Ad-hoc-Stellungnahme zur Pandemie

Leopoldina fordert adaptives Gesundheitssystem

Remagen - 29.05.2020, 17:00 Uhr

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat ihre vierte Ad-hoc-Stellungnahme zur Coronavirus-Pandemie veröffentlicht und rät dazu, das Gesundheitssystem grundlegend zu erneuern. (c / Foto: imago images / Future Image)

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat ihre vierte Ad-hoc-Stellungnahme zur Coronavirus-Pandemie veröffentlicht und rät dazu, das Gesundheitssystem grundlegend zu erneuern. (c / Foto: imago images / Future Image)


Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat ihre vierte Ad-hoc-Stellungnahme zur Coronavirus-Pandemie in Deutschland vorgelegt. Das Dokument widmet sich der Frage, welche Aspekte in der medizinischen Versorgung bei einer anhaltenden Pandemie kurz und mittelfristig zu Tragen kommen sollten. Am besten gelänge dies mit einem adaptiven Gesundheitssystem, meinen die Experten. 

Bereits zum vierten Mal nimmt die Nationale Akademie der Wissenschaften Deutschlands Leopoldina Stellung zum Umgang mit der Coronavirus-Pandemie in Deutschland. Die ersten drei Stellungnahmen hatten sich mit akuten gesundheitspolitischen sowie mit den psychologischen, sozialen, rechtlichen, pädagogischen und wirtschaftlichen Maßnahmen beschäftigt, die zu einer schrittweisen Rückkehr in die gesellschaftliche Normalität beitragen können. Unter anderem hatten die Experten vorgeschlagen, dass die Apotheker Opfern von häuslicher Gewalt Hilfe anbieten könnten.

Nun geht es um Implikationen für die Gesundheitsversorgung. Die Autoren empfehlen in der Ad-hoc-Stellungnahme ein bedarfs- und nicht primär gewinnorientiertes System, das sich am Patientenwohl orientiert und qualitätsgesichert arbeitet. Es müsse alle Mitarbeitenden wertschätzen sowie Innovationen und digitale Lösungen integrieren, so die zentrale Empfehlung.

Normale Versorgung wieder aufnehmen und verbessern

Aus der Sicht der hochrangigen Wissenschaftler hat die Konfrontation mit einer neuen Viruserkrankung deutlich gemacht, wie wichtig eine patientenwohlorientierte und zugleich forschungsnahe Krankenversorgung ist. Dabei sei allerdings die ambulante und stationäre Versorgung von Patienten mit anderen Erkrankungen deutlich in den Hintergrund gerückt. Auch wichtige Präventionsmaßnahmen und Forschungsaktivitäten habe man unterbrechen müssen. Nun gehe es darum, die bedarfsgerechte Prävention, Diagnostik und Behandlung aller Patienten zeitnah möglichst vollumfänglich wiederaufzunehmen und ihr Vertrauen in eine gute und sichere Therapie zu stärken, und zwar mit Blick auf eine auf unabsehbare Zeit bestehende Pandemie-Situation. Besonderes Augenmerk soll dabei auf Patientengruppen mit speziellem Bedarf gelegt werden, wie Kinder, alte Menschen, chronisch Kranke, psychisch Erkrankte, Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen oder Sterbende. Auch die psychosozialen Bedürfnisse aller Betroffenen und ihre Wünsche sollen wieder stärker berücksichtigt werden.

Kurz-und mittelfristige Tasks

Um der anhaltenden Pandemie Rechnung zu tragen, befürwortet die Ad-hoc-Stellungnahme kurz- und mittelfristig, dass für die Versorgung von COVID-19-Erkrankten ambulante, stationäre und poststationäre Kapazitäten sowie personelle, räumliche und technische Reserven vorgehalten werden. Weiterhin werden wissenschaftlich unterlegte, zielgerichtete Teststrategien gefordert, ebenso wie der Aufbau eines regionalen und krankenhausinternen Frühwarnsystems für SARS-CoV-2-Infektionen und die schnelle Integration von Forschungsergebnissen in die klinische Praxis.

Langfristige Vorgaben

Für die langfristige Weiterentwicklung und Sicherung des Gesundheitssystems sollen die folgenden Punkte berücksichtigt werden:

  • Es soll eine qualitativ hochwertige, wissenschaftsorientierte und ethisch verantwortliche Versorgung aller Patienten gewährleistet werden.
  • Es sollen regionale Versorgungs- und Forschungsnetzwerke mit festgelegten Aufgabenbereichen für die Einrichtungen des Gesundheitswesens und einer besonderen Funktion der Universitätsmedizin errichtet werden.
  • Die Versorgungseinrichtungen sollen bedarfsgerecht mit qualifiziertem medizinischen und pflegerischen Personal ausgestattet werden. Dabei werben die Experten auch für mehr gesellschaftliche Wertschätzung, eine angemessene Entlohnung sowie attraktive und bedarfsgerechte Ausbildungsstrukturen und gute Arbeitsbedingungen für das Fachpersonal.
  • Alle Krankenhäuser und ambulanten Versorger sollen digitalisiert und vernetzt werden.
  • Die Versorgungsaufgaben sollen langfristig sichergestellt werden, beispielsweise durch die Ergänzung der bisherigen Fallpauschalen um strukturelle Komponenten und unter Vermeidung von Fehlanreizen.

Als Ziel wünscht sich die Leopoldina ein adaptives Gesundheitssystem, das mit Blick auf die aktuellen und auf zukünftige Herausforderungen in hohem Maße anpassungsfähig ist und in dem Öffentlicher Gesundheitsdienst, ambulanter und stationärer Sektor gut zusammenarbeiten, sowie eine kritisch denkende, wissenschaftsorientierte Medizin, die innovative Strategien für die Krankenversorgung entwickelt und sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlt.

Was macht die Leopoldina?

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Deutschlands wurde schon 1652 als Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina gegründet. Sie hat 1.600 Mitglieder aus mehr als 30 Ländern und vereinigt Expertise aus nahezu allen Forschungsbereichen. Die Leopoldina leistet unabhängige wissenschaftsbasierte Politikberatung zu gesellschaftlich relevanten Fragen. Die Experten, die Stellungnahmen verfassen, arbeiten ehrenamtlich und ergebnisoffen. 



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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