Gentherapie vor der klinischen Erprobung

Ein „Schuss“ gegen die Kokainsucht

Remagen - 21.01.2020, 11:30 Uhr

Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. kann Kokain durch Schnupfen oder Injizieren (Kokainhydrochlorid) wie auch, nach Umwandlung in Kokainbase, durch Rauchen aufgenommen werden. (c / Foto: seksanwangjaisuk / stock.adobe.com)

Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e.V. kann Kokain durch Schnupfen oder Injizieren (Kokainhydrochlorid) wie auch, nach Umwandlung in Kokainbase, durch Rauchen aufgenommen werden. (c / Foto: seksanwangjaisuk / stock.adobe.com)


Der Kokainabhängigkeit ist mit medizinischer Behandlung oder Psychotherapie schlecht beizukommen. US-Wissenschaftler haben eine innovative Gentherapie entwickelt, mit der Abhängige abstinent werden und bleiben sollen. Bislang ist sie nur an Mäusen erprobt worden. 

Noch gibt es keine effektive Methode zur Behandlung der Kokainabhängigkeit. Erforschte pharmakologische Ansätze haben ebenso wie Verhaltensinterventionen immer wieder zu hohen Rückfallraten geführt. Wissenschaftlern von der Mayo Clinic in Rochester im US-Bundesstaate Minnesota ist nun ein großer Durchbruch bei der Entwicklung einer vielversprechenden Gentherapie gelungen. In einer Tierstudie konnten sie deren Sicherheit und Verträglichkeit nachweisen. Zweck der „Übung“ war, damit über eine so genannte IND-Einreichung (Investigational New Drug) bei der U.S. Food and Drug Administration eine Genehmigung für den Start der Erprobung am Menschen („first-in-human study“) zu bekommen. Die Ergebnisse zur systemischen Sicherheit ihres rekombinanten adeno-assoziierten viralen (AAV)-Vektors, haben Stephen Brimijoin und sein Forscherteam in der Fachzeitschrift Human Gene Therapy publiziert.

Enzym soll Kokain schnell abbauen

Ausgangspunkt für den „eigentlichen Wirkstoff“ ihres innovativen gentherapeutischen Ansatzes ist das Enzym Butyrylcholinesterase (BChE), das in menschlichem Plasma vorkommt. Native Butyrylcholinesterase kann Kokain zwar abbauen, aber der Prozess geht zu langsam vonstatten. In den letzten zehn Jahren ist es Wissenschaftlern gelungen, es zu einer effizienten Kokainhydrolase (CocH) mit einer 1500-fachen Wirksamkeit hinsichtlich der Inaktivierung von Kokain umzubauen. Behandlungen mit direkten Enzyminjektionen sind allerdings in der Praxis schwer vorstellbar, da das Rückfallrisiko der Abhängigen jahrelang hoch bleibt und deswegen zahlreiche Behandlungen mit enormen Kosten erforderlich wären.

Gentherapie ermöglicht langanhaltende Wirkung

Die bessere Alternative besteht darin, die körpereigene Produktion des Enzyms durch einen Gentransfer anzukurbeln. Hierzu haben die Forscher aus Minnesota ein Gen, das für das modifizierte humane Enzym (hCocH) kodiert, in einen bestimmten adeno-assoziierten viralen Vektor (AAV8) integriert. Eine intravenöse (i.v.) Injektion von AAV8-hCocH führt in Mäusen zu stabil hohen CocH-Spiegeln in Leber und Blut. Zirkulierendes Kokain wird innerhalb von Sekunden zerstört und damit weitgehend verhindert, dass der Suchtstoff die Belohnungszentren im Gehirn erreicht. Anstelle der Belohnung kommt es zu einem deutlichen, nachhaltigen Anstieg der Plasmaspiegel des „gutartigen“ Kokainmetaboliten Ecgonin-Methylester, eines blutdrucksenkenden glatten Muskelrelaxans ohne Belohnungswert. Dieser Status kann zwei bis drei Jahre aufrechterhalten werden.

FDA hat „first-in-human“-Studien zugestimmt

Im Ergebnis waren die i.v. Injektionen von AAV8-hCocH sowohl bei kokainnaiven als auch bei kokainexponierten Mäusen sicher und gut verträglich. Es gab keine negativen Auswirkungen auf das Überleben. Vielmehr verhinderte der Wirkstoff auf lange Sicht den kokaininduzierten Tod. Für beide Dosen der Studienmedikation wurden keinerlei Nebenwirkungen durch den viralen klinischen Vektor und keine Anzeichen von Toxizität festgestellt. Die Mäuse, die die Gentherapie, gefolgt von täglichen Kokaininjektionen erhielten, wiesen erheblich weniger Gewebeschäden auf als kokainexponierte Mäuse ohne Gentherapie. Biodistributionsanalysen zeigten, dass der Vektor fast ausschließlich die Leber ansteuerte. AAV8-hCocH selbst verursachte keine nachweisbaren Leberschäden und verhinderte solche Schäden durch eine anhaltende Kokain-Exposition. Außerdem reduzierte der Wirkstoff die Kokain-induzierte Hyperaktivität bei allen behandelten Mäusen deutlich. Die Wissenschaftler sehen damit ihre Hypothese bestätigt, dass der AAV-hCocH-Gentransfer die CocH-Expression auf ein Niveau treiben kann, das die Kokainstimulation auslöscht. Der Belohnungswert des Suchtstoffs wird damit so weit heruntergefahren, dass das Suchtverhalten ausbleibt.

Drogenkonsum an Mäusen simuliert

Um die systemische Sicherheit von AAV8-hCocH zu bewerten, führten die US-Forscher in der aktuellen Studie Tests an 120 weiblichen und männlichen Versuchsmäusen durch. Für die Dosisfindung wurden auf der Grundlage früherer Wirksamkeitsstudien an Nagetieren und der anvisierten Dosis für klinische Phase-1-Studien 5E12 und 5E13 Vektorgenome (vg)/kg ausgewählt. Das Sicherheitsprofil von AAV8-hCocH wurde in zwei Szenarien getestet: einmal mit und einmal ohne Kokain-Challenge. Am Tag Null bekamen die Mäuse AAV8-hCocH oder Salzlösung als Kontrolle intravenös verabreicht. Die Kokain-behandelten Mäuse erhielten danach fünf Mal pro Woche einmal täglich eine intraperitoneale Dosis von 40 mg/kg Kokain. Damit sollte der menschliche Drogenkonsum simuliert werden.

Auf der Grundlage dieser positiven Ergebnisse haben die Wissenschaftler bei der Food and Drug Administration (FDA) zwischenzeitlich bereits eine Genehmigung für eine erste klinische Studie an Menschen bekommen (IND 18579). Sie sprechen von einem „radikal neuen Ansatz zur Behandlung von zwanghaftem Kokainmissbrauch“. Die Wissenschaftler erwarten zwar nicht, dass die Effekte beim Menschen in niedrigen Dosen des Vektors gleichermaßen „dramatisch“ sind, hoffen aber, dass mit einer Dosissteigerung mehr Abhängigen dabei geholfen werden könnte, die Toxizität von Kokain zu mindern und Rückfälle zu vermeiden.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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