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Sicherheit von Atomkraftwerken
Belgier holen Iodtabletten für den Notfall nicht ab
Belgien
steht wegen Sicherheitsbedenken hinsichtlich seiner Atomkraftwerke immer wieder
in der Kritik. Die Regierung wiegelt zwar ab, hat aber trotzdem den nuklearen Noteinsatzplan
des Landes verstärkt. Seit einem Jahr kann jeder Belgier sich in der Apotheke kostenlose
Iodtabletten abholen. Bislang hält sich die Nachfrage jedoch in Grenzen.
In Belgien gibt es fünf nukleare Anlagen. Die bekanntesten sind die beiden Kernkraftwerke in Doel bei Antwerpen und Tihange bei Huy. Hinzu kommen das Studienzentrum für Kernenergie (SCK-CEN-SZK), Belgonucléaire & Belgoprocess in Mol-Dessel sowie das Landesinstitut für Radioelemente (IRE) in Fleurus. Zwei weitere Kernzentralen befinden sich in Grenznähe in den Nachbarländern Niederlande (in Borssele) und Frankreich (Chooz). Angesichts dieser Dichte in einem relativ kleinen Land ist also von einer „ausreichenden“ nuklearen Bedrohung auszugehen, sollte es zu einem Störfall kommen.
Aachen ist vorbereitet
Tatsächlich sind bezüglich der alternden belgischen Kernreaktoren schon wiederholt Sicherheitsbedenken aufgetreten. Als besonders umstritten gelten die Meiler Tihange und Doel im Südosten beziehungsweise Norden Belgiens. Obwohl in beiden Anlagen Mikrorisse entdeckt worden waren, wurde ihre Betriebsdauer über die ursprünglich geplante Zeit hinaus verlängert. Aachen, das von dem Kraftwerk in Tihange nicht weit entfernt ist, hatte im September 2017 damit begonnen, in den Apotheken Iodtabletten zu verteilen.
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Auch die belgische Regierung hat vorgesorgt, und zwar mit einem Noteinsatzplan. Dieser ist Anfang März 2018 in Kraft getreten und hat den vorherigen fünfzehn Jahre alten Notfallplan abgelöst. Als ein Bestandteil des neuen Plans müssen im Umkreis von 100 Kilometern um ein Kernkraftwerk für jedermann Iodtabletten zugänglich gemacht werden. Damit soll fast das gesamte belgische Staatsgebiet abgedeckt sein. Nach dem alten Notfallplan lag der Umkreis bei 20 Kilometern, was keine Vollabdeckung bedeutet hätte. Seitdem kann jeder Bürger kostenlos Iodtabletten in der Apotheke abholen. 4,6 Millionen Dosen (à zehn Tabletten) wurden dafür zur Verfügung gestellt, mit einem Anschaffungswert von zwei Millionen Euro. Wer in unmittelbarer Nähe einer entsprechenden Anlage wohnt, soll die Tabletten zu Hause aufbewahren, damit er sie gegebenenfalls gleich griffbereit hat.
Nur vier Prozent der Familien haben die Tabletten geholt
Anläßlich der Vorstellung des neuen Plans sollen die Gesundheitsministerin Maggie De Block (Open VLD) und der damalige für nukleare Sicherheit zuständige Innenminister Jan Jambon (N-VA) Behauptungen zurückgewiesen haben, mit der Maßnahme auf erhöhte Gefahren zu reagieren, die von belgischen Kernkraftanlagen ausgingen. Vielmehr handele es sich um einen langen geplanten Schritt, um den in die Jahre gekommenen Noteinsatzplan zu aktualisieren, hatten die Politiker stattdessen beteuert.
Vielleicht ist diese Botschaft bei den Bürgern deutlicher angekommen, als die Regierung sich das vorgestellt hat. Jedenfalls will die Tabletten offensichtlich kaum jemand haben. Dies teilt das „Grenzecho“ unter Berufung auf die flämische Tageszeitung „Het Nieuwsblad“ mit.
Lediglich 600.000 Packungen seien bislang verteilt worden, habe diese berichtet. Rund 431.000 Packungen sollen an Schulen, Krippen und andere Institutionen ausgegeben worden sein und etwa 215.000 an Privatpersonen. „Das sind nur knapp vier Prozent aller Familien“, mahnt der Kammerabgeordnete Kristof Calvo von den flämischen Grünen (Groen), der die Zahlen beim Ministerium angefragt hatte. Das sei nicht nur wenig, moniert der Oppositionspolitiker. Es zeige auch, dass der nukleare Notfallplan nicht gut funktioniere. Die Grünen hätten es lieber gesehen, wenn die Tabletten in ganz Belgien von Haus zu Haus verteilt worden wären, aber davon habe der damalige Innenminister Jan Jambon nichts wissen wollen. Sein Nachfolger Pieter De Crem müsse jetzt „einen Zahn zulegen oder den Plan komplett ändern, so seine klare Forderung. Die verteilten Iodtabletten sind zehn Jahre haltbar. „Wir sind also vorbereitet für die kommenden Jahre“, wurde ein Sprecher des Krisenzentrums in der Zeitung zitiert, für den Fall, dass der Run auf die Iodtabletten doch noch einsetzen sollte.
Warum die Iod-Einnahme?
Bei einem nuklearen Unfall kann freigesetztes radioaktives Iod durch die Atemwege oder kontaminierte Nahrung in den Körper gelangen. Die Schilddrüse nimmt es auf, was zu einer Bestrahlung „von innen“ führt und das Risiko von Krebserkrankungen stark erhöht. Durch die Einnahme von stabilem (nicht radioaktivem Iod) zum richtigen Zeitpunkt wird die Schilddrüse schon vorab mit Iod gesättigt. Damit bleibt das radioaktive Iod außen vor.
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