DAZ.online:
Aus Apothekersicht konzentriert sich der Blick bisher auf die neuen Vorschläge
zur Preisbildung bei Grippeimpfstoffen. Wie beurteilen Sie den Vorschlag, diese
der Preisbindung zu unterwerfen?
Friedrich:
Auf den ersten Blick ist dies ein Ansatz, der für Planungssicherheit
hinsichtlich der Vergütung zu sorgen scheint. Allerdings erschließt sich uns
nicht, warum zugleich eine abweichende Preisbildungssystematik für
Grippeimpfstoffe mit Festaufschlag und Preisdeckel kreiert werden soll.
Grippeimpfstoffe sind wie die übrigen Impfstoffe verschreibungspflichtige
Fertigarzneimittel und damit auch eine Handelsware. Der starre Aufschlag von
einem Euro pro Dosis übersieht, dass es bereits jetzt besonders spezifizierte
Grippeimpfstoffe gibt - zur nasalen Anwendung oder aus eiweißfreier Zellkultur.
Diese haben einen höheren Einkaufspreis. Außerdem wird erwartet, dass demnächst
neue, bessere aber wohl auch teurere Grippemittel auf den Markt kommen. Da
reicht der eine Euro für die Vorfinanzierung nicht mehr aus. Bereits bei den
derzeitigen Impfstoffen bekämen die Apotheken nach dem jüngsten TSVG-Entwurf
zwischen 3 und maximal 8,5 Prozent der GKV-Aufwendungen für Grippeimpfstoffe,
die Hersteller aber über 70 Prozent.
Stolzenburg:
Zugleich sind Grippeimpfstoffe Saisonware mit Besonderheiten. Sie müssen
langfristig vorbestellt, in großen Mengen vorfinanziert und kühl gelagert
werden. Nicht abgerufene Teilmengen verfallen zulasten der Apotheke. Ein
einfaches Beispiel zeigt, wie groß das kaufmännische Risiko ist. 1.000
Grippeimpfstoffdosen für 9.000 Euro bringen 1.000 Euro Ertrag für die Apotheke.
Muss die Apotheke am Ende 100 Dosen verwerfen, verliert sie 1.000 Euro und
somit den gesamten Ertrag der Saison. Viel dramatischer wird die Rechnung, wenn
die Deckelung auf 75 Euro Aufschlag pro Verordnungszeile greift. Bei den in
Schleswig-Holstein und Hamburg durchaus üblichen 200 Impfdosen pro Verordnungszeile
sinkt der Ertrag dann auf 0,35 Euro pro Dosis.
DAZ.online:
Was stört sie so sehr an einem Sonderweg für einen besonderen Fall?
Friedrich:
Die Begründung für den Sonderweg innerhalb der Arzneimittelpreisverordnung ist
doppelt falsch. In der „amtlichen“ Begründung heißt es, auf den variablen
Zuschlag von 3 Prozent und den einheitlichen Festzuschlag von derzeit 8,35 Euro
könne verzichtet werden, da es sich nicht um die Abgabe an Versicherte, sondern
an Ärztinnen und Ärzte handele. Bei denen seien Beratungsleistungen nicht
erforderlich. Doch die 8,35 Euro sind auch bei allen anderen Arzneimitteln keine
„Beratungsgebühr“, wie trotzdem immer
wieder suggeriert wird. Außerdem wird
übersehen, dass gemäß § 20 Apothekenbetriebsordnung auch Ärzte hinreichend informiert
und beraten werden müssen.
Stolzenburg:
Die Notwendigkeit einer solchen Beratung von Ärztinnen und Ärzten kann ich aus
meiner jahrelangen Praxis als impfstoffversorgender Apotheker nur bestätigen. Gerade
beim Grippeimpfstoff, der sich von Saison zu Saison verändert, besteht
Aufklärungs- und Informationsbedarf hinsichtlich der Auswahl des konkreten
Impfstoffes. Das betrifft pharmazeutische Parameter, die Wirtschaftlichkeit, die
gemeinsame Ermittlung der Bestellmenge und die Verordnungsweise. Dieser Prozess
umfasst mehr als nur ein Beratungsgespräch und erfordert meist den persönlichen
Besuch in der Arztpraxis. Der Beratungs- und Abstimmungsbedarf mit den Ärzten
setzt sich während der Impfkampagne fort. Wann und wie viel soll in Tranchen
aus der Gesamtmenge geliefert werden? Wie ist die jeweils aktuelle Bevorratungssituation
in der Arztpraxis? Muss nachbestellt werden?
Friedrich: Gerade weil im Sprechstundenbedarf kein
Kontrahierungszwang besteht, muss es für die Apotheke einen hinreichenden
kaufmännischen Anreiz geben, diesen Aufwand zu leisten und das unternehmerische
Risiko einzugehen. Der vorliegende Änderungsantrag unterstellt aber offenbar,
dass Apotheken Impfstoffe nur an Ärzte „durchreichen“. Das ist offensichtlich falsch.
Ansätze
für bessere Impfrate
DAZ.online:
Sehen Sie trotz dieser Kritik auch positive Ansätze für die Versorgung mit
Grippeimpfstoffen im jüngsten TSVG-Entwurf?
Stolzenburg:
Durchaus, einiges begrüßen wir ausdrücklich. Eine angemessene Überschreitung
der Verordnungsmenge gegenüber den tatsächlichen Impfungen soll nicht als
unwirtschaftlich gelten. Das entschärft den Wirtschaftlichkeitsdruck auf die
Ärzte und kann die Impfrate erhöhen. Auch die geplante Schärfung des
europäischen Referenzpreisrabattes und das Verbot von Ausschreibungen von
Impfstoffen für Schutzimpfungen sehen wir positiv. Erfreulich sind schließlich
die Ansätze, den Zugang zu Impfungen zu erleichtern, insbesondere durch die
Stärkung der Rolle des öffentlichen Gesundheitsdienstes.
DAZ.online:
Vielen Dank für das Gespräch.
1 Kommentar
Irrwitzige Regelung soll Versorgungssicherheit Verbessern?!
von Rainer W. am 07.03.2019 um 10:26 Uhr
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