Interview Apothekerverband Schleswig-Holstein

„Das TSVG wird jetzt schon zum Problem für die Impfstoffversorgung“

Süsel - 07.03.2019, 07:00 Uhr

Christian Stolzenburg, Mitglied des Vorstandes des
Apothekerverbandes Schleswig-Holstein, und Dr. Thomas Friedrich, Geschäftsführer des
Apothekerverbandes Schleswig-Holstein und des Hamburger Apothekervereins, meinen im DAZ.online-Interview: Die von der Großen Koalition geplanten Impfstoff-Regelungen könnten jetzt schon zur Gefahr werden. (Foto: privat)

Christian Stolzenburg, Mitglied des Vorstandes des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein, und Dr. Thomas Friedrich, Geschäftsführer des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein und des Hamburger Apothekervereins, meinen im DAZ.online-Interview: Die von der Großen Koalition geplanten Impfstoff-Regelungen könnten jetzt schon zur Gefahr werden. (Foto: privat)


Neue Bedarfsermittlung als „Planwirtschaft“

DAZ.online: Der jüngste Entwurf für das TSVG sieht in einem neuen § 132e Absatz 2 SGB V auch eine neue Bedarfsermittlung vor. Wie beurteilen Sie dieses Konzept hinsichtlich der Versorgungssicherheit?

Friedrich: Das Konzept mutet an wie Zentralplanwirtschaft. Die hat aber noch nie funktioniert. Die neuen Ansätze sind nicht geeignet und vor allem nicht erforderlich.

DAZ.online: Bitte führen Sie das näher aus.

Friedrich: Nach dem vorliegenden Änderungsantrag soll die Kassenärztliche Bundesvereinigung bis zum 15. Januar Bedarfe an das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) melden. Das PEI wiederum soll diese Zahlen mit gemeldeten Daten der Hersteller abgleichen und dann inklusive einer aufgeschlagenen Reserve von 10 Prozent an beide zurückspiegeln. Doch das KV-System erfasst nicht alle Impfstränge. Die Impfungen in Betrieben und im öffentlichen Gesundheitsdienst sowie von Selbstzahlern fehlen. Die Meldung am 15. Januar erfordert eine Abfrage bei den Ärzten Anfang Dezember. Dann ist die laufende Impfkampagne noch längst nicht abgeschlossen. Außerdem muss dafür eine neue Bürokratie mit neuen Kosten aufgebaut werden. Andererseits ist die Zahl der produzierten Impfdosen bei den Herstellern bekannt und die tatsächlichen Impfungen im Rahmen der GKV ergeben sich aus den Abrechnungsdaten. Daraus sollte das PEI Prognosen entwickeln können. Die jeweils zum 15. März mitzuteilenden Daten haben allerdings keinerlei erkennbare Steuerungswirkung und erhöhen die Versorgungssicherheit nicht. Für die einzelne Arztpraxis sind sie wertlos. Wie soll denn die KBV auf die Situation in jeder Praxis einwirken? Im Übrigen ergibt sich aus ärztlich gemeldeten Bedarfen noch keine einzige verbindliche Bestellung oder Verordnung.  

Stolzenburg: Außerdem stehen die Hersteller im Wettbewerb. Absprachen über Anteilsverteilungen sind kartellrechtlich unzulässig. Die Relationen untereinander verschieben sich durch Marktein- und -austritte, neue Produkte, Preise und Liefermodalitäten- von Jahr zu Jahr aufs Neue. Aussagen auf der Makroebene, wie die Mengenprüfung durch das PEI, haben damit für die Hersteller keine belastbaren oder gar verpflichtenden Folgen.  Entscheidend ist und bleibt, wie viel Ware Großhandel und Apotheken kaufen. Denn bisher ist nicht erkennbar, dass der Staat oder die Krankenkassen ins Risiko gehen wollen.

Vorschlag für ein Bestellsystem

DAZ.online: Was schlagen Sie stattdessen vor?

Friedrich: Es muss ein frühzeitiges verbindliches Bestellsystem für saisonale Grippeimpfstoffe zwischen den beteiligten Vertragspartnern auf Landesebene - Krankenkassen, Kassenärztliche Vereinigung und Apothekerverband - etabliert werden. Dazu liegen bereits gute Erfahrungen aus den letzten Jahren in Westfalen-Lippe, Schleswig-Holstein, Hamburg, Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern vor. Und das haben wir auch für die kommende Saison für Hamburg und Schleswig-Holstein wieder am Start.

Da die Apotheken die Grippeimpfstoffe nach dem Sachleistungsprinzip bereitstellen, können die Verträge nicht ohne die Apotheker als Leistungserbringer geschlossen werden. Wie diese sich wechselseitig bedingenden Vereinbarungen im Sozialrecht zu verankern wären, zeigt ein Vorschlag des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein (siehe Kasten).

Stolzenburg: Die ärztlichen Bestellungen müssten idealerweise bis Ende Februar erfolgen. Der Praxisbedarf könnte in 90 Prozent Vorbestellung und 10 Prozent Nachbestellung aufgeteilt werden. Hinzu käme eine Reserve von 10 Prozent für Mehrbedarf. Um den Apotheken Sicherheit für ihre Abrechnung zu geben, sollten die Rezepte für die ganze Saison gültig sein. Dann könnten die Apotheken verbindlich bei den Herstellern ihrer Wahl bis Ende März bestellen. So hätten auch die Hersteller bereits zum Beginn der Produktionsphase eine hohe Abverkaufssicherheit.

Mögliche gesetzliche Verankerung eines Bestellsystems

Vorschlag des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein:

Für Ärztinnen und Ärzte wäre in § 106b Absatz 1a Satz 2 SGB V zu ergänzen: „Das Nähere ist in den Vereinbarungen nach Absatz 1 Satz 1 zu regeln.“

Für die Apotheken wäre § 129 Absatz 5 SGB V in Satz 1 zu ändern und um einen neuen Satz 2 zu ergänzen: „Die Krankenkassen und ihre Verbände schließen mit den für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen maßgeblichen Organisationen der Apotheker auf Landesebene ergänzende Verträge. In den Verträgen wird bis zum 15. Februar eines Jahres unter anderem das Nähere über die Bestellung und Belieferung mit saisonalen Grippeimpfstoffen für den Sprechstundenbedarf vereinbart.“ 



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


1 Kommentar

Irrwitzige Regelung soll Versorgungssicherheit Verbessern?!

von Rainer W. am 07.03.2019 um 10:26 Uhr

Die Lösung auf die Deckelung ist ganz einfach: Bei uns wird es nicht mehr Impfstoffe pro Rezept geben als voll bezahlt werden.

Bei dem Risiko, Kühlkettenpflicht und minimaler Vergütung wird es auch keinen einzigen Impfstoff auf Vorrat geben. Was nicht bezahlt wird wird auch nicht geleistet.

Ich seh die Lieferengpässe nächstes Jahr schon kommen, Einzelimporte für 1€ pro Stück bei voller Haftung könnt ihr aber noch mehr vergessen als Vorratshaltung.

Wir mussten letztes Jahr sogar einen zusätzlichen Kühlschrank inklusive Temperaturführung in Betrieb nehmen damit der Lagerplatz reicht. Für 1€ pro Dosis und maximal 75€ pro Rezept? Sicher nicht.

Die "Experten" mögen mal schauen was so ein Temperaturgeführter Kühlschrank kostet, ohne laufende Kosten und Zeit für Dokumentation.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.