Gute Erfahrungen in Schottland

Medikations-Reviews per Video oder Telefon

Remagen - 16.08.2018, 14:30 Uhr

In Schottland wurde ein Testprojekt abgeschlossen, bei dem Apotheker Arzneimittelberatungen per Video oder Telefon durchführen. ( r / Foto: Imago)

In Schottland wurde ein Testprojekt abgeschlossen, bei dem Apotheker Arzneimittelberatungen per Video oder Telefon durchführen. ( r / Foto: Imago)


Nach dem Willen der schottischen Regierung soll bis zum Jahr 2021 jeder Allgemeinarzt direkten Zugang zu einem Apotheker mit erweiterten klinischen Kenntnissen haben. Er soll das Verordnungsmanagement in der Praxis übernehmen und unter anderem Medikations-Reviews machen. Ein neues telemedizinisches Pilotprojekt zeigt, dass sich das in Schottland auch aus der Ferne umsetzen lässt.

Im September letzten Jahres hatte die schottische Regierung hat eine umfassende Strategie für die Weiterentwicklung der Apotheken mit dem Titel „Achieving Excellence in Pharmaceutical Care” vorgestellt. Hiernach sollen sich die Apotheker in den Hausarztpraxen in einigen Jahren flächendeckend um akute und Wiederholungsverschreibungen für chronisch Kranke kümmern. Sie sollen die Anwendung risikoreicher Medikamente überwachen und Medikations-Reviews (bis zu fünf verordnete Arzneimittel) sowie Polymedikations-Reviews erstellen

Im Moment sind Apotheker und pharmazeutische Assistenten bereits in etwa einem Drittel der schottischen Allgemeinpraxen tätig. Der pharmazeutische Service kann entweder in Teil- oder Vollzeit geleistet werden und soll sich am lokalen Bedarf orientieren. Schottland ist allerdings nicht sehr dicht besiedelt, und so müssen die Apotheker oft weite Wege zurücklegen, um den Service zu erbringen. Im Einzugsgebiet des NHS Highland, das etwa so groß ist wie Belgien, wurde jetzt für entlegene Hausarztpraxen eine telemedizinische Lösung für das Problem entwickelt.

Wie „Pharmacy anywhere“ funktioniert

Das Projekt mit Namen „Pharmacy anywhere“ (Apotheke überall) wurde im Rahmen eines Pilotprojektes von Januar 2017 bis April 2018 in der nördlichste Region Schottlands erprobt. Es funktioniert so: Über die eigentlich für die Hausärzte vorgesehene App „Vision anywhere“ (Einblick überall) erhalten die Apotheker Zugriff auf Patientenakten. Die Datensätze sind durch Verschlüsselung geschützt und werden aus dem mobilen Gerät der Apotheker automatisch nach 72 Stunden entfernt. Das zweite Tool ist „Attend anywhere“ (Besuch überall), eine Web-basierte Video-Beratung, über die Patienten mit Hilfe eines Internet-fähigen Computers oder eines Smartphones zu Hause eine Beratung bekommen können.

„Treffen“ im virtuellen Sprechzimmer

Für die Betreuung durch die Apotheker identifizieren die Hausarztpraxen Patienten, bei denen ein Medikations-Review ansteht, und vereinbarten für sie einen Termin. Unterdessen greift der Apotheker über „Vision anywhere“ auf die medizinischen Patientendaten zu. Zum Zeitpunkt des geplanten Termins loggt sich der Patient bei „Attend anywhere“ ein. Der Apotheker sieht ihn virtuellen „Sprechzimmer“ und stellt den Gesprächskontakt über Videocall oder das normale Telefon her. Am Ende der Konsultation aktualisiert der Apotheker die Krankenakte des Patienten, nimmt die erforderlichen Änderungen zu ihren Medikamenten vor und überträgt die Informationen zurück an den Praxis-Server des Hausarztes. Rezepte werden in der Praxis gedruckt und vom Hausarzt unterzeichnet. Nur Apotheker, die eine Qualifikation als unabhängige Verschreiber (independent prescriber) besitzen, dürfen den Service erbringen. Sie müssen dabei die Leitlinien des General Medical Council für Fern-Verschreibungen (remote prescribing) befolgen.

94 Prozent Erfolgsquote

Im Laufe des Pilotprojektes wurde 388 Patienten ein „Pharmacy anywhere“-Termin angeboten. 331 Patienten akzeptierten das Angebot. 57 lehnten es ab, weil sie entweder keine Überprüfung der Medikation wollten oder keine aus der Ferne. Die Erfolgsquote lag bei 94 Prozent (19 technische Ausfälle). Allerdings waren nur 14 Konsultationen Video-Termine. Die anderen wurden, vielfach wegen schlechter Internet-Konnektivität, über das Telefon durchgeführt. Bei 70 Prozent der Konsultationen war eine Anpassung der Medikation erforderlich. Dies zeigt nach Meinung des NHS, dass der Service durchaus notwendig war.

Medikamente einfach in die Kamera gehalten

Yvonne MacRae, Spezialistin für klinische Pharmazie bei NHS Highland, hat während der Projektphase selbst einige Video-Konsultationen durchgeführt. Sie meint, es sei nicht viel anders, als wenn die Patienten physisch anwesend gewesen wären. „Die Patienten über den Bildschirm zu sehen, war unglaublich nützlich“, sagt McRae. „Ich konnte mich rückversichern, über welche Medikamente ein Patient gesprochen hat, indem ich ihn gebeten habe, sie einfach in die Kamera zu halten.“

Fälle zeitnaher bearbeiten

„Bis jetzt musste der Apotheker warten, bis die jeweilige Hausarztpraxis in seinem Beratungszyklus wieder mal dran war“, erklärt Clare Morrison leitende Apothekerin beim NHS Highland. „Das konnte schon mal eine Woche oder zwei Wochen dauern. Jetzt können wir die Fälle zeitnah bearbeiten.“ Forscher an der Robert Gordon University (RGU) in Aberdeen haben den Service mit Hilfe von Fragebögen jeweils nach den Konsultationen und über Interviews mit Patienten und Mitgliedern der Praxisteams evaluiert. „Die Patienten berichteten über diverse Vorteile“, sagt Katie Gibson Smith, Research Fellow an der RGU. Diese beträfen zum Beispiel das Timing ihrer Konsultation und reduzierte Anfahrtszeiten. Außerdem habe der Medikations-Review ihre Aufmerksamkeit auf Fragen ihrer Arzneimitteltherapie gelenkt. „Einige meinten, ihre Medikation sei eingehender überprüft worden als beim Hausarzt und hätten nun ein besseres Verständnis ihrer Arzneimittel. Die Patienten würden den Service gerne weiterempfehlen“, resümiert Gibson Smith.

Wegen des großen Erfolgs soll „Pharmacy anywhere“ jetzt für gebrechliche ältere Patienten überall im Gebiet des NHS Highland in die Apotheken-Services des Nationalen Gesundheitsdienstes integriert werden.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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