang es aber hin und wieder auch Einzelnen, die Apotheken zu betreten.

Boykott jüdischer Geschäfte: „Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“ (Foto: dpa)

Ausschluss aus den Standesorganen

Am 1. April 1933 veröffentlichte die Apotheker-Zeitung, das Standesorgan des Deutschen Apotheker-Vereins, einen Aufruf desselbigen an seine Mitglieder, in dem die sogenannte Gleichschaltung aller Apotheker-Vereine verkündet wurde und gleichzeitig alle Untergliederungen aufgerufen wurden, jüdische Mitglieder aus den Vorständen und Ausschüssen auszuschließen. Noch im selben Monat wurde der sogenannte Arierparagraph in die Satzung des Deutschen Apotheker-Vereins aufgenommen, der von nun an alle „nichtarischen“ Apotheker aus der Standesgemeinschaft ausschloss. Der „Arierparagraph“ entstammte dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933. Das Gesetz verbot die Beschäftigung von „Nichtariern“ im öffentlichen Dienst.

Standespresse berichtete antisemtisch

Noch im April 1933 kam es zu Bildung der Standesgemeinschaft Deutscher Apotheker (St.d.A.) als Nachfolgeorganisation des Deutschen Apotheker-Vereins und der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Apotheker. Die antisemitische Haltung verschärfte sich in den folgenden Monaten und führte zu einer Satzungsänderung der Standesgemeinschaft Deutscher Apotheker, infolgedessen jüdische Apotheker ohne Ausnahme von der Mitgliedschaft ausgeschlossen wurden: „Sämtliche nichtarischen Standesgenossen sind unverzüglich der Standesleitung zu melden. Dieselben werden mit sofortiger Wirkung aus der Standesgemeinschaft ausgeschlossen.“ Gleichzeitig könnten nur diejenigen Mitglied sein, die sich „im Besitz der Ehrenrechte“ befänden und im „Sinne des Beamtengesetzes deutsche Volksgenossen“ seien.

„Gleichschaltung der Presse“

Die Änderungen der politischen Situation machten auch vor der Fach- und Standespresse nicht halt. Im Rahmen der reichsweit durchgeführten sogenannten „Gleichschaltung der Presse“ wurden zum Beispiel auch Redakteure der Pharmazeutischen Zeitung mit jüdischem Glauben aus der Redaktion gedrängt und eine „Arisierung“ durchgeführt. Ausnahme war zunächst lediglich der Redakteur Georg Urdang. Da er noch für eine angefangene pharmaziehistorische Veröffentlichung gebraucht wurde, konnte er mittels einer Sondergenehmigung und unter Pseudonym noch bis 1935 weiterarbeiten. Dann musste auch er gehen. 

Doch weder die Pharmazeutische Zeitung noch die Süddeutsche Apotheker-Zeitung zeigten – zumindest zunächst – im gleichen Maße antisemitische Haltungen, wie es die Apotheker-Zeitung tat. In der Apotheker-Zeitung waren positive Berichte über jüdische Apotheker schon sehr bald undenkbar. Im Juli 1933 zitierte das Standesorgan der deutschen Apothekerschaft als Auftakt einer Berichterstattung über die sogenannte Entjudung der deutschen Apotheke zum Beispiel den Völkischen Beobachter, das Sprachrohr der NSDAP. Doch dabei sollte es nicht bleiben. So wurde die Notwendigkeit eines Ariernachweises für Konzessionsbewerber gerechtfertigt, da „unbedingt ein weiteres Vordringen des jüdischen und jüdisch-versippten Elementes verhindert werden mußte“.

Antisemitische Sprachcodes bewusst eingesetzt

Die Apotheker-Zeitung versuchte zudem in zahlreichen Reportagen, jüdische Apotheker als „Kriminelle“ zu diskreditieren. Es wurde von „der Jude“ gesprochen und ihnen unterstellt, dass sie sich als „übler Schmarotzer am deutschen Volkskörper erwiesen“ haben. Die in der Zeitung benutzte Sprache war eine antisemitische Hetzsprache, die mit Begriffen wie „jüdischer Schädling“ oder „unersättliche Raffgier“ bewusst jonglierte, um Ressentiments zu schüren und das Vorgehen des Staates gegen die jüdische Bevölkerung zu rechtfertigen. 

Druck auf die pharmazeutische Industrie

Auch durch den Aufruf zum Boykott pharmazeutischer Präparate jüdischer Herkunft machte die Apotheker-Zeitung auf sich aufmerksam. Bereits im April 1933 veröffentlichte sie eine Liste von Präparaten, die der N.S.D.-Ärztebund zusammengestellt hatte. Der Nationalsozialistische Deutsche Ärztebund präsentierte sich neben SA und SS als dritte Kampforganisation der NSDAP. Durch den Aufruf sollten Arzneimittel zukünftig gemieden werden, „deren Produktionsstätte im jüdischen Besitz ist oder von Juden entscheidend beeinflusst wird“. Außerdem sollten Pharmazeuten jüdischen Glaubens gezwungen werden, die Firmenleitung oder ihre Arbeit in Vorständen der pharmazeutischen Industrie aufzugeben. Die Pharmafirmen sollten schnellst möglich „arisiert“ werden – so das Ziel. 

Prominentes Beispiel war die „Kampagne gegen die Juden-Creme“, die die Firma Beiersdorf traf. 1882 durch den brandenburgischen Apotheker Carl Paul Beiersdorf in Hamburg gegründet, lag die Firmenleitung ab 1890 in Händen des jüdischen Apothekers Oscar Troplowitz. Zusammen mit Otto Hans Mankiewicz, ebenfalls jüdischer Apotheker, entwickelte er Produkte wie Leukoplast oder Nivea. Zu Beginn der NS-Zeit – Troplowitz und Mankiewicz waren bereits verstorben – gehörten verschiedene Mitglieder der Unternehmensleitung dem jüdischen Glauben an. Hetzkampagnen gegen Nivea, die als „jüdische Hautcreme“ besser zu meiden sei, zwangen letztlich Beiersdorf zur „freiwilligen Arisierung“.

„Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“

Die schrittweise Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung nach 1933 machte auch vor den Schulen und Hochschulen nicht halt. Am 25. April 1933 wurde das „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“ erlassen. Ziel des Gesetzes war, den Anteil der Juden an akademischen Berufen deutlich zu senken und ihre Zahl soweit zu beschränken, dass sie zahlenmäßig ihren prozentualen Anteil an der Gesamtbevölkerung von 0,8 Prozent nicht überschritten. Diese Einschränkungen trafen auch junge Juden, die Pharmazie studieren wollten. Für die Meisten bedeutete es, dass sie nach dem Vorexamen nicht studieren und ihre Ausbildung beenden konnten.

Es folgten weitere Einschränkungen. Schon im Juni 1933 wurde festgelegt, dass nur noch „Nichtarier“ studieren können, deren Vater im Ersten Weltkrieg „Frontkämpfer“ war. Erkennbar waren diese Studierenden durch ihre mit gelben Schraffierungen gekennzeichneten Studienbücher, die mit dem Vermerk „als Nichtarier zugelassen“ versehen waren. Das endgültige Aus für jüdische Bewerber für den Apothekerberuf war die Änderung der Prüfungsordnung für Apotheker vom 8.Dezember 1934 mit dem Vermerk: „Nichtarier werden zur Prüfung nicht zugelassen“. Denjenigen, die sich zu diesem Zeitpunkt schon am Ende des Studiums befanden, wurde die Approbation verweigert.

Ausschluss von der Apothekenleitung ab 1936

Die Situation jüdischer Apotheker verschärfte sich zunehmend in den darauffolgenden Jahren. Seit 1935 wurde durch Runderlasse des Reichsinnenministeriums die längst praktizierte Verweigerung der Konzessionsvergabe an jüdische Apotheker legalisiert. Aber auch gegen jüdische Apothekenbesitzer wurde ab 1936 vorgegangen. Mit dem am 26.März 1936 erlassenen „Gesetz über die Verpachtung und Verwaltung öffentlicher Apotheken“ wurden Juden von der Apothekenleitung ausgeschlossen. Sie mussten mit einer Frist von sechs Monaten entweder ihre Apotheke verkaufen – oder einen „arischen“ Pächter finden. „Juden sind als Pächter nicht zugelassen. Öffentliche Apotheken, deren Inhaber Jude ist, unterliegen dem Verpachtungszwang.“

300 Apotheken standen zum Verkauf

Frank Leimkugel gibt in seinem Buch „Wege jüdischer Apotheker“ an, dass daraufhin allein in Berlin von 500 Apotheken 150 zum Verkauf oder zur Verpachtung anstanden. Auf das gesamte Deutsche Reich bezogen, handelte es sich um mehr als 300 Apotheken. Die Lage der jüdischen Apotheker war verzweifelt. Die Preise, die erzielt werden konnten, entsprachen nicht dem eigentlichen Wert. Zudem war es schwierig, so schnell ausreichend solvente Käufer zu finden. Infolge des plötzlichen Wegfalls jüdischer Apotheken stieg auch die Arbeitslosigkeit unter den jüdischen Approbierten, da viele wegen des zunehmenden Antisemitismus nur eine Arbeitsstelle in einer jüdischen Apotheke gefunden hatten und diese nun verloren. Die Süddeutsche Apotheker-Zeitung vermeldete: „Seit dem 1. Oktober 1936 gibt es keine jüdischen Apotheken mehr!“

Reichspogromnacht

Die Reichspogromnacht vom 9. auf dem 10. November 1938 ging auch an jüdischen Apothekern nicht spurlos vorbei. Damals brannten reichsweit Synagogen, Geschäfte wurden geplündert, Scheiben wurden eingeworfen und tausende Juden wurden misshandelt, verhaftet oder getötet. Der Pogrom wurde ausgelöst durch eine Hetzrede von Propagandaminister Josef Goebbels. Daraufhin setzten sich die Schlägertrupps der SA in Bewegung – und ein Terror bisher nicht gekannten Ausmaßes nahm seinen unheilvollen Verlauf.

Zerstörtes Geschäft nach der Reichspogromnacht vom 9. auf 10. November 1938. (Foto: dpa)

Apotheken, geleitet von jüdischen Apothekern, gab es zu diesem Zeitpunkt zwar nicht mehr, aber jüdische Apotheker wie Adolf Mockrauer aus Berlin-Britz. Der Übernahme der Pacht seiner Apotheke durch das NSDAP-Mitglied Johannes Büker verdankte Mockrauer, dass er als Geschäftsführer weiterhin in „seiner“ Apotheke arbeiten konnte. In der Nacht zum 10. November blieb auch Mockrauer nicht von den Ausschreitungen verschont. Zeitzeugen sagten hinterher: „Diese Apotheke war völlig zerstört, die Scheiben eingeschlagen, alle Regale zerhackt, alle Medikamente zertreten, überall lagen Glassplitter von den Röhrchen, ja es war ein Bild, wie man es später nach Bombenangriffen häufiger gesehen hatte. An den Wänden stand: Juden raus!“

Berufsverbot ab1939

Der Verpachtungszwang jüdischer Apotheken nach 1936 nahm den jüdischen Apothekenbesitzern zwar die Möglichkeit zur Leitung einer Apotheke, beließ sie im Fall der Verpachtung aber im Besitz der Apothekenbetriebsrechte. Doch das sollte nicht so bleiben: 1939 wurde in zwei Schritten der völlige Ausschluss jüdischer Apotheker aus der Pharmazie durchgeführt. So hieß es in der achten Verordnung des Reichsbürgergesetzes vom 17. Januar 1939: „Bestallungen, Approbationen und Diplome jüdischer Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker erlöschen am 31.1.39.“ Zusätzlich wurde ein Runderlass des Reichsinnenministeriums mit der Überschrift „Entjudung von Apothekenbetriebsrechten“ veröffentlicht, infolgedessen die Betriebsrechte bisher noch verpachteter Apotheken bis zum 30. Juni 1939 verkauft werden mussten: das – vorläufige – Ende der jüdischen Pharmazie in Deutschland.

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Die Artikel-Serie „Jüdische Apotheker“ bei DAZ.online bezieht sich unter anderem auf das Buch von Frank Leimkugel „Wege jüdischer Apotheker“ bezüglich der Situation in Deutschland und auf die Arbeit von Esther Hell „Jüdische Apotheker im Fadenkreuz“, das die Situation jüdischer Pharmazeuten in Hamburg analysiert. Exemplarische Schicksale jüdischer Apotheker werden auf Basis der bereits benannten Quellen und einzelner im Internet verfügbarer Quellen beschrieben.

Die Datenlage zur Situation jüdischer Apotheker in Deutschland rund um die NS-Zeit – Zeitraum der DAZ.online-Miniserie – ist allgemein lückenhaft. Bedingt durch die geschichtlichen Ereignisse sind Akten und Schriftstücke der damaligen Behörden und betreffenden Organisationen im größeren Umfang vernichtet worden bzw. verschollen. Den Arbeiten von Leimkugel und Hell liegen unter anderem die Auswertungen vorhandener Dokumente verschiedener Landes- und Stadtarchive, einzelner Archive zur pharmazeutischen Geschichte, des Leo Baeck Institutes zur Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums, des Amtes für Wiedergutmachung und der Entschädigungsbehörde Berlin zugrunde.



Inken Rutz, Apothekerin, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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