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Studien zum Coronavirus
Virologen-Gesellschaft kritisiert mediale Berichterstattung
Die Wissenschaftswelt steht derzeit vor unzähligen Herausforderungen: Nicht nur, dass mit Blick auf die Coronavirus-Pandemie ein ungewohnt hohes Tempo bei Forschung und Veröffentlichung gefragt ist, auch das mediale Interesse an den Studienergebnissen und dem zugehörigen wissenschaftlichen Diskurs dürfte vielen neu sein. Die Deutsche Gesellschaft für Virologie (DGV) bemängelt jetzt die aus ihrer Sicht teilweise unsachliche Darstellung in den Medien.
Vergangene Woche sorgte die „Bild“-Zeitung mit einem vernichtenden Bericht über eine Studie des Berliner Virologen Professor Christian Drosten für Aufsehen: Drosten und sein Team hatten Ende April eine Auswertung zur SARS-CoV-2-Viruslast bei Kindern vorgelegt. Den Ergebnissen zufolge könnten Kinder ähnlich infektiös sein wie Erwachsene. Da die Forscher zumindest nicht das Gegenteil belegen konnten, warnten sie davor, sämtliche Einrichtungen wie Kitas und Schulen unkontrolliert wiederzueröffnen, um die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus nicht weiter zu begünstigen. Die Studie hat noch nicht das sonst vor dem Publizieren übliche Peer-Review-Verfahren durchlaufen, sondern ist bis dato als Vorveröffentlichung auf der Website der Charité Berlin einsehbar (mittlerweile in einer überarbeiteten Version, Stand 2. Juni 2020).
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Die „Bild“-Zeitung bezeichnete die Studienergebnisse als „grob falsch“ und zitierte mehrere Wissenschaftler, die Drostens Auswertung kritisierten. Einige von ihnen distanzierten sich jedoch kurze Zeit später öffentlich von dem Bericht und erklärten, ihre Aussagen seien aus dem Zusammenhang gerissen oder falsch interpretiert worden.
Diese öffentliche Schlammschlacht zwischen Drosten und der „Bild“ nimmt die Deutsche Gesellschaft für Virologie (DGV) offenbar zum Anlass, um an die grundlegenden Regeln beim Umgang mit wissenschaftlichen Publikationen zu erinnern. „In der aktuellen Diskussion um ein geeignetes Vorgehen bei der Lockerung der Eindämmungsmaßnahmen gegen die SARS-CoV-2- Ausbreitung in Deutschland, spielen wissenschaftliche Untersuchungen zur Virusübertragung, zum Infektionsrisiko in verschiedenen Bevölkerungsgruppen und zum Nachweis von Antikörpern eine sehr wichtige Rolle“, betont die Fachgesellschaft in einer Mitteilung. Politik und Medien nutzten diese Daten zu Recht für Handlungsempfehlungen und politische Entscheidungen.
Berichterstattung schwächt Vertrauen der Menschen in die Wissenschaft
Die Berichterstattung bestimmter Medien betrachten die Experten jedoch mit Sorge. „Die Gesellschaft für Virologie findet es sehr bedauerlich, dass Teile der deutschen Presse sowie einige wenige Diskutanten auf öffentlichen Internetforen die sachliche Auseinandersetzung zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nutzen konnten, um persönlich erscheinende Konflikte hervorzurufen und diese für eigene Zwecke, wie etwa die Steigerung von Zugriffszahlen, zu instrumentalisieren“, schreiben sie in ihrer Stellungnahme. „Dadurch wird der Eindruck einer zerstrittenen Wissenschaftsgemeinschaft erweckt und das Vertrauen in die Seriosität wissenschaftlichen Arbeitens geschmälert.“
DGV appelliert an das Verantwortungsbewusstsein aller Beteiligten
Die COVID-19-Pandemie und die Herausforderungen, die sie mit sich bringt, seien noch lange nicht vorbei, unterstreicht die DGV. „Deshalb darf das Vertrauen der Menschen in die Virologie und die Wissenschaft insgesamt nicht verloren gehen.“ Die Gesellschaft für Virologie appelliert an alle Beteiligten, ihrer „langfristigen Verantwortung einer objektiven Berichterstattung weiterhin gerecht zu werden“. Dazu gehört es demnach auch, wissenschaftliches Arbeiten transparent zu machen und zu erklären, aber nicht, eine wissenschaftliche Debatte zu personalisieren oder gar zu skandalisieren. „Letzteres ist schädlich für die Aufklärung in der Sache und behindert eine sachgerechte Meinungsbildung.“
Konkret nennt die DGV folgende Spielregeln für die Auseinandersetzung mit Studiendaten:
- Die kontroverse Diskussion um die Stärken und Schwächen wissenschaftlicher Studien sowie ihre Interpretation ist ein unverzichtbarer Bestandteil des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses und des wissenschaftlichen Fortschritts überhaupt. Die weit verbreitete Erwartung einer prompten und endgültigen Wahrheit als Ergebnis einer Untersuchung ist wissenschaftsfremd. Auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aufbauende Handlungsempfehlungen entsprechen daher nur dem aktuellen Stand des Wissens und müssen im Licht des Erkenntnisfortschritts immer wieder neu bewertet und angepasst werden.
- Wissenschaftliche Evidenz wird in den wenigsten Fällen durch eine singuläre Studie generiert, sondern durch die vielfache Reproduktion von Daten mit denselben oder anderen Forschungsansätzen. Die daraus resultierenden Ergebnisse ergänzen bzw. korrigieren sich und erlauben immer zielgenauere Interpretationen. Deshalb besitzen Replikationsstudien, also solche, die der Überprüfung eines Befundes dienen, sehr hohen wissenschaftlichen Wert.
- Wissenschaftliche Daten in Studien, die lediglich auf Preprint- oder Universitäts-Servern öffentlich zugänglich gemacht werden und kein Peer-Review-Verfahren durchlaufen haben, sind immer vorläufig, ohne dass dies explizit betont werden muss. Auch die Kritik durch (zumeist fachnahe) Experten an diesen Ergebnissen ist in diesem Stadium, also vor der eigentlichen Veröffentlichung in einer Fachzeitschrift, als vorläufig zu verstehen und muss mit diesem entscheidend wichtigen Vorbehalt betrachtet werden.
- Die Darstellung wissenschaftlicher Ergebnisse und Meinungen in den Medien sollte immer sachlichen Kriterien folgen. Dazu gehören Zitationen, die die ursprüngliche Aussage nicht grob vereinfachen, entstellen oder bewusst verfälschen, um gezielt einen bestimmten Eindruck zu erwecken.
2 Kommentare
Von unverbindlichen wissenschaftlichen Preprints zu realpolitisch verantwortungslosen Entscheidungen?
von Christian Timme am 05.06.2020 um 7:12 Uhr
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Wo bleibt die Selbstkritik?
von Prof. Dr. Med. Harald HHW Schmidt am 05.06.2020 um 6:23 Uhr
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