Superfood – Beratungswissen Teil 6

Granatapfel – die paradiesische Frucht

Stuttgart - 03.11.2020, 15:15 Uhr

Im Märchen aus 1001 Nacht entfaltet der Granatapfel magische Kräfte. In der Realität konnten heilsame Eigenschaften aber bislang nicht wissenschaftlich bestätigt werden. (Foto: George Dolgikh / stock.adobe.com)

Im Märchen aus 1001 Nacht entfaltet der Granatapfel magische Kräfte. In der Realität konnten heilsame Eigenschaften aber bislang nicht wissenschaftlich bestätigt werden. (Foto: George Dolgikh / stock.adobe.com)


Der leuchtend-rote Granatapfel steht für Leben und Fruchtbarkeit, aber auch für Macht, Blut und Tod. Im Mittelalter symbolisierte er als Reichsapfel die Herrschertugenden. Heute muss er als Superfood und Allround-Heilmittel bei allerlei Beschwerden herhalten. Doch hält der Granatapfel, was er verspricht? Oder blendet vornehmlich die rote Farbe? Und: Zwischen Granatapfelsaft und Arzneimitteln kann es – wie bei Grapefruitsaft – zu Wechselwirkungen kommen.

Säuerlich-fruchtig und mit knackigem Biss geben Granatapfelkerne einem Salat, Müsli oder Fleischgericht eine exotisch-schmackhafte Note. Gleichzeitig setzen sie mit ihrer dunkelroten Farbe dekorative Akzente. Doch abgesehen von Gaumenfreuden und Optik hat sich der Granatapfel den Ruf eines fast märchenhaften Superfoods erworben. Der Markt hält eine breite Palette an Nahrungsergänzungsmitteln bereit, die Inhaltsstoffe aus dem Granatapfel enthalten und um die Gunst gutgläubiger Verbraucher werben. Wie ist der Hype um den Granatapfel und seine angeblichen Wirkungen zu erklären?

Symbol für Fruchtbarkeit und Macht

Die gefällige Form des Granatapfels, der mit seiner glatten Schale gut in eine Menschenhand passt, sowie sein überraschend dekoratives Inneres mit den blutroten, saftigen Kernen haben die menschliche Phantasie zu allen Zeiten angeregt. Kaum eine Frucht ist wohl so religiös mythologisch und symbolisch aufgeladen wie der Granatapfel. Er spielt im jüdischen, christlichen, muslimischen und buddhistischen Glauben ebenso eine Rolle wie in der griechischen und persischen Mythologie.

Beispielhaft steht er für die von Gott geschaffenen guten Dinge, deshalb nennt man ihn auch Paradiesapfel. Er steht für Leben und Fruchtbarkeit, aber auch für Macht, Blut und Tod. Im Mittelalter symbolisierte er als Reichsapfel die Herrschertugenden. Im Volksglauben galt der Granatapfelsaft als Liebestrank. Bis heute schreibt man ihm die Wirkung eines Aphrodisiakums zu – aber nicht nur das. Angeblich ist die paradiesische Frucht prall gefüllt mit Heilwirkungen aller Art, die für den modernen Menschen nicht mehr religiös daherkommen, sondern im Königsmantel der Wissenschaft.

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Als mächtig und fruchtbar lassen sich heutzutage auch die Marketingstrategien beschreiben. Das Sortiment an Granatapfel-Produkten, die meist in Internet-Shops verkauft werden, ist weit gefächert: Da gibt es Direktsäfte, die werbewirksam als „Muttersäfte“ bezeichnet werden, Extrakte, Pulver, Kapseln und zusätzlich Kosmetika.

Die Fakten

Der Granatapfel, lateinisch Punica granatum, war ursprünglich im heutigen Iran, Armenien und in Nordindien heimisch und wird dieser Tage im gesamten west- und mittelasiatischen Raum sowie in den Mittelmeerländern angebaut. Der sommergrüne kleine Baum wird auch als Strauch kultiviert. Die sehr attraktive rote Blüte entwickelt sich selbst- und fremdbestäubt zum Granatapfel, der botanisch eine Scheinfrucht darstellt. Sie besteht aus der Schale, dem Fruchtfleisch und fleischig ummantelten Samenkernen, die dekorativ angeordnet sind. Während Schale und Fruchtfleisch bitter und ungenießbar sind, schmecken die Kerne aromatisch süß-sauer. Für die Herstellung von Nahrungsergänzungsmitteln werden die Kerne ausgepresst und der Saft konzentriert, fermentiert oder auch gefriergetrocknet.

100 Gramm des essbaren Anteils am Granatapfel enthalten ca. 19 Gramm Kohlenhydrate, davon ca. 14 Gramm Zucker und ca. 4 Gramm Ballaststoffe. Der Protein- und Fettanteil liegt bei 1,7 bzw. 1,2 Gramm, der Rest ist Wasser. Der Zucker besteht jeweils ungefähr zur Hälfte aus Fructose und Glucose. Mit 74 kcal pro 
100 Gramm liegen Granatapfelkerne gleichauf mit dem Energiegehalt von Feigen, sie gehören also zu den süßen und energiereichen Obstsorten.

Was die Mikronährstoffe betrifft, so enthalten Granatapfelkerne Kalium, Calcium, Eisen, Magnesium, Vitamin B6 und Vitamin C, alles in relativ kleinen Mengen. Mit weniger als 10 mg Vitamin C pro 100 Gramm kann der Granatapfelkern nicht mit anderen Obstsorten mithalten (z. B. der Orange 50 mg/100 g). Darüber hinaus enthält der Granatapfel allerdings einen hohen Gehalt an sekundären Pflanzenfarbstoffen, insbesondere ein breites Gemisch an Polyphenolen, darunter Anthocyane, Ellagsäure und Punicalagin. Dieses antioxidativ wirkende Gemisch an Farb- und Gerbstoffen soll die vielen gesundheitsfördernden Wirkungen des Granatapfels erklären.

Polyphenole im Blickpunkt

Bei fast allen Zivilisationskrankheiten sowie chronisch-entzündlichen und neurodegenerativen Erkrankungen spielt oxidativer Stress als krankheitsfördernder Faktor eine Rolle. Im Zusammenhang mit Granatapfel-Polyphenolen wurden verschiedene tier- und humanexperimentelle sowie klinische Studien durchgeführt, die Hinweise auf prophylaktische und therapeutische Wirkungen bei Arteriosklerose, Bluthochdruck, bakteriellen Infektionen, Brust- und Prostatakrebs geben sollen. In Internetforen, die der Verkaufsförderung von Granatapfelprodukten dienen, ist von wundersamen Wirkungen zu lesen: Die „kraftvollen Polyphenole“ der Granatapfelkerne sollen das Risiko für verschiedene Krebsarten, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Schlaganfälle reduzieren, Prostataprobleme verhindern, Hormone regulieren, die Gehirnfunktion stärken, Gelenke stabilisieren, das Immunsystem positiv beeinflussen sowie Alzheimer verhindern. Vor allem soll die sexuelle Gesundheit von Männern erhalten bleiben. Kurzum: Granatapfel-Produkte werden als Allround-Heilmittel für alle denkbaren Gesundheitsprobleme beschrieben.

Kein Vorteil gegenüber Orangensaft

Auf der Internetseite „Klartext Nahrungsergänzung“, einer Gemeinschaftsaktion aller Verbraucherzentralen unter Federführung der Verbraucherzentralen in Hessen und Sachsen-Anhalt, fällt die Bewertung von Granatapfel-Produkten nüchterner aus: „Eindeutige wissenschaftliche Belege, die für Empfehlungen ausreichen, gibt es nicht. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit hat die wissenschaftliche Studienlage überprüft. Danach haben weder extrahierte Inhaltstoffe noch der Saft eine positive Wirkung hinsichtlich Herz-Kreislauf-Gesundheit, Blut-Cholesterin, Blutzucker. Die Nachweise zu positiven Auswirkungen auf die Potenz und die antioxidative Wirkung sind ebenfalls nicht bewiesen. Neuere Studien deuten darauf hin, dass ein erhöhter Blutdruck durch das regelmäßige Trinken von Granatapfelsaft etwas sinken könnte. Ähnliches ist aber auch schon für Orangensaft gezeigt worden.“

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) weist ganz allgemein darauf hin, dass der vermehrte Konsum pflanzlicher Lebensmittel einen nachweisbaren präventiven Effekt hat. Der gegenwärtige Kenntnisstand erlaubt es nach Ansicht der DGE nicht, Zufuhrempfehlungen für einzelne sekundäre Pflanzenstoffe zu geben.

Wechselwirkungen, Verfälschungen, Rückstände

Für die Apotheke wichtig zu wissen: Zwischen Granatapfelsaft und Arzneimitteln kann es – wie bei Grapefruitsaft – zu Wechselwirkungen kommen. So werden zum Beispiel Sildenafil (Viagra®) und Blutgerinnungshemmer (Phenprocoumon, Warfarin) durch Enzymhemmung langsamer abgebaut, was zu unerwünschten Wirkungen führen kann.

Auch wenn der Verzehr von Granatapfelfrüchten und -säften generell nicht bedenklich ist, weiß man bisher nicht, ob der dauerhafte Verzehr isolierter Granatapfel-Inhaltsstoffe ebenso zu bewerten ist. Die Verbraucherzentralen kennen Berichte über hochgradige Verfälschungen von Granatapfelsaft. Zur Streckung werden Trauben, Kirschen und Äpfel eingesetzt. Farbstoffe, Zucker und Säuren korrigieren den Geschmack. Verbraucher sollten die Zutatenliste lesen und darauf achten, wie hoch der Anteil an Granatapfel in einem Produkt tatsächlich ist. Nicht zuletzt warnt „Klartext Nahrungsergänzung“ vor Pestizid-Rückständen in Granatapfel-Untersuchungsproben.

Was tun? Guter Rat ist nicht teuer!

Granatapfel-Zubereitungen haben ihren Preis. Es gibt Granatapfel-Elixiere, die zu einem Literpreis von 60 Euro angeboten werden. Im Supermarkt oder Drogeriemarkt gibt es auch preisgünstigere Säfte zwischen 5 und 10 Euro pro Liter. Qualitätsvergleiche anzustellen, dürfte dem Verbraucher schwer fallen. Aus gesundheitlichen Gründen muss man jedoch weder Granatäpfel noch Granatapfel-Produkte kaufen. Sekundäre Pflanzenstoffe mit antioxidativer Wirkung sind auch im heimischen Obst und Gemüse ausreichend vorhanden.

Die Zufuhr einzelner, vermeintlich gesunder Inhaltsstoffe aus Lebensmitteln wird überschätzt und stellt keinen Wert an sich dar. Entscheidend ist ein gesunder Lebensstil, zu dem neben Bewegung, Nichtrauchen und Entspannung eine abwechslungsreiche, frische Ernährung mit dem Schwerpunkt auf pflanzlicher Kost gehört.

Wer den Geschmack und das Aussehen von Granatapfelkernen liebt und den Preis nicht scheut, kann diese durchaus auf seinen Speiseplan setzen. Eine Zauberwirkung findet jedoch nur im Märchen statt: In „1001 Nacht“ erfüllen Granatapfelkerne einem König seinen Kinderwunsch. 50 Kerne werden verzehrt – und 50 Prinzen werden gezeugt. Welche Magie!

Auf einen Blick

  • Der Granatapfel hat die Menschen seit Jahrtausenden fasziniert. Religiös und mythologisch aufgeladen entstand der Glaube an Wunderwirkungen.
  • Granatapfelkerne enthalten – wie auch viele andere Früchte und 
    Gemüse – antioxidativ wirksame Polyphenole.
  • Die vielfältigen Gesundheitswirkungen, die dem Granatapfel zugeschrieben werden, sind wissenschaftlich nicht bewiesen.


Reinhild Berger, Apothekerin
redaktion@daz.online


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