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Studie zur globalen Wirkstoffproduktion
Wie kann die Abwanderung nach Asien gestoppt werden?
Schon lange beklagen wir in Deutschland und Europa, dass sich die Produktion wichtiger Arzneimittelwirkstoffe zunehmend nach Asien verlagert. Bislang gab es dafür lediglich eine „gefühlte Evidenz“. Der Branchenverband Pro Generika wollte es genauer wissen und gab Anfang des Jahres eine Studie zur globalen Wirkstoffproduktion in Auftrag. Die nun vorliegende „Weltkarte der API-Produktion“ bestätigt zwar die bisherigen Vermutungen – sie zeigt aber auch: Noch ist die Ausgangsposition für eine Produktion in Europa gut. Diese zu erhalten, sei nun Aufgabe der Politik, meint Pro Generika-Geschäftsführer Bork Bretthauer.
Seit Jahren sind Lieferengpässe bei Arzneimitteln ein Dauerthema in den Apotheken. In der Diskussion um die Ursachen geht es stets auch um die Herkunft der Arzneimittel beziehungsweise der in ihnen verwendeten Wirkstoffe. Zu hören ist immer wieder, Deutschland und Europa hätten sich abhängig gemacht von wenigen Wirkstoffherstellern in Fernost. Nun müsse die Produktion zurück nach Europa geholt werden.
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Doch wie ist die Lage wirklich? Bislang mangelte es an validen Daten zu den Ursprüngen der sogenannten APIs (Active Pharmaceutical Ingredient). Der Branchenverband Pro Generika gab daher Anfang dieses Jahres eine Studie bei MundiCare Life Science Strategies in Auftrag, die handfeste Fakten liefern sollte. Am gestrigen Mittwoch wurde sie nun in Berlin vorgestellt.
Für die Studie mit dem Titel „Woher kommen unsere Wirkstoffe? Eine Weltkarte der API-Produktion“ wurden 554 APIs untersucht, die zumindest ein CEP (Certificate of Suitability of Monographs of the European Pharmacopoeia) tragen – die „Goldstandard-Zulassung“ für ein API, wie Dr. Andreas Meiser, Autor der Studie und Geschäftsführer von MundiCare Life Science Strategies, erläuterte. Der Vorteil: CEPs werden in einer öffentlichen Datenbank erfasst. Allerdings sind nicht immer alle CEPs für ein API in Gebrauch.
Europa hat seine Spitzenstellung in den letzten 20 Jahren verloren
Die Verschiebung der Produktionsstätten macht der Vergleich der Jahre 2000 und 2020 deutlich. Während vor 20 Jahren in der Datenbank 589 CEPs gelistet waren, die zu 59 Prozent in Europa und zu 31 Prozent in Asien gehalten wurden, hat sich das Verhältnis heute umgekehrt: 63 Prozent der CEPs werden 2020 in Asien gehalten, nur noch 33 Prozent in Europa. Zudem hat sich die Zahl der CEPs enorm erhöht, vor allem in Asien. Die Studie machte insgesamt 3.786 solcher Wirkstoffzulassungen aus (2.369 in Asien, 1.260 in Europa). In Asien wiederum sind ganz klar China und Indien die Platzhirsche. Hier werden heute laut Studie mehr als 80 Prozent aller in Asien liegenden CEPs gehalten. Und auch in diesen beiden Ländern ist eine klare Konzentration auf wenige Regionen zu verzeichnen. Beispielsweise kommen 90 Prozent der indischen CEPs aus nur vier der 28 indischen Bundesstaaten. In China sind es fünf Provinzen an der Ostküste, in die fast drei Viertel der CEPs fallen. Hubei, die Provinz, in der das SARS-CoV-2-Virus seinen Ausgang nahm, zählt dazu, steht allerdings an letzter Stelle der chinesischen Top-5.
Eine weitere Feststellung der Studie: Ein Sechstel der in Europa benötigten Wirkstoffe wird ausschließlich außerhalb Europas hergestellt. Dabei handelte es sich laut Meiser um eine heterogene Mischung quer durch die Indikationen. Betroffen sind etwa Simvastatin oder Chloroquin aber auch das eine oder andere Antibiotikum. Für mehr als die Hälfte (56 Prozent) der APIs gibt es überdies nur fünf oder weniger CEPs und damit sehr wenige Hersteller.
Massenware aus Asien, kleine Mengen komplexer API aus Europa
Blickt man auf einzelne Wirkstoffe – 21 nimmt die Studie hier exemplarisch unter die Lupe –, zeigt sich: In Europa werden vor allem Wirkstoffe mit vergleichsweise niedrigem Produktionsvolumen hergestellt sowie solche, deren Produktion komplex ist. Zu 100 Prozent aus Europa kommen einer Schätzung zufolge etwa Benserazid und Propofol. Methotrexat und Levothyroxin kommen noch auf 95 Prozent aus der EU. In Asien konzentriert man sich dagegen auf großvolumige Wirkstoffe.
Meisers Fazit: „Hauptsächlich ungleiche regulatorische Rahmenbedingungen und ein massiver Kostendruck haben dazu geführt, dass die europäische Versorgung heute in hohem Maße von nur wenigen Wirkstoffherstellern in sehr kleinen Teilen der Welt abhängt. Das birgt Risiken für die Versorgung.“ Aber er stellt ebenso fest, dass es in Europa nach wie vor das Know-how und die Kapazitäten für die Wirkstoffproduktion gibt.
Pro Generika: Der Ball liegt bei der Politik
Für Pro Generika-Geschäftsführer Bork Bretthauer ist klar: Diese in Europa noch vorhandenen Standorte gilt es zu schützen und zu stärken. Eine aktive Rückholung der bereits abgewanderten Produktion hält er für wenig realistisch. Aber eine weitere Abwanderung müsse und könne gestoppt werden. Denkbar seien zum Beispiel Investitionszuschüsse – so kürzlich geschehen im österreichischen Kundl, wo nun die letzte westliche Antibiotikaproduktion erhalten bleibt. Aber auch stabilere Lieferketten müssten belohnt werden – etwa wenn eine Krankenkasse bei einer Ausschreibung darauf besteht, dass ein Arzneimittelanbieter einen zweiten Wirkstoffhersteller bieten kann.
Für Bretthauer liegt der Ball nun im Spielfeld der Politik. Sie müsse neue Spielregeln aufstellen: Weg vom Preis als alleiniges Kriterium bei Ausschreibungen. Dabei setzt der Pro Generika-Geschäftsführer auch mehr auf die deutsche, denn auf die europäische Politik. Zwar hat auch die EU klar das Ziel, wieder unabhängiger von Arzneimittel- und Wirkstoffproduzenten in Asien zu werden. Doch die Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene dauern erfahrungsgemäß sehr lang. In Deutschland, so Bretthauer, könnten viel schneller Regeln geschaffen werden, die eine neue Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und Bezahlbarkeit herstellen.
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Handeln können allerdings auch schon die Kassen selbst. So erklärte kürzlich die AOK Baden-Württemberg, bei den bundesweiten Rabattverträgen würden nun zusätzliche Standards abseits des Preises eingeführt. Allerdings will sie dabei im Regelfall bei ihrem Einpartner-Modell bleiben, das die Generikaindustrie schon lange durch die regelhafte Mehrfachvergabe abgelöst sehen will.
Letztlich ist der Fokus auf die Wirkstoffe für Pro Generika erst ein Anfang. Bretthauer: „Es darf uns bei der Diskussion über mehr Liefersicherheit nicht nur um Wirkstoffe gehen. Diese allein machen noch kein Arzneimittel aus. Eine robustere Produktion von generischen Medikamenten – auch in Europa – muss alle Fertigungsschritte umfassen und sollte unser großes politisches Ziel sein.“
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