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WIP-Analyse
Warum Deutschland bisher gut durch die COVID-19-Krise gekommen ist
Bei der Bewältigung der COVID-19-Pandemie steht Deutschland im europäischen Vergleich recht gut da. Eine aktuelle Studie des Wissenschaftlichen Instituts der PKV (WIP) analysiert, woran das liegen könnte und was die Länder für die Zukunft daraus lernen könnten. Schließlich scheint die Coronavirus-Pandemie noch lange nicht ausgestanden zu sein. Also heißt es weiter auf der Hut zu sein: „Nach der Welle ist vor der Welle.“
Wie stark die einzelnen Länder bisher von der COVID-19-Pandemie betroffen waren, lag nicht immer in ihrer Hand. So haben mancherorts sogenannte Super-Spreader-Events zu einer explosionsartigen Verbreitung des Virus geführt. Aber es gibt auch beeinflussbare Faktoren, die dafür gesorgt haben, dass manche Länder bislang glimpflicher davon kommen als andere. Welche das sein könnten, hat eine WIP-Studie zum Vergleich europäischer Gesundheitssysteme in der COVID-19-Pandemie für 15 ausgewählte europäische Länder untersucht.
Was sagen uns die Zahlen zu Infizierten und Todesfällen?
Bei den absoluten Zahlen der Infizierten gibt es nach den Erhebungen der WIP-Experten deutliche Unterschiede zwischen den Ländern, die aber nur bedingt aussagekräftig sind. Setzt man sie in Relation zu den durchgeführten Tests, so hat Luxemburg die höchste Zahl an Infizierten auf eine Million Einwohner, aber die Luxemburger testen auch am meisten. Dagegen testen manche Länder mit unterdurchschnittlich vielen Infizierten im Vergleich zu anderen Ländern relativ wenig. Zu diesen gehören Deutschland, Österreich, die Niederlande und Frankreich. Die Autoren betrachten die Zahl der Infizierten auch in Relation zur Zahl der Verstorbenen. Hiernach weisen Belgien, Spanien, Italien, Irland, Schweden und Großbritannien bei überdurchschnittlich hohen Infiziertenzahlen pro eine Million Einwohner auch überdurchschnittlich viele Tote auf. Für Dänemark, Deutschland, Österreich, Finnland und Griechenland gilt das Gegenteil: relativ gesehen weniger Infizierte und weniger Verstorbene. Die Niederlande und Frankreich haben dagegen bei unterdurchschnittlicher Betroffenheit bei den Infizierten überdurchschnittlich viele Todesfälle.
Genügend Intensivbetten, Ärzte und Pflegekräfte
Für die unterschiedliche Betroffenheit der Länder in der bisherigen Pandemie machen die Autoren diverse Gründe aus. Einer ist die Ausstattung und Funktionsweise der Gesundheitssysteme.
Deutschland hat unter den EU-15 mit Abstand die meisten Intensivbetten bezogen auf 100.000 Einwohner, gefolgt von Österreich und Luxemburg. Nach Modellberechnungen von Forschern der Universität Washington blieb der Bedarf an Intensivbetten während der Pandemie in Deutschland und Österreich deutlich unterhalb der jeweiligen Kapazitätsgrenzen, während Belgien, Frankreich, die Niederlande, Portugal, Spanien, Schweden und Großbritannien teilweise deutlich mehr Betten gebraucht hätten als da waren. Außerdem hat Deutschland mit Frankreich, Österreich und Dänemark überdurchschnittlich viele Ärzte und Krankenhauspflegekräfte pro 1.000 Einwohner (allerdings sind in den Zahlen auch Hebammen enthalten).
Senioren in Single-und Paarhaushalten besser geschützt
Als weiteren Risikofaktor für die Betroffenheit der Länder führen die Autoren der Studie demografische Aspekte an. Bekanntermaßen nimmt die Schwere und Mortalität einer COVID-19-Infektion mit dem Alter deutlich zu. Das heißt, ältere Gesellschaften sind grundsätzlich höheren Risiken ausgesetzt als jüngere. Zudem spielt die Haushaltsstruktur eine Rolle. Südliche Länder wie Italien, Spanien, Portugal sind hier gleich doppelt „benachteiligt“. Zum einen liegt dort das mittlere Alter weit über dem EU-15-Durchschnitt, zum anderen leben die Senioren meist nicht im eigenen Haushalt. Österreich und Deutschland haben zwar ebenfalls eher ältere Bevölkerungen, aber dort leben deutlich mehr über 65-Jährige entweder in Paar- oder Singlehaushalten und sind deshalb besser vor Ansteckungen innerhalb ihres Haushalts geschützt.
Testungen in Deutschland meistens ambulant
Außerdem hat es sich nach Meinung der WIP-Autoren in Deutschland als sehr vorteilhaft erwiesen, dass die Infizierten meistens ambulant getestet und zunächst auch ambulant behandelt wurden. In anderen Ländern wurde dagegen überwiegend in Krankenhäusern getestet, was die Infektionsgefahr für das medizinische Personal und andere Patienten vor Ort deutlich erhöhte. Während in Deutschland und Dänemark etwa 20 Prozent der Infizierten im Krankenhaus behandelt wurden, waren es in Frankreich 67, in Spanien 50, in den Niederlanden 40 und in Großbritannien und Italien 33 Prozent. Allerdings waren die Infizierten in Deutschland im Schnitt deutlich jünger als in anderen Ländern und konnten deshalb eher mit einer ambulanten Behandlung auskommen.
Schon seit Mitte Februar routinemäßige Tests möglich
Überdies hatte Deutschland durch die frühe Entwicklung der diagnostischen Tests auf COVID-19 einen zeitlichen Vorsprung bei der Pandemiebewältigung. Schon ab Mitte Februar konnte routinemäßig auf die Infektion getestet werden, was die Autoren international als Ausnahme hervorheben. Dadurch konnten Infektionsherde schnell erkannt und eingedämmt werden. Darüber hinaus hat das Robert-Koch-Institut schon relativ zeitig Leitlinien für die Behandlung von COVID-19-Infizierten herausgegeben. Sie sahen vor, Infizierte zunächst ambulant zu therapieren und nur schwere Fälle stationär aufzunehmen. Diese konnten dann in spezialisierten Kliniken behandelt werden, die personell und materiell auf die Intensivbehandlung vorbereitet waren.
Für zweite Welle gut gerüstet
Im Vergleich konnte Deutschland mit vergleichsweise moderatem Lockdown einen exponentiellen Anstieg der Infektionen vermeiden, fassen die Autoren ihre Ergebnisse zusammen. Ihrer Einschätzung zufolge dürfte das Gesundheitssystem für eine zweite Welle gut gerüstet sein, auch weil die bisherigen Schwachstellen, wie unzureichende Schutzkleidung, aktiv angegangen wurden. Als bemerkenswert heben die WIP-Experten schließlich noch hervor, dass dies gelungen ist, obwohl Deutschland eine vergleichsweise alte Bevölkerung und einen hohen Anteil an Personen mit Risikofaktoren, wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes und Fettleibigkeit hat.
Gefahr durch Clusterinfektionen bleibt
Ob das alles als Grund für weitere Lockerungen herhalten kann, mag dahingestellt bleiben, denn das Risiko von Clusterinfektionen mit SARS-Cov2 ist damit nicht vom Tisch. Nach der WIP-Analyse gehen Wissenschaftler davon aus, dass 10 Prozent der Infizierten für 80 Prozent der Ansteckungen verantwortlich sind. Dies zeigen Ausbrüche bei Großveranstaltungen, Chorproben, Gottesdiensten oder Ansteckungen bei privaten Feiern. Um solche Clusterinfektionen zu vermeiden, raten sie dringend zu einer konsequenten Prävention im Alltag, das heißt Vermeidung von Großveranstaltungen, Einhaltung der Abstand- und Hygieneregeln und Maskentragen.
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