PRAC schränkt MS-Arzneimittel Alemtuzumab ein

Mehr Sicherheit für Lemtrada

Stuttgart - 04.11.2019, 12:45 Uhr

Alemtuzumab in Lemtrada soll nur bei hochaktiven RRMS-Patienten eingesetzt werden, die auf mindestens eine krankheitsmodifizierende Therapie nicht angesprochen haben oder bei denen die Erkrankung rasch voranschreitet. (s / Foto: Genzyme)

Alemtuzumab in Lemtrada soll nur bei hochaktiven RRMS-Patienten eingesetzt werden, die auf mindestens eine krankheitsmodifizierende Therapie nicht angesprochen haben oder bei denen die Erkrankung rasch voranschreitet. (s / Foto: Genzyme)


Die EMA schränkt die Anwendung von Lemtrada ein. Das bei hochaktiver schubförmiger Multipler Sklerose eingesetzte Alemtuzumab sollen künftig nur Patienten erhalten, deren MS – trotz Behandlung mit mindestens einer krankheitsmodifizierenden Therapie – hochaktiv verläuft. Weiterhin dürfen MS-Patienten, die zusätzlich unter bestimmten Erkrankungen des Herzens, Kreislauf- oder Blutungsstörungen leiden oder weitere Autoimmunerkrankungen haben, künftig kein Alemtuzumab mehr erhalten. Grund sind Meldungen zu teilweise tödlichen Nebenwirkungen bei MS-Patienten.

Der Ausschuss für Risikobewertung im Bereich Pharmakovigilanz (PRAC) bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA schränkt Alemtuzumab ein. Der PRAC hat empfohlen, Lemtrada® nur noch bei MS-Patienten einzusetzen, 

  • deren remittierend schubförmige Multiple Sklerose trotz angemessener Behandlung mit mindestens einer krankheitsmodifizierenden Therapie (DMD, disease modifying drugs) hochaktiv verläuft oder
  • deren MS-Erkrankung rasch voranschreitet, was definiert ist durch mindestens zwei Schübe mit Behinderungsprogression in einem Jahr und neuen Gadolinium-anreichernden Läsionen im MRT des Gehirns.

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Auch Erkrankungen des Herzens, Kreislauf- oder Blutungsstörungen sowie weitere Autoimmunerkrankungen disqualifizieren für eine Behandlung mit Alemtuzumab. So darf nach dem Willen des PRAC Lemtrada® künftig auch nicht mehr bei Patienten mit schubförmiger Multipler Sklerose eingesetzt werden, die zusätzlich an bestimmten Erkrankungen des Herzens, Kreislauf- oder Blutungsstörungen leiden. Des Weiteren ist Alemtuzumab bei Patienten, die neben Multipler Sklerose noch weitere Autoimmunerkrankungen haben, in Zukunft kontraindiziert. 

Alemtuzumab in Lemtrada® ist laut Fachinformation zugelassen „zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit schubförmig-remittierender Multipler Sklerose (RRMS, relapse remitting multiple sclerosis) mit aktiver Erkrankung, definiert durch klinischen Befund oder Bildgebung.“

Risse in Gefäßwand von Kopf- und Halsarterien

Die verschärften Maßnahmen sind das abschließende Ergebnis eines seit 10. April dieses Jahres laufenden Sicherheitsverfahrens zu dem MS-Arzneimittel. Schwere unerwünschte Wirkungen, wie immunvermittelte Erkrankungen und kardiovaskuläre Komplikationen, die teilweise tödlich endeten, hatten den PRAC zu diesem Schritt veranlasst. Unter anderem kam es unter Alemtuzumab offenbar zu schweren Schlaganfällen und Rissen in der inneren Gefäßwand von Kopf- und Halsarterien. Diese Nebenwirkungen traten während oder innerhalb weniger Tage nach der Infusion von Lemtrada auf. Immunvermittelte Erkrankungen traten mit einer bis zu mehrere Monate dauernden Latenz nach der Infusion mit Lemtrada® auf.

Bereits im April hatte der PRAC temporäre risikominimierende Maßnahmen zu Alemtuzumab angeordnet. Diese werden nun durch die finale PRAC-Entscheidung abgelöst.

Temporäre Maßnahmen waren teilweise strikter

Die nun geltenden Einschränkungen sind weniger streng als die temporären, die der PRAC im April als erste Reaktion veranlasst hatte. Damals hatte der PRAC empfohlen, Neutherapien mit Lemtrada® nur bei MS-Patienten anzusetzen, deren Multiple Sklerose – trotz Behandlung mit mindestens zwei therapiemodifizierenden Arzneimitteln – hochaktiv verläuft oder wenn alternative DMD kontraindiziert sind.

Wie wirkt Alemtuzumab?

Alemtuzumab ist ein humanisierter monoklonaler IgG-Antikörper mit der Zielstruktur CD52. Der exakte Wirkmechanismus des humanisierten CD52-Antikörpers bei MS ist nicht vollständig geklärt. Vor allem CD3-T-Lymphozyten und CD19-B-Lymphozyten exprimieren das Glykoprotein. Durch Bindung von Alemtuzumab an die CD52-positiven Lymphozyten lösen sie eine komplementvermittelte Zytolyse aus. Die Forschung weist „in Richtung immunmodulatorischer Wirkung“, schreibt die Fachinformation zu Lemtrada®. Hierdurch kommt es wohl zu einer Senkung der zirkulierenden B- und T-Zellen und einer sich anschließenden Repopulation, was die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Schubs bei Multipler Sklerose verringert.

Die initiale Behandlung mit Alemtuzumab umfasst zwei Behandlungsphasen: In der ersten erhalten die MS-Patienten je 12 mg Alemtuzumab an fünf aufeinanderfolgenden Tagen. Die zweite Behandlungsphase mit je 12 mg Alemtuzumab, nun nur noch an drei aufeinanderfolgenden Tagen, schließt sich ein Jahr später an. Laut Fachinformation können weitere Behandlungsphasen, drei und vier, jeweils weitere zwölf Monate später erfolgen. Auch im dritten und vierten Zyklus erhält der Patient Alemtuzumab je nur an drei Tagen.

Nur in Spezialzentren

Der PRAC empfiehlt zusätzlich, die Behandlung mit Lemtrada® ausschließlich in Krankenhäusern durchzuführen, wo Experten mit Erfahrung mit Alemtuzumab tätig sind und wo die Möglichkeit intensivmedizinischer Therapien besteht, um potenziell schwerwiegende Nebenwirkungen behandeln zu können.

Der PRAC hat überdies empfohlen, den Leitfaden für Ärzte und Patienten mit den neuen Empfehlungen zu aktualisieren, um das Risiko schwerer Herz-, Kreislauf- und Blutungsstörungen, die kurz nach der Infusion auftreten können, sowie Autoimmunerkrankungen, die viele Monate nach der letzten Lemtrada®-Behandlung auftreten können, zu minimieren.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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