CHMP-Empfehlung Fexinidazol

Erste orale Therapie der Schlafkrankheit

Stuttgart - 19.11.2018, 16:15 Uhr

Der Parasit Trypanosoma brucei ist der Übeltäter hinter der Schlafkrankheit. Die EMA empfiehlt nun die Zulassung eines neuen oralen Arzneimittels: Fexinidazol. (Foto: fotovapl / stock.adobe.com)

Der Parasit Trypanosoma brucei ist der Übeltäter hinter der Schlafkrankheit. Die EMA empfiehlt nun die Zulassung eines neuen oralen Arzneimittels: Fexinidazol. (Foto: fotovapl / stock.adobe.com)


Der Humanarzneimittelausschuss der EMA (CHMP) empfiehlt Fexinidazol zur Zulassung. Das Besondere: Fexinidazol von Sanofi ist das erste Arzneimittel, das oral und in beiden Stadien der durch Trypanosoma brucei gambiense verursachten Schlafkrankheit (Humane Afrikanische Trypanosomiasis, HAT) eingesetzt werden kann. Trypanosomen werden durch die Tsetsefliege übertragen.

Der Ausschuss für Humanarzneimittel (Committee for Medicinal Products for Human Use, CHMP) hat in seiner letzten Sitzung vom 12. bis 15. November 2018 Fexinidazol zur Zulassung empfohlen – als neues Arzneimittel zur Therapie der Westafrikanischen Schlafkrankheit. Medizinisch korrekt heißt die landläufig als Westafrikanische Schlafkrankheit bezeichnete Erkrankung Humane Afrikanische Trypanosomiasis (HAT). Die parasitäre Erkrankung wird durch Trypanosomen ausgelöst, die durch die tagaktive Tsetsefliege übertragen werden.

Folgt die Europäische Kommission der CHMP-Zulassungsempfehlung, ist Fexinidazol die erste orale Behandlungsmöglichkeit der durch Trypanosoma brucei gambiense ausgelösten HAT.

Was ist das Besondere an Fexinidazol?

Fexinidazol wird als Tablette mit einer Dosierung von 600 mg verfügbar sein. Bereits Kinder ab einem Alter von sechs Jahren und einem Körpergewicht von mindestens 20 Kilogramm dürfen Fexinidazol erhalten.

Chemisch betrachtet ist Fexinidazol ein Nitroimidazol. Es erzeugt reaktive Amine, die wiederum indirekt toxisch und mutagen auf Trypanosomen wirken. Die Einnahme von Fexinidazol erfolgt oral als einmal tägliche Gabe und über einen Zeitraum von zehn Tagen.

Das Besondere: Fexinidazol Winthrop ist eine orale Therapie und zudem indiziert für beide Stadien der HAT und darf sowohl im ersten hämolymphatischen als auch im zweiten meningoenzephalitischen Stadium therapeutisch eingesetzt werden, wenn die HAT auf Infektionen mit Trypanosoma brucei gambiense zurückzuführen ist. Im zweiten Krankheitsstadium haben die Parasiten die Blut-Hirn-Schranke überwunden und verursachen neuropsychiatrische Symptome.

Fexinidazol: Rückenmarkspunktion entfällt

Der Vorteil der Indikation für beide Stadien der HAT besteht unter anderem auch darin, dass die bislang erforderliche Rückenmarkspunktion zum Nachweis des zweiten Stadiums und der Auswahl einer passenden Therapie entfällt.

Was ist die Westafrikanische Schlafkrankheit?

Die Westafrikanische Schlafkrankheit wird medizinisch korrekt als Humane Afrikanische Trypanosomiasis (HAT) bezeichnet. Man unterscheidet zwei Arten der Schlafkrankheit abhängig davon, welcher Parasit ursächlich ist: Trypanosoma brucei gambiense oder Trypanosoma brucei rhodensiense, wobei 98 Prozent der gemeldeten Fälle durch Trypanosoma brucei gambiense verursacht werden. 
Trypanosoma brucei gambiense ist vor allem in den tropischen Ländern West- und Zentralafrikas verbreitet. Die meisten Fälle finden sich in der Demokratischen Republik Kongo. In Ostafrika bis südwärts nach Botswana dominiert Trypanosoma brucei rhodensiense. 25 Prozent der Erkrankten sind Kinder unter 15 Jahren.

Wie verläuft die Schlafkrankheit?

Die HAT verläuft in zwei Stadien. Das erste Stadium, ein bis drei Wochen nach der Infektion, ist gekennzeichnet durch Fieber, Schüttelfrost, Lymphknotenschwellung, Ödeme und Hautausschlag mit Juckreiz. Etwa 5 bis 20 Prozent der Infizierten zeigen in der ersten Woche an der Einstichstelle der Tsetsefliege eine Schwellung mit Bläschenbildung. Im zweiten Stadium der HAT – vier bis sechs Monate nach Infektion – sind vor allem Symptome des Zentralnervensystems vordergründig. Die Patienten leiden an Verwirrtheit und Koordinationsstörungen, Schlafstörungen und Krampfanfällen. Die Patienten fallen in einen Dämmerzustand, dem die Erkrankung auch den Namen „Schlafkrankheit“ verdankt. Unbehandelt führt eine HAT innerhalb von Monaten bis Jahren zum Tod.

WHO will HAT bis 2020 ausrotten

Laut Ärzte ohne Grenzen gingen die gemeldeten Fälle an Humaner Afrikanischer Trypanosomiasis in den letzten Jahren stark zurück und sanken zwischen 1999 und 2015 um 90 Prozent (von 28.000 auf 2.800 Patienten). Die WHO hat sich zum Ziel gesetzt, die HAT bis zum Jahr 2020 als öffentliches Gesundheitsproblem auszurotten (< 2000 Erkrankungen). Allerdings darf man sich hier wohl nicht in Sicherheit wiegen und ausruhen, denn die Schlafkrankheit sei dafür bekannt, auf Epidemie‐Niveau zurück zu kehren, sobald die Anstrengungen zur Überwachung nachließen, erklärt DNDI (Drugs for Neglected Diseases Initiative, siehe Seite drei).

Wie wird die Humane Afrikanische Trypanosomiasis bislang behandelt?

Therapeutisch werden bislang mehrere Arzneimittel eingesetzt. Da jedoch nicht alle Wirkstoffe die Blut-Hirn-Schranke überwinden, ist bis dato eine Rückenmarkspunktion erforderlich, um je nach Stadium der Erkrankung eine passende Therapie zu wählen. In Stadium eins kommt Pentamidin als intramuskuläre Injektion zum Einsatz. Laut CHMP-Bericht sind die Injektionen äußerst schmerzhaft. In Stadium zwei, mit Beteiligung des Zentralnervensystems, ist die kombinierte Gabe von oralem Nifurtimoy und intravenösen Infusionen mit Eflornithin möglich.

Warum ist eine orale Therapie wichtig?

Fraglos sind orale Therapien zunächst einmal für alle Patienten einfacher und angenehmer als Infusionen oder Injektionen. Während jedoch für Patienten in der westlichen Welt die Wege zum Arzt oder ein Krankenhaus äußerst kurz sind, müssen in afrikanischen Ländern Erkrankte häufig tagelang, unter Umständen zu Fuß, unterwegs sein, um ihre erforderlichen parenteralen Therapien zu erhalten. Aus diesem Grund sind vor allem für diese Länder orale Therapieoptionen wertvoll. Außerdem sind Tabletten meist relativ klein, kompakt verpackt und einfach zu transportieren, während der Transport von Infusionsbehältern aufwendiger ist.


Fexinidazol Winthrop, als ausschließlich orales Behandlungsschema für die Krankheit, könnte möglicherweise einen schnelleren und breiteren Zugang zur Behandlung ermöglichen, da die Verteilung und Verabreichung von Tabletten einfacher ist.“

Committee for Medicinal Products for Human Use, CHMP


Welche Nebenwirkungen macht Fexinidazol?

Fexinidazol wurde in drei klinischen Studien an 749 Patienten untersucht, die in verschiedenen Stadien der Erkrankung waren. Die Heilungsrate war insbesondere bei Patienten im frühen Krankheitsstadium sehr hoch.

Zu den häufigsten Nebenwirkungen einer Behandlung mit Fexinidazol gehörten Erbrechen und Übelkeit, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Schwäche, Verwirrtheit und Zittern.

Bei manchen Studienpatienten kam es zu einem Wiederauftreten der Schlafkrankheit. Aus diesem Grund empfiehlt der CHMP, die Patienten nach Behandlung für 24 Monate zu monitoren, um mögliche Rezidive zu erkennen. Auch spricht sich der CHMP dafür aus, dass medizinisches Personal die Fexinidazol-Einnahme der Patienten überwacht, um ein vollständige Adhärenz zu sichern. 

EMA-Zulassungsempfehlung nur für Märkte außerhalb der EU

Fexinidazol ist das zehnte Arzneimittel, für das die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) unter Berufung auf Artikel 58 die Zulassungsempfehlung ausspricht. Artikel 58 der EC-Regulation 726/20041 ermöglicht dem CHMP – in Zusammenarbeit mit der WHO – ein wissenschaftliches Gutachten auch für Arzneimittel abzugeben, die ausschließlich außerhalb der Europäischen Union eingesetzt werden sollen, diese zu beurteilen und Empfehlungen auszusprechen. Fexinidazol ist ausschließlich für Märkte außerhalb der EU gedacht.

Sanofi forscht gemeinsam mit Not-for-Profit-Organisation

„Ziel ist es, den Zugang der Patienten zu lebenswichtigen Medikamenten in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu erleichtern, einschließlich neuer oder verbesserter Therapien für unerfüllte medizinische Bedürfnisse, die darauf abzielen, Krankheiten von großem öffentlichen Interesse zu verhindern oder zu behandeln“, erklärt die EMA auf ihrer Homepage. Das Arzneimittel wurde gemeinsam von Sanofi und DNDI entwickelt. Hinter DNDI verbirgt sich Drugs for Neglected Diseases Initiative.

Was ist DNDI?

DNDI ist eine Not-for-Profit-Organisation im Bereich Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln. Gegründet 2003, kümmert sich die Initiative Drugs for Neglected Diseases um die Erforschung neuer Therapien für vernachlässigte Krankheiten, unter anderem die Schlafkrankheit, Chagas-Krankheit, Leishmaniose,HIV bei Kindern, Malaria und bestimmte Wurmerkrankungen. Insgesamt konnte DNDI seit 2003 sechs neue Therapien zur Verfügung stellen. Eine davon war NECT – eine Kombination aus Nifurtimox und Eflornithin, die derzeit zur Behandlung der Schlafkrankheit eingesetzt wird. DNDI unterstützt auch die Gründung von Forschungsplattformen und war unter anderem an der Etablierung der HAT-Plattform in Afrika beteiligt. DNDI erhält finanzielle Unterstützung aus vielen Ländern, in Deutschland unter anderem vom Bundesgesundheitsministerium und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ).



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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